Geistige Parallelgesellschaften und das Schmoren im eigenen Saft
Die Linke will sich nun neu (er-)finden. Vielleicht wäre es dabei hilfreich, nicht unter sich zu bleiben, sondern sich auch mit Andersdenkenden auszutauschen.
In der Diplomatischen Akademie in Wien finden regelmäßig sogenannte Bürgersalons statt, eine private Initiative eher ÖVP-affiner Bürger. Als Referenten und Diskutanten werden dort stets auch links der Mitte angesiedelte Persönlichkeiten eingeladen. In katholischen Kreisen ist dies ebenfalls die Regel. So etwa war die verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara Prammer von der SPÖ gefragte Referentin bei der Katholischen Frauenbewegung. In Kulturinitiativen von VP-geführten Bundesländern sind ebenfalls Kuratoren und Beiräte, die links der Mitte zu verorten sind, in recht großer Zahl anzutreffen.
Auf der anderen Seite, in linken Intellektuellenzirkeln, Kulturinitiativen, Wiener Volkshochschulen und ähnlichen Institutionen sind Vortragende, die nicht aus ebendieser Denkschule kommen, eine absolute Rarität und werden so gut wie nie eingeladen. So etwa findet sich auf der Veranstaltungsliste des Republikanischen Clubs kein einziger Gastredner oder Diskutant mit einer anderen Gesinnung. Gelitten werden in derartigen Institutionen nur Bürgerliche und kirchliche Repräsentanten, die lustvoll auf die eigenen Gesinnungsfreunde einschlagen und das linke Publikum in dessen Ansichten bestätigen.
Dementsprechend wenig Erkenntnisgewinn bringen derartige Zirkel und Veranstaltungen. Das ist nicht nur langweilig, sondern auch gegen die Spielregeln einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Eine lebendige Demokratie mit mündigen Bürgern lebt ja vom Austausch der unterschiedlichen Argumente. Das bedeutet nicht, den eigenen Standpunkt gleich aufzugeben, sondern die Interessen und Anliegen von Andersdenkenden wahrzunehmen und mit zu bedenken.
In den vergangenen Jahrzehnten entwickelte die Linke zunehmend den selbstverständlichen Ansatz, ihr Zugang sei der einzig richtige und mögliche. Es ging darum, die eigenen Ansichten den anderen überzustülpen, und wenn diese das nicht zuließen, sie erbittert zu bekämpfen. Diese Strategie hat teilweise recht gut funktioniert. Das Desinteresse oder gar die Verweigerung eines ernsthaften Diskurses mit Andersdenkenden hat aber auch dazu geführt, dass der eigene Zugang zu vielen Themen nie überprüft, nie korrigiert und auf gesellschaftliche Entwicklungen oder neue Problemstellungen angepasst wurde.
In diesen luftdichten, abgeschotteten Räumen erstickte das geistige Feuer, das die Linke einmal vermittelt hatte. Man flüchtete vor Kritik am eigenen Ideengebäude in die Selbstgenügsamkeit und Selbstgefälligkeit. Und man lenkte von Selbstkritik ab, indem man gegen jene, die man ideologisch am ganz anderen Ende verortete – gegen die „Rechten“– heftig und dauerhaft polemisierte.
Man könnte das als Probleme des Elfenbeinturms abtun. Leider hat es aber fatale Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft. Wenn nicht einmal Intellektuelle, Künstler, geistig und verbal versierte Menschen zu einem Diskurs mit Andersdenkenden imstande oder willens sind, wer sollte es sonst sein? Kann man dann von allen anderen verlangen, tolerant, aufgeschlossen und änderungsbereit zu sein? Den Standpunkt anderer kennenzulernen, offen dafür zu sein, dazuzulernen, den eigenen Standpunkt immer wieder kritisch zu hinterfragen, zu erfahren, dass ein Andersdenkender auf seine Weise durchaus Recht haben kann, dass man selbst und seine Gesinnungsgenossen die „Wahrheit“nicht gepachtet haben, sich aus seinen Zirkeln immer wieder hinauszubewegen, miteinander einfach im Gespräch zu bleiben, auch wenn man anderer Ansicht ist, das sind wertvolle, ja unabdingbare Grundlagen unseres Zusammenlebens und unserer Demokratie.
Dieser Ansatz ist eine Chance, die eine Linke gerade in Zeiten des Machtverlustes nützen könnte. Die sich nun herausgebildete deutliche Mehrheit rechts der Mitte sollte wiederum nicht in denselben Fehler verfallen und nun ihrerseits den Diskurs verweigern und Andersdenkende abblocken. Es könnte sie sonst bald dasselbe Schicksal ereilen.