Interview mit Tirols Landeshauptmann Günther Platter
Interview. Tirols Landeshauptmann Platter möchte Finanzhoheit mit eigenen Einkommensteuertarifen, befürwortet einen Europapass und gibt Tipps für den Umgang in der künftigen Regierung.
Die Presse: Sie waren Minister in der schwarz-blauen Regierung von Wolfgang Schüssel. Was können Sie denn den Politikerkollegen der baldigen Neuauflage mit auf den Weg gebe? Günther Platter: Das Entscheidende ist gegenseitiges Vertrauen, Verlässlichkeit und nicht zu versuchen, den Koalitionspartner auszuspielen – und das meine ich in beide Richtungen. Man muss auch die Schmerzgrenzen des Partners bedenken, man darf ihn nicht überfordern.
War das das Problem in der Regierung Schüssel II? Naja, so unerfolgreich war die Regierung damals nicht. Wenn ich mich an die Schlagzeilen erinnere von 2006, als es hieß, Österreich sei das bessere Deutschland. So schlecht hat das nicht funktioniert. Man muss aber diesmal auch mit der Besetzung der Regierung dafür sorgen, dass es nicht ständige Personalwechsel gibt, wie es damals teilweise der Fall war, sondern Stabilität.
Ist dazu ein Minister aus Tirol notwendig? Ich halte mediale Zurufe in dieser Frage für wenig hilfreich, solche Fragen bespreche ich mit Sebastian Kurz persönlich. Es braucht in der Politik eine gewisse Disziplin und das beinhaltet, dass es keine Zurufe aus dem wilden Westen in Richtung Osten gibt.
Disziplin – das ist aber eine ganz neue Eigenschaft für die ÖVP. Wenn die interne Kommunikation funktioniert, dann sind auch keine öffentlichen Diskussionen und Zurufe notwendig. Es gibt einen vertrauensvollen Austausch, und der funktioniert in der neuen ÖVP ausgezeichnet.
Das ist ja interessant, dass plötzlich mächtige Landeschefs akzeptieren, wenn ihnen jemand Linien und Positionen vorgibt und sagt, er lässt sich nicht bei Personalfragen reinreden. So sehe ich das nicht. Es wird nicht einfach vorgegeben, das würde auch nie funktionieren. Es geht darum, dass man sich austauscht und Fragen bespricht. Es muss aber natürlich derjenige, der die Hauptverantwortung trägt, am Ende die Entscheidungen treffen – und das hat man zur Kenntnis zu nehmen. Wir machen das in Tirol genauso.
Was erwarten Sie sich von der künftigen Regierung? Ich erwarte mir vor allem, dass sie bei den Zukunftsthemen Bildung, Digitalisierung, Forschung, Entwicklung aber auch beim Arbeitsmarkt Tempo macht, damit wir in Europa wieder stärker vorne mitspielen können.
Was auch kommen wird, ist eine Verwaltungsreform, und dazu gehört eine Zusammenlegung der Krankenkassen. Würden Sie eine Abschaffung der Tiroler Gebietskrankenkasse zur Kenntnis nehmen? Wenn jetzt jeder rote Linien festlegt, wird es keine Koalition geben, dann gibt es Neuwahlen, und das will niemand. Man muss festlegen, welche Strukturen notwendig sind, damit die Länder Finanz- und Gestaltungshoheit haben. Da kann man durchaus Reformen durchführen, da ist einiges machbar.
Also auch eine Zusammenlegung der neun Krankenkassen auf eine, zwei oder drei? Auf Zahlen lege ich mich nicht fest, wichtig ist, dass es in den Ländern Gestaltungshoheit gibt. Gesundheitsfragen sind sehr sensibel, und da braucht es sowohl finanziell als auch organisatorisch Spielraum, um die Bedürfnisse der Regionen abzudecken. Wien ist anders als Tirol oder Vorarlberg. Es geht um Inhalte, nicht um Organisationsstrukturen.
