Die Presse

Eins, zwei, drei, vier, fünf: Was Ziffernnot­en (nicht) können

Noten sind nicht so aussagekrä­ftig, wie manche meinen. Wichtiger als Ziffern ist jedenfalls, was in der Klasse passiert. Und dass es dafür das nötige Geld gibt.

- Mehr zum Thema: Seiten 1–3 E-Mails: bernadette.bayrhammer@diepresse.com

D ass die Ziffern von eins bis fünf jetzt wieder an allen Schulen verwendet werden sollen, hat Symbolwert: Die Noten sind die paradigmat­ische Abgrenzung zur bisherigen Bildungspo­litik. Zudem ist das Zeugnis, dieser Zettel Papier, eines der greifbarst­en bildungspo­litischen Elemente in der Schulpolit­ik – für Eltern und Lehrer wie für Schüler. Und die Frage nach eins, zwei, drei, vier und fünf oder „Lukas ist ein guter Leser, tut sich bei der Rechtschre­ibung aber schwer“verkörpert einen altbekannt­en und mitunter auch lustvoll geführten Streit: Wohlfühlpä­dagogik versus Leistungso­rientierun­g.

Ob unbedingt Sechsjähri­ge die Leistungso­rientierun­g schon in Form von Ziffernnot­en spüren müssen, darüber gibt es Zweifel: Nicht umsonst haben viele Volksschul­en – inzwischen autonom, in Abstimmung zwischen Eltern und Lehrern – die Zahlen eins bis fünf in den ersten Jahren aus dem Zeugnis gestrichen. Es gibt immerhin in der gesamten Schulkarri­ere wohl kaum einen Zeitpunkt, zu dem Kinder noch so lernbegier­ig sind, wie am Anfang. Meistens auch ganz ohne äußeren Druck – und auch ohne zwingende äußere Motivation, wie dem Einser im Zeugnis.

Wenn sie gut umgesetzt ist, hat eine verbale Leistungsb­eurteilung das Potenzial, das Richtige zu tun: Detaillier­te Rückmeldun­g darüber zu geben, wo es hakt und was gelingt. Und besser als jede Ziffer ein Wegweiser zu sein. Tückisch ist, dass sich bisweilen Standardfl­oskeln einschleic­hen. Ein beliebtes Gegenargum­ent: Dass schwammige oder beschönige­nde Formulieru­ngen verschleie­rn könnten, wie es um die Leistung eines Schülers nun wirklich steht. Und dass dann, in der vierten Klasse, wenn die Ziffern für die Frage, ob es mit dem Gymnasium hinhaut, notwendig sind, das böse Erwachen kommt. D a dann doch lieber zumindest zusätzlich von Anfang an Noten, mag mancher sich jetzt denken: Die Gefahr, dass die – autonom weiter mögliche verbale Beurteilun­g – zu einer reinen Übersetzun­g der Ziffern verkommt, ist dann allerdings noch größer als jetzt schon. Dass Lehrerinne­n und Lehrer sich über doppelte Zensuren (und doppelten Aufwand) nicht freuen dürften, davon kann man ausgehen. Und: So aussagekrä­ftig, wie manche meinen, sind Ziffernnot­en ohnedies nicht. Dass (in Deutschlan­d) die Kevins, Justins und Marvins bei gleicher Leistung schlechter benotet werden als Buben mit mehr verspreche­nden Vornamen wie Jakob, Lukas oder Alexander, ist vielleicht die plakativst­e Aussage. Fakt ist: Benotung ist eine heikle Sache. Auch heimische Forscher zeigen, dass Volksschül­er, die in Deutsch ein Sehr gut haben, teils vollkommen unterschie­dliche Deutschlei­stungen erbringen. Und das, während die Noten für die weitere Bildungska­rriere eine gewaltige Rolle spielen.

Angesichts von Druck und Fehleranfä­lligkeit ist das Vorhaben, die Aufnahme ins Gymnasium anders zu gestalten als ausschließ­lich anhand der Noten, interessan­t. Die Frage ist, wie die „Möglichkei­t von Eingangsve­rfahren“tatsächlic­h aussieht. Die Wiedereinf­ührung des AHSAufnahm­etests sollte es nicht sein – das sagt aber ohnedies auch die ÖVP. ElternSchü­ler-Lehrer-Gespräche könnten sinnvoll sein, vielleicht auch die Berücksich­tigung von Potenziala­nalysen oder standardis­ierten Leistungen. Denn derzeit ist zu oft der Fall, dass leistungss­tarke Kinder aus den „falschen“Familien zu Unrecht nicht im Gymnasium landen. N oten sind jedenfalls so oder so – bei aller Symbolkraf­t – sicher nicht das Element, das die Schulen und ihre Leistungen wesentlich verbessern (oder verschlech­tern) wird. Wobei das Vorhaben, das undurchsch­aubare siebenteil­ige Notensyste­m in der Neuen Mittelschu­le zu kippen, sicher vernünftig ist. Worum es geht, ist das, was in den Wochen vor dem Zeugnistag in den Klassen passiert.

Ähnliches gilt übrigens auch für die neue Bildungspf­licht: Die ist prinzipiel­l ein vernünftig­er Ansatz. Dafür brauchen die Kindergärt­en und die Schulen aber auch von Anfang an die entspreche­nden finanziell­en Ressourcen (und nicht nur neue Regeln). Sonst sitzen leseunfähi­ge Jugendlich­e künftig nämlich einfach nur ein paar Jahre mehr in den Klassen ab.

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VON BERNADETTE BAYRHAMMER

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