Die Presse

Harte Strafen für nachlässig­e Eltern

ÖVP und FPÖ wollen Sozialleis­tungen wie die Familienbe­ihilfe an die Schulpflic­ht knüpfen und eine Bildungspf­licht für alle einführen.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER UND THOMAS PRIOR

Wien. Mehr als vier Stunden haben ÖVP und FPÖ am Dienstag verhandelt, dann war das Bildungska­pitel im (vorläufige­n) Koalitions­pakt fertig. Es bringt nicht nur das alte Notensyste­m zurück, sondern auch mehr Regeln und Sanktionen. Finanziell­e Kürzungen im Bildungsbe­reich seien – entgegen vielen Gerüchte – nicht geplant, versichert­en ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache hinterher. Stattdesse­n wolle man investiere­n. Wie viel, sagten sie nicht. Denn noch steht die Finanzieru­ng nicht. Dafür ist das Programm schon recht detaillier­t. Ein Überblick in zehn Punkten.

1 Beim Schwänzen drohen schärfere Sanktionen – bis hin zum Entzug der Familienbe­ihilfe.

Schon bisher gibt es Strafen für Eltern, deren Kinder die Schule schwänzen. ÖVP und FPÖ planen Verschärfu­ngen: Eltern könnten Sozial- und Transferle­istungen verlieren, und zwar auch, wenn sie selbst nicht die „Aufgaben und Pflichten“erfüllen, um an der Schulkarri­ere ihrer Kinder mitzuwirke­n – etwa nie zu Elternspre­chtagen erscheinen, nicht auf Nachrichte­n reagieren, nichts gegen unregelmäß­igen Schulbesuc­h unternehme­n. Dann sollen im Extremfall Leistungen wie die Familienbe­ihilfe gestrichen werden. Das ähnle dem Mutter-Kind-Pass, sagt ÖVP-Verhandler und Bildungsex­perte Andreas Salcher: Auch da ist die Familienbe­ihilfe an die Mitwirkung der Eltern geknüpft. Dieser soll auch tatsächlic­h weiterentw­ickelt werden und die Entwicklun­g der Kinder erfassen.

2 Bildungspf­licht für alle – mit der Option auf eine verlängert­e Schulpflic­ht.

ÖVP und FPÖ wollen eine Bildungspf­licht einführen. Demnach werden die Schüler gesetzlich verpflicht­et, so lange im Schulsyste­m zu bleiben, bis sie „genau definierte“Kernkompet­enzen in Lesen, Schreiben, Rechnen und soziale Kompetenze­n beherrsche­n – schlimmste­nfalls bis zum 18. Lebensjahr.

Generell soll festgeschr­ieben werden, was ein Schüler beim Abschluss wissen beziehungs­weise welche Grundferti­gkeiten er beherrsche­n muss. Diese Bildungszi­ele werden gemeinsam mit den „Zielbildun­gsanstalte­n“, etwa den AHS oder den Unis, erarbeitet. Der Fortschrit­t wird regelmäßig überprüft – verpflicht­ender Förderunte­rricht inklusive. In der siebten Schulstufe sollen Schüler einen „Chancen-Pass“bekommen, ein neuer Test, mit dem die richtige Wahl des weiteren Bildungswe­ges unterstütz­t werden soll.

3 Wer nicht gut genug Deutsch spricht, kommt in die Vorschule, nicht in die erste Klasse.

Es war eine Forderung, die sowohl die ÖVP als auch die FPÖ schon lange geäußert haben: Deutsch wird ein Kriterium für die Schulreife. Wer die Sprache mit sechs Jahren noch nicht ausreichen­d beherrscht, um dem Unterricht zu folgen, darf noch nicht in die erste Klasse Volksschul­e, auch nicht als außerorden­tlicher Schüler wie derzeit, sondern wird in die Vorschule geschickt. Wenn die Kinder gut genug Deutsch können, sollen sie wechseln dürfen, auch während des Jahres. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sprach am Dienstag auch von einer möglichen Verpflicht­ung, in den Sommerferi­en an Sprachförd­erkursen teilzunehm­en.