Bei einer Bundesstaatsreform geht es auch immer um Finanzen. Würde man sich nicht viel Streit sparen, wenn man den Ländern einfach Steuerhoheit gibt? Ich bin ein großer Befürworter davon. Die Länder sollen durchaus Verantwortung übernehmen, die Schweiz zeigt vor, wie so etwas funktionieren kann. Dort gibt es durch die Steuerhoheit einen Wettbewerb zwischen den Kantonen, und Wettbewerb schadet in der Politik nie.
Das könnte bis zu verschiedenen Einkommensteuertarifen in den Bundesländern gehen? Ja. Aber so etwas kann man nicht in einer Legislaturperiode umsetzen, das dauert viele Jahre. Aber erstrebenswert ist es.
Es soll ja künftig für Südtiroler eine Doppelstaatsbürgerschaft geben, ist das der erste Schritt in Richtung eines neuen, gemeinsamen Tirols? Wir leben im Europa der Regionen, so etwas wäre ein Schritt zurück. Die historische Unrechtsgrenze zwischen Österreich und Italien gibt es jetzt fast schon 100 Jahre, das ist ein Faktum. Wir treten als Europaregion Tirol – das inkludiert Südtirol und auch das Trentino, also Welschtirol – schon jetzt gemeinsam auf. Als Landes- hauptmann von Tirol liegt es in der Natur der Sache, dass ich den Wunsch der österreichischen Minderheit in Südtirol nach einer Doppelstaatsbürgerschaft genau wie mein Amtskollege in Südtirol unterstütze. Mittelfristiges Ziel ist ein Europapass, dann hören auch diese Debatten auf.
Sie haben in Tirol Ende Februar eine Landtagswahl. Es scheint, dass Sie einen heftigen Konflikt mit Bayern riskieren, weil Sie zur Verkehrsberuhigung in Tirol die Lkw an der Grenze nur noch in Blöcken abfertigen lassen. Ich muss das tun, was für Tirol wichtig ist, ich bin nicht dazu da, mich in den Nachbarländern beliebt zu machen. Wir haben pro Jahr 2,2 Millionen Lkw, die durch Tirol fahren, das ist eine dramatische Dimension und für das Land schädlich. Es kann nicht sein, dass sich in Bayern nichts tut beim Aufbau einer Infrastruktur, um die Lkw von der Straße auf die Schiene zu bringen. Bei den Planungen für die Zulaufstrecken des Brennerbasistunnels hinken die Bayern massiv hinterher. So lange es keine Besserung gibt, so lange wird es diese Blockabfertigung an bestimmten Tagen geben, damit maximal 250 bis 300 Lkw pro Stunde durchs Inntal fahren.
Das kann aber keine Dauerlösung sein. Nein, das stimmt. Langfristig muss man die Maut zwischen München und Verona auf das viel höhere Niveau von Tirol anheben, um die Strecke weniger attraktiv zu machen. Dann gibt es keinen Umwegtransit mehr und die Bahn wird attraktiv.
Auf welche Zahl will man die Lkw-Fahrten reduzieren? Wir streben mehr als eine Halbierung an, bis 2030 soll es maximal eine Million Lkw-Fahrten im Jahr geben.
Apropos Grenze: Die Problematik der illegalen Einwanderung an der Brennergrenze, die im Wahlkampf ja ganz dramatisch dargestellt wurde, scheint sich beruhigt zu haben. Es ist noch immer nicht alles erledigt, aber es ist gelungen, die illegale Immigration deutlich südlich des Brenners zu stoppen. Früher waren teilweise Züge voll von Flüchtlingen, das gibt es nicht mehr, das Problem ist mittlerweile überschaubar. Aber wenn die Italiener wieder durchwinken, können wir binnen 24 Stunden massive Kontrollen hochfahren und die Grenze zwischen Italien und Tirol dichtmachen.
Noch einmal eine Frage zur künftigen Regierung: Möglicherweise wird Andrä Rupprechter nicht mehr Landwirtschaftsminister sein. Hätte man für ihn einen Platz in Tirol? Bei den Was-Wäre-Wenn-Spielen mache ich nicht mit.