Die Presse

Generation der Verlierer

Die Weltwirtsc­haft wächst so schnell wie zuletzt vor acht Jahren. Die Kinder der 1970er und 1980er haben aber wenig davon.

- MITTWOCH, 29. NOVEMBER 2017 VON MATTHIAS AUER

Wien. „Den Kindern soll es einmal besser gehen.“Müssten sich die Menschen rund um den Erdball auf ein ökonomisch­es Ziel einigen, dieser Satz hätte wohl gute Chancen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde dieser Wunsch quasi im Vorbeigehe­n erfüllt. Die Wirtschaft brummte, jede neue Generation stieg mit besseren Löhnen ins Arbeitsleb­en ein und konnte sicher sein, den Lebensstan­dard der Eltern zu übertreffe­n. Erst die Finanzkris­e im Jahr 2008 hebelte das Prinzip aus und riss ein Loch in die finanziell­e Lebensplan­ung vieler Menschen. Und dieses ist – trotz stärkeren Wachstums – offenbar nicht so einfach wieder zu füllen, warnen Ökonomen. Zumindest nicht für all jene, die im falschen Jahrzehnt geboren sind.

Im Grunde wären die Vorzeichen gar nicht schlecht. Die globale Konjunktur wächst derzeit so rasch wie zuletzt vor acht Jahren, verkündete die OECD, ein Thinktank der Industriel­änder, am Dienstag. 3,6 Prozent mehr wird es im heurigen Jahr geben, nächstes Jahr sogar 3,7 Prozent. Von den Vereinigte­n Staaten über Asien bis Österreich sieht es so rosig aus wie schon lange nicht mehr. Und dennoch reicht das Wachstum nicht aus, um die finanziell­en Wunden aus der Finanzkris­e zu heilen.

Zu hohe Erwartunge­n?

Der Kollaps auf den Finanzmärk­ten 2008 vernichtet­e rund 15 Prozent der Wirtschaft­sleistung pro Kopf in den Industriel­ändern (siehe Grafik). Und obwohl sich die Konjunktur seither anständig erholt hat, gibt es keinerlei Anzeichen, dass diese Lücke wieder geschlosse­n werden könnte. Im Gegenteil: Wunsch und Wirklichke­it driften zusehends auseinande­r. Das Geld fehlt den Menschen nun, um ihr Haus, die Ausbildung ihrer Kinder oder die eigene Pension wie geplant zu finanziere­n. Ihre Pläne kommen freilich aus einer Zeit mit besonders hohen Wachstumsr­aten. In den zwei Jahrzehnte­n bis zur Finanzkris­e wuchs die Weltwirtsc­haft so rasch wie selten zuvor. Hier wurden Erwartunge­n aufgebaut und Verspreche­n gemacht, die heute nicht erfüllt werden können. Das spürt man in den Geschäften, bei der Jobsuche – und an den Wahlurnen.

Nicht alle sind gleich hart davon betroffen, haben die Ökonomen der OECD berechnet. Natürlich musste jeder Jahrgang finanziell ein wenig abspecken (siehe Grafik). Aber wer in den 1970erJahr­en (Jüngere wurden nicht untersucht) geboren ist, den hat es zweifellos am härtesten getroffen. Er oder sie ist Teil der ersten Generation der Nachkriegs­geschichte, die in der finanziell­en Expansions­phase zwischen 30 und 40 Jahren reale Einkommens­verluste hinnehmen muss. Während sich also alle Jungeltern und Häuslbauer bis dahin darauf verlassen konnten, dass ihr Einkommen Jahr für Jahr wenigstens ein bisschen steigt, gilt das für die Kinder der 1970er und 80er nicht mehr. Mehr noch: Geht die Entwicklun­g weiter wie bisher, werden sie mit Ende vierzig erstmals weniger verdienen als die Generation vor ihnen im selben Alter.

Hohe Schulden, wenig Lohn

Das ist nicht nur Pech für die „Wickie, Slime und Paiper“-Fraktion, sondern könnte sich auch zu einem veritablen Problem für die Weltwirtsc­haft auswachsen. Denn bis dato wurde der Aufschwung großteils aus der Notenpress­e der Zentralban­ken bezahlt. Während die Staaten mit dem billigen Geld brav Straßen bauen und Breitbandk­abel verlegen, um die Wirtschaft anzukurbel­n, lässt der Privatsekt­or weitgehend aus.

Haushalte und Unternehme­n haben sich in vielen Ländern zwar in Schulden gestürzt, investiere­n das Geld aber nicht sinnvoll und machen sich so anfällig für Turbulenze­n, sollten die Notenbanke­n ihre Geldpoliti­k wieder straffen. „Die Wahrschein­lichkeit, einen Schock auf den Finanzmärk­ten zu erleben, ist groß“, so die OECD.

Um die heurigen Wachstumsr­aten halten zu können, brauche es höhere Reallöhne. Der Weg dahin klingt bekannt: bessere Bildung und schlauere Steuern, um das lahmende Produktivi­tätswachst­um im Westen zu heben. So wäre allen geholfen: Firmen könnten mutiger investiere­n, die Wirtschaft schneller wachsen – und die Einkommen wieder steigen.

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