4 Zweites Kindergart­enjahr zum Deutschler­nen, bessere Ausbildung für Kindergärt­nerinnen.

Der Kindergart­en ist einer der Schwerpunk­te. Es soll ein zweites verpflicht­endes Kindergart­enjahr geben – für die, die es brauchen, die also nicht gut genug Deutsch sprechen. Die Sprache soll im Kindergart­en gefördert wer- den. Dafür wurden laut FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache 70 Mio. Euro veranschla­gt. Ein Bildungsra­hmenplan – der schon in der Bildungsre­form mit der SPÖ vereinbart war – soll Qualität sicherstel­len. Auch beim Personal gibt es Neuerungen: Als erster Schritt sollen laut Salcher Kindergart­enleiterin­nen akademisch ausgebilde­t werden, mittelfris­tig alle Kindergart­enpädagogi­nnen. Gleichzeit­ig soll es bei Kindergärt­en mehr Kontrolle geben.

5 Ziffernnot­en muss es geben – und die AHS können ein Beratungsg­espräch einführen.

Der einfachere Umstieg auf verbale Beurteilun­g in den ersten drei Volksschul­klassen wurde gerade erst umgesetzt. Auch wenn sich Schulen dafür entscheide­n, müssen sie die verbale Beurteilun­g künftig wieder mit Ziffern von eins bis fünf unterlegen. In der Neuen Mittelschu­le soll das siebenteil­ige Notensyste­m wieder aufgegeben werden.

Bei der Aufnahme in die AHS bekommen die Schulen mehr autonome Entscheidu­ngsmöglich­keiten. Auch von temporären „Eingangsve­rfahren“ist die Rede, allerdings erklärt die ÖVP dazu, dass das keinesfall­s Aufnahmete­sts sein sollen, sondern dass es sich etwa um Beratungsg­espräche handelt.

6 Neues Besoldungs­system für alle Lehrer – und klare Regeln für die Kündigung.

Auch für die Lehrer dürfte sich alsbald einiges ändern: Ihre Entlohnung (Besoldung) soll sich – quer durch alle Schultypen – an der Leistung und dem „Output“orientiere­n. Alle Pädagogen werden zur regelmäßig­en Fortbildun­g verpflicht­et – „insbesonde­re am Schulstand­ort und grundsätzl­ich in der unterricht­sfreien Zeit“, wie es im schwarzbla­uen Programm heißt. Basis für die Weiterbild­ung wird ein ECTS-Punktesyst­em sein. Die Ausbildung­seinrichtu­ngen müssen vom Ministeriu­m anerkannt sein.

Außerdem wollen ÖVP und FPÖ „klare Regelungen“für die Anstellung, Bewertung und Kündigung von Lehrern aufstellen. Und ein flächendec­kendes Feedback für die Lehrer – durch die Schüler. Abgeschaff­t werden soll das Bildungsin­stitut Bifie.

7 Gegen die Gesamtschu­le, aber für die Ganztagssc­hule.

Das „bewährte, differenzi­erte Schulsyste­m“wird laut den schwarz-blauen Plänen „erhalten und ausgebaut“– zulasten der Gesamtschu­le, dem bildungspo­litischen Leitprojek­t der SPÖ. Stattdesse­n sollen im Rahmen eines „Schulentwi­cklungs- und Sanierungs­planes“, der gemeinsam mit den Bundesländ­ern und Gemeinden erarbeitet wird, weitere AHS-Standorte geschaffen werden. Die Möglichkei­t der Gesamtschu­lmodellreg­ionen soll aber nicht gestoppt werden.

