Die Presse

Glyphosat als pures Gift für Schwarz-Rot

Streit in geschäftsf­ührender Regierung erschwert die Koalitions­suche in Berlin.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Der Eklat kommt zur Unzeit. Morgen, Donnerstag, treffen sich Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz im Schloss Bellevue. Es könnte das Fanal für Koalitions­gespräche zwischen CDU/CSU und SPD sein. Doch nun belastet ein Streit der schwarz-roten Regierung, noch immer geschäftsf­ührend im Amt, mögliche schwarzrot­e Sondierung­en.

Die Beamten von CSU-Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt hatten am Montag in Brüssel der Verlängeru­ng der Zulassung des Unkrautver­nichters Glyphosat zugestimmt. Das ist deshalb so brisant, weil SPD-Umweltmini­sterin Barbara Hendricks genau das ablehnte. Deutschlan­d hätte sich wegen der Ressortdif­ferenzen enthalten müssen. Die SPD schäumt über den „klaren Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung der Bundesregi­erung“.

Die düpierte Umweltmini­sterin ist noch am Tag danach stinksauer: „Man kann so nicht regieren. Das geht einfach nicht.“Die Kanzlerin müsse nun „etwas unternehme­n, um diesen Vertrauens­verlust zu heilen“, sagt Hendricks und deutet an, dass sie sich darunter auch eine Entlassung Schmidts vorstellen könnte. Fordern würde sie so etwas freilich nicht. Zwei SPD-Vizepartei­chefs klagen über „Wortbruch“und „Vertrauens­bruch“, ein Abgeordnet­er aus der dritten Reihe, Marco Bülow, sieht sich bestätigt, dass eine neue Große Koalition „unmöglich“sei.

Eine Frage taucht immer wieder auf: Was wusste Merkel? Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt stellt zwar klar, dass er auf eigene Faust „in meiner Ressortver­antwortung“handelte. Aber hat er Merkel, die der SPD fast zeitgleich mit der Abstimmung „ernsthafte und redliche“Koalitions­gespräche anbot, vorab unterricht­et? Der Frage weicht Schmidt aus. Merkel müsse Stellung nehmen, heißt es nun überall. Tut sie dann auch. Sie rügt den CSU-Minister öffentlich für den Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung. „Es ist etwas, das sich nicht wiederhole­n darf.“ Sonst sei ein „gedeihlich­es, gemeinsame­s Arbeiten in der Bundesregi­erung nicht möglich“. Das habe sie Schmidt auch gesagt. In der Sache sei sie aber näher an der Position des Landwirtsc­haftsminis­ters. Merkel ist im Dilemma: Die Rüge für Schmidt mag dem Streit die Spitze nehmen, zugleich dürfte ihr die SPD den Alleingang des Ministers nun als Führungssc­hwäche auslegen. „Ich muss mich fragen, ob da die Mäuse auf dem Tisch tanzen“, hatte SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles schon am Mittwoch erklärt.

Was heißt „geschäftsf­ührend“?

„Der Konflikt um das Glyphosat-Votum führt noch einmal vor Augen, dass die schwarzrot­e Regierung ja noch im Amt ist und auch die ganze Zeit war, als die SPD im Bundestag die Opposition­srolle einübte und CDU, CSU, FDP und Grüne noch über Jamaika verhandelt­en. Merkel bezeichnet sich in diesen Tagen formal korrekt als „geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin“. Rein theoretisc­h könnte der Zustand bis zum Ende der Legislatur­periode andauern. Und streng juristisch macht es keinen Unterschie­d, ob eine Regierung regulär oder nur geschäftsf­ührend im Amt ist. Mit zwei Ausnahmen: Neue Minister können nicht ernannt werden. Weshalb Deutschlan­d nun ein Schrumpfka­binett regiert oder besser: verwaltet. Peter Altmaier zum Beispiel, Merkels Allzweckwa­ffe, ist Kanzleramt­s- und Finanzmini­ster in Personalun­ion, und Schmidt, der für den Glyphosat-Eklat sorgte, saß gestern beim Dieselgipf­el am Verhandlun­gstisch. Diesmal als Verkehrsmi­nister. Die zweite Ausnahme: Merkel kann keine Vertrauens­frage stellen, weil sie dieser Bundestag ja nie gewählt hat. Damit ist auch der Weg zu schnellen Neuwahlen verbaut.

Es ist jedoch geübte Praxis, dass sich die geschäftsf­ührende Regierung politische Zurückhalt­ung auferlegt. „Wir werden keine neuen Festlegung­en treffen, die der nächsten Regierung in großen politische­n Fragen die Hände binden würde“, sagte Altmaier nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche. Deutsch-französisc­he Arbeitstre­ffen sind ausgesetzt. Emmanuel Macron muss daher mit seinen ehrgeizige­n EU-Reformplän­en vermutlich warten. Wobei die Regierung nach wie vor eine Mehrheit im Bundestag hat, anders als Schwarz-Gelb 2013. Wie lange das nun so weitergeht, weiß niemand. Die Junge Union, der eher konservati­ve Parteinach­wuchs, verlangte von CDU/CSU und SPD zwar ein Verhandlun­gsergebnis bis Weihnachte­n. CDU-Fraktionsv­ize Julia Klöckner hält von derlei Fristen aber nichts. Sie rechnet damit, dass Koalitions­verhandlun­gen erst im Jänner beginnen – falls es überhaupt welche gibt. Bis dahin halten die Geschäftsf­ührer den Laden am Laufen.

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[ APA ] Vereint in der geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung: SPD-Außenminis­ter Gabriel und CDU-Kanzlerin Merkel.

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