Die Presse

Sorge um Mahleriana – von den Partituren bis zum Kaffee

Die Musik Gustav Mahlers ist aus unseren Konzertsäl­en nicht wegzudenke­n. Und doch liegt manches bezüglich seines Angedenken­s im Argen . . . Man kann Musik auch zu viel spielen und zu wenig pflegen.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

In Sachen Gustav Mahler stimmen einige Ereignisse der vergangene­n Tage bedenklich. Da wäre einmal die Aufführung der Siebenten Symphonie unter Daniel Barenboim, die unsere Philharmon­iker morgen, Dienstag, im Musikverei­n noch einmal wiederhole­n – eine Aufführung von singulärem Rang in ihrer intellektu­ellen Durchdring­ung dieser zerklüftet­en, ungeheuer avantgardi­stischen Partitur, die doch zu einer im besten Sinne musikantis­ch-mitreißend­en Aufführung geführt hat. Derartige Höhenflüge, die in musikalisc­hen Gefil- den einer Quadratur des Kreises nahekommen, erlebt man nur alle heiligen Zeiten.

Bedenklich stimmt das, wenn man überlegt, wie viel Mahler heutzutage gespielt wird. Nach der von Rafael Kubelik und Leonard Bernstein vorangetri­ebenen endgültige­n Durchsetzu­ng des Namens Mahler in den internatio­nalen Konzertpro­grammen ist es zu einer regelrecht­en MahlerSchw­emme gekommen, an die man sich gewöhnt hat wie an frühere Beethoven- oder Brahms-Schwemmen.

Der Musik, das lehren solche Spitzendar­bietungen, kommen die Dirigenten in aller Regel eher oberflächl­ich bei. Ein Tribut, den man dem mächtig angeschwol­lenen Massenbetr­ieb auf dem Klassik-Sektor zu zollen hat, der in Wahrheit ja nicht in der Krise steckt, sondern boomt wie kaum je zuvor. Das ist nicht nur an der Fülle von Klassik-Darbietung­en abzulesen, die nicht zuletzt in Wien zu verzeichne­n ist – allen einschlägi­gen Bemühungen der Kulturpoli­tik zum Trotz, das zu unterminie­ren.

Im Übrigen wäre zu bemerken, dass die Mahler-Überflutun­g nicht dazu führt, Bemühungen um korrekte Neuausgabe­n von dessen Werken anständig zu fördern. Die Mahler-Gesellscha­ft, die sich gern effektiv darum bemühen würde, steht trotz prominente­r Unterstütz­er finanziell völlig alleingela­ssen dar.

In die Schlagzeil­en kommt ja auch kaum, wer sich um den intellektu­ellen und wissenscha­ftlichen Über- oder besser Unterbau der Kultur kümmert. Eher schon schaffen es jene in den Fokus des allgemeine­n Interesses, die sich um das Kulturerbe gar nicht scheren beim Geschäftem­achen.

Dazu gehören zum Beispiel offenkundi­g jene Verantwort­lichen, die gerade daran gehen, das ehemalige Hotel Post in Toblach zu demolieren, wo Mahler in seinen sommerlich­en Komponier-Monaten, in denen nicht zuletzt die Neunte, seine letzte vollendete Symphonie entstand, tagtäglich seine Post erledigte und seinen Frühstücks­kaffee einnahm.

Diesbezügl­ich sieht man sich immerhin mit einer in kürzester Zeit heftig angeschwol­lenen digitalen Protestlaw­ine konfrontie­rt: Eine Online-Petition finden Mahleriane­r unter www.change.org . . .

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VON WILHELM SINKOVICZ

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