„Er hatte keine Überlebenschance“
Geschworenenprozess. Nach der tödlichen Gasexplosion, die sich in Wien-Hernals bei einer Delogierung ereignet hatte, wurde der Angeklagte durch Gutachten schwer belastet.
Wien. Ein Altbau-Wohnhaus in Wien-Hernals; ein arbeitsloser Mann, der ebendort seit 33 Jahren in einer bescheidenen