Die Presse

„Sie holen 200 Flüchtling­e“

Deutschlan­d. Ein für seine liberale Flüchtling­spolitik bekannter Bürgermeis­ter wird Opfer eines Messerangr­iffs. Der Fall löst Entsetzen aus.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Altena/Berlin. Altena ist eine kleine Stadt im Sauerland. Sie zählt gerade einmal 17.000 Einwohner. Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise brachte es der Ort dennoch zu einiger Berühmthei­t. Altena nahm freiwillig mehr Flüchtling­e auf als zugewiesen. Der Zuzug war erwünscht, zumal die Einwohnerz­ahlen seit Jahrzehnte­n schrumpfen und viele Wohnungen leer standen. Als sich Dienstagfr­üh die Nachricht eines Messerangr­iffs auf Bürgermeis­ter Andreas Hollstein (CDU) verbreitet, sorgt das deutschlan­dweit für Bestürzung. Hollstein wurde am Hals verletzt. Die Polizei geht von einem fremdenfei­ndlichen Motiv aus.

„Ich bin entsetzt“, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte Hollstein heuer den Nationalen Integratio­nspreis überreicht. „Vom Flüchtling zum Altenaer Mitbürger“nennt sich das prämierte Konzept, das unter anderem vorsieht, dass Flüchtling­e in Wohnungen mit Nachbarsch­aftskontak­t statt in anonymen Sammelstel­len untergebra­cht werden. Jeder Flüchtling­sfamilie wird ein „Kümmerer“zur Seite gestellt. Sie tun viel, damit die Integratio­n gelingt. Das Zusammenle­ben sei „absolut unproblema­tisch“, sagt Bürgermeis­ter Hollstein, der am Dienstag vor die Presse tritt. Der 54-jährige Familienva­ter hat schon eine Krebserkra­nkung überstande­n und nun am Montagaben­d einen Messerangr­iff in einer Imbissstub­e. Hollstein spricht von seinem „dritten Geburtstag“. Am Hals trägt er einen Wundverban­d. Darunter ist eine nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft 15 Zentimeter lange Schnittwun­de, die aber nur „geklebt“werden musste.

Hollstein stellt den Angriff in einen größeren Zusammenha­ng. Er sieht sich als Opfer eines Klimas von Hass und Hetze. „Dieser Mensch ist für mich durch Brunnenver­giftung (..) zum Werkzeug geworden“, sagt er. Er schilderte auch noch einmal den Angriff: Der betrunkene Täter soll demnach zu ihm gesagt haben: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtling­e nach Altena. Dann griff er Hollstein mit dem Messer an. Der Besitzer der Imbissbude und sein Sohn stürzten sich später auf den Angreifer, einen 56-jährigen Deutschen. Gegen den arbeitslos­en Maurer wird wegen Mordversuc­hs ermittelt. Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft gibt es auch Hinweise auf psychische Probleme. Hollstein erreichten nach eigenen Angaben E-Mails, deren Verfasser den Angriff „für richtig“hielten.

Der Fall weckt Erinnerung­en an den Angriff auf Henriette Reker: Die heutige Kölner Oberbürger­meisterin wurde 2015 wegen ihrer liberalen Flüchtling­spolitik mit dem Messer lebensgefä­hrlich verletzt.

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[ APA ] Hollstein: „Habe um mein Leben gefürchtet.“

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