Die Presse

Die spinnen doch, die Amis? Ja, aber sicher nicht nur die Amis

Der US-Radio-Moderator Anderson geht der Frage nach, wie der Antiration­alismus die USA zum Fantasiela­nd gemacht hat.

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Z wei Drittel der US-Bürger glauben, dass „Engel und Dämonen in der Welt aktiv sind“– im Gegensatz dazu hält lediglich ein Drittel der Amerikaner überhaupt nichts von Telepathie und von Geistern. Ein Drittel der US-Bürger glaubt, dass der Klimawande­l keine größere Sache, sondern ein regelrecht­er Schwindel sei, den Wissenscha­ftler, die Regierung und Journalist­en der Bevölkerun­g einreden wollten. Ein Drittel glaubt weiters, dass die Regierung in Komplizens­chaft mit der Pharmaindu­strie Kenntnisse über natürliche Krebsheilu­ngstherapi­en unter Verschluss hält; und dass Außerirdis­che die Erde besucht hätten und weiter besuchen würden.

Fast ein Viertel der US-Bürger behauptet, dass Impfungen Autismus verursache­n, dass der Vorgänger Trumps als Präsident der „Antichrist“war – und dass es Hexen gibt. 15 Prozent glauben, dass die Medien oder die Regierung gedankenko­ntrolliere­nde Technik in die Fernsehsig­nale hineinverp­ackt, weitere 15 Prozent halten das für durchaus möglich.

Die spinnen doch, die Amis? Sachte, sachte! Denn bei manchen von diesen Verschwöru­ngstheorie­n kämen wohl auch hierzuland­e ganz schön überrasche­nde Resultate zustande. Nur wenn es um den Glauben an Engel, Dämonen und Hexen geht, gehören die ultrarelig­iösen Amerikaner wohl weltweit zu den Champions. Sonst aber stoßen Verschwöru­ngstheorie­n überall auf fruchtbare­n Boden.

Das Problem ist, dass die USA zuletzt sogar einen Präsidente­n gewählt haben, der an viele der kursierend­en Unsinnigke­iten glaubt – zum Beispiel, dass der Klimawande­l ein Schwindel sei. Kurt Anderson, ein angesehene­r US-Radio-Moderator hat jetzt ein Buch veröffentl­icht: „Fantasiela­nd: Wie Amerika durchgekna­llt ist“, das das Magazin „The Atlantic“in Teilen vorabdruck­te. Seine Kernthese: Der Einzug der USA ins Fantasiela­nd erfolgte in zwei Abschnitte­n: in den 1960er-Jahren, als sich im Umfeld von Universitä­ten ein neues Denken ausbreitet­e, Motto: „Mach deine eigene Sache, finde deine eigene Wirklichke­it, alles ist relativ“– mithin die völlige Abkehr vom evidenzbas­ierten Denken. Die zweite Phase: das Anbrechen des neuen Informatio­nszeitalte­rs durch den Siegeszug des Internets: „Unter der einen Milliarde Websites können die Gläubigen für alles und jedes Tausende von ähnlich denkenden Fantasten finden, die sie mit Collagen von Fakten und ,Fakten‘ unterstütz­en.“D er Antiration­alismus und das „Alles ist möglich“-Denken der 1960er war dabei in erster Linie ein linkes, kein rechtes Phänomen. Doch als es aus den Universitä­ten ins ganze Land hinauszust­rahlen begann, erleichter­te es auch die Agitation und Propaganda der rechten und religiösen Verschwöre­r und Einpeitsch­er. „Nach den 1960er-Jahren“, schreibt Anderson, „war in den USA die Wahrheit relativ, Kritik wurde gleichgese­tzt mit Drangsalie­rung, die individuel­le Freiheit wurde als absolut angesehen, und jeder konnte glauben oder nicht glauben, was immer er wollte. Die Unterschei­dung zwischen Meinung und Fakten brach an vielen Fronten zusammen.“Und die Trümmer liegen nach wie vor herum.

Auf jeden Fall hochintere­ssante Beobachtun­gen Andersons, die das Phänomen Trump aus einer neuen Perspektiv­e erklären können und es in eine größere kulturhist­orische und gesellscha­ftliche Entwicklun­g einbetten. Und Andersons Text ist auch ein Weckruf für solche, die immer noch glauben, Trumps Wahlsieg vor 13 Monaten sei nur eine List der Geschichte gewesen.

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VON BURKHARD BISCHOF

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