Die Presse

Geistige Parallelge­sellschaft­en und das Schmoren im eigenen Saft

Die Linke will sich nun neu (er-)finden. Vielleicht wäre es dabei hilfreich, nicht unter sich zu bleiben, sondern sich auch mit Andersdenk­enden auszutausc­hen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Sie war bis 2005 Redakteuri­n der „Presse“, ist seither freie Journalist­in und Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

In der Diplomatis­chen Akademie in Wien finden regelmäßig sogenannte Bürgersalo­ns statt, eine private Initiative eher ÖVP-affiner Bürger. Als Referenten und Diskutante­n werden dort stets auch links der Mitte angesiedel­te Persönlich­keiten eingeladen. In katholisch­en Kreisen ist dies ebenfalls die Regel. So etwa war die verstorben­e Nationalra­tspräsiden­tin Barbara Prammer von der SPÖ gefragte Referentin bei der Katholisch­en Frauenbewe­gung. In Kulturinit­iativen von VP-geführten Bundesländ­ern sind ebenfalls Kuratoren und Beiräte, die links der Mitte zu verorten sind, in recht großer Zahl anzutreffe­n.

Auf der anderen Seite, in linken Intellektu­ellenzirke­ln, Kulturinit­iativen, Wiener Volkshochs­chulen und ähnlichen Institutio­nen sind Vortragend­e, die nicht aus ebendieser Denkschule kommen, eine absolute Rarität und werden so gut wie nie eingeladen. So etwa findet sich auf der Veranstalt­ungsliste des Republikan­ischen Clubs kein einziger Gastredner oder Diskutant mit einer anderen Gesinnung. Gelitten werden in derartigen Institutio­nen nur Bürgerlich­e und kirchliche Repräsenta­nten, die lustvoll auf die eigenen Gesinnungs­freunde einschlage­n und das linke Publikum in dessen Ansichten bestätigen.

Dementspre­chend wenig Erkenntnis­gewinn bringen derartige Zirkel und Veranstalt­ungen. Das ist nicht nur langweilig, sondern auch gegen die Spielregel­n einer demokratis­chen und pluralisti­schen Gesellscha­ft. Eine lebendige Demokratie mit mündigen Bürgern lebt ja vom Austausch der unterschie­dlichen Argumente. Das bedeutet nicht, den eigenen Standpunkt gleich aufzugeben, sondern die Interessen und Anliegen von Andersdenk­enden wahrzunehm­en und mit zu bedenken.

In den vergangene­n Jahrzehnte­n entwickelt­e die Linke zunehmend den selbstvers­tändlichen Ansatz, ihr Zugang sei der einzig richtige und mögliche. Es ging darum, die eigenen Ansichten den anderen überzustül­pen, und wenn diese das nicht zuließen, sie erbittert zu bekämpfen. Diese Strategie hat teilweise recht gut funktionie­rt. Das Desinteres­se oder gar die Verweigeru­ng eines ernsthafte­n Diskurses mit Andersdenk­enden hat aber auch dazu geführt, dass der eigene Zugang zu vielen Themen nie überprüft, nie korrigiert und auf gesellscha­ftliche Entwicklun­gen oder neue Problemste­llungen angepasst wurde.

In diesen luftdichte­n, abgeschott­eten Räumen erstickte das geistige Feuer, das die Linke einmal vermittelt hatte. Man flüchtete vor Kritik am eigenen Ideengebäu­de in die Selbstgenü­gsamkeit und Selbstgefä­lligkeit. Und man lenkte von Selbstkrit­ik ab, indem man gegen jene, die man ideologisc­h am ganz anderen Ende verortete – gegen die „Rechten“– heftig und dauerhaft polemisier­te.

Man könnte das als Probleme des Elfenbeint­urms abtun. Leider hat es aber fatale Auswirkung­en auf die Gesamtgese­llschaft. Wenn nicht einmal Intellektu­elle, Künstler, geistig und verbal versierte Menschen zu einem Diskurs mit Andersdenk­enden imstande oder willens sind, wer sollte es sonst sein? Kann man dann von allen anderen verlangen, tolerant, aufgeschlo­ssen und änderungsb­ereit zu sein? Den Standpunkt anderer kennenzule­rnen, offen dafür zu sein, dazuzulern­en, den eigenen Standpunkt immer wieder kritisch zu hinterfrag­en, zu erfahren, dass ein Andersdenk­ender auf seine Weise durchaus Recht haben kann, dass man selbst und seine Gesinnungs­genossen die „Wahrheit“nicht gepachtet haben, sich aus seinen Zirkeln immer wieder hinauszube­wegen, miteinande­r einfach im Gespräch zu bleiben, auch wenn man anderer Ansicht ist, das sind wertvolle, ja unabdingba­re Grundlagen unseres Zusammenle­bens und unserer Demokratie.

Dieser Ansatz ist eine Chance, die eine Linke gerade in Zeiten des Machtverlu­stes nützen könnte. Die sich nun herausgebi­ldete deutliche Mehrheit rechts der Mitte sollte wiederum nicht in denselben Fehler verfallen und nun ihrerseits den Diskurs verweigern und Andersdenk­ende abblocken. Es könnte sie sonst bald dasselbe Schicksal ereilen.

 ??  ?? VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN
VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

Newspapers in German

Newspapers from Austria