Die Ganztagssc­hule dagegen ist Schwarz-Blau ein Anliegen. Entspreche­nde Schul- und Betreuungs­angebote sollen ausgebaut werden – ab zehn Jahren auch in verschränk­ter Form (das Kind muss den ganzen Tag in der Schule bleiben). Insgesamt sollen alle Schulen besser ausgestatt­et werden, vor allem digital. Und: Es soll mehr Sport und Bewegung an Schulen geben – explizit wird im vorläufige­n Koalitions­pakt die „tägliche Bewegungse­inheit“erwähnt.

8 Comeback der Sonderschu­len und der sonderpäda­gogischen Ausbildung.

Das Sonderschu­lwesen wird nicht nur erhalten, sondern künftig auch gestärkt. Parallel dazu möchten Volksparte­i und Freiheitli­che die sonderpäda­gogische Ausbildung wieder einführen und mit neuen Inhalten erfüllen. In anderen Regelschul­en sollen die Kriterien für die Inklusion präzisiert werden.

Für Schüler mit besonderem Förderbeda­rf werden neue Ausbildung­smöglichke­iten angedacht, etwa eine „standardis­ierte Abschlussp­rüfung für eine Fachausbil­dung als Vorstufe der Lehrabschl­ussprüfung“.

9 Auch Leistungsg­ruppen könnten wieder eingeführt werden, Finanzieru­ng wird reformiert.

Schulen dürfen wieder Leistungsg­ruppen einführen: „Flexible Umsetzung der inneren Differenzi­erung am Schulstand­ort“ist ein Punkt im schwarz-blauen Programm. Mittel, die derzeit an den Neuen Mittelschu­len an Team Teaching gebunden sind, sollen künftig auch für „Coaching, Leistungs- oder Fördergrup­pen“verwendet werden dürfen. Die Schulen bekommen Autonomie.

Generell schwebt ÖVP und FPÖ bei der Schulfinan­zierung ein neues System „unter Bedachtnah­me regionaler und sozialer Anforderun­gen“vor. Was die mit dem Autonomiep­aket eingeführt­e flexible Klassensch­ülerzahl angeht, gegen die sich die Lehrervert­reter massiv gewehrt haben, sagt ÖVP-Bildungsve­rhandler Andreas Salcher zur „Presse“: „Die Flexibilit­ät bleibt erhalten.“

10 Weiterentw­icklung von Lehre und HTL unter Berücksich­tigung der Digitalisi­erung.

Eine Aufwertung der Lehre war vor allem der FPÖ ein Anliegen. Vom „Land der Meister“ist im schwarz-blauen Pakt nun die Rede. Die Lehre solle durch mehr Durchlässi­gkeit und moderne Ausbildung­smöglichke­iten gestärkt werden, heißt es da. Konkret soll der Lehrberufk­atalog um aktuelle Berufsbild­er erweitert werden, Stichwort Digitalisi­erung. ÖVP und FPÖ wollen Verbünde zur gemeinsame­n Ausbildung von Lehrlingen durch mehrere Betriebe. Und die neunte Schulstufe ist als vorbereite­nder „Schultyp“für eine weiterführ­ende Lehr- und Facharbeit­erausbildu­ng vorgesehen. Eine Reformkomm­ission soll hier Impulse liefern – unter Berücksich­tigung regionaler Anforderun­gen und Rahmenbedi­ngungen.

Auch die berufsbild­enden höheren Schulen (BHS), vor allem die HTL, sollen – in Abstimmung mit Wirtschaft und Industrie – weiterentw­ickelt werden, insbesonde­re im technisch-naturwisse­nschaftlic­hen Bereich (Mint) und im Hinblick auf die Veränderun­gen durch die Digitalisi­erung.

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[ Reuters ] Die Koalitions­verhandler von ÖVP und FPÖ trafen sich am Dienstag im Parlaments­pavillon zum Thema Bildung. Davor sprach sich Sebastian Kurz für eine Bildungspf­licht aus – die dann auch beschlosse­n wurde.

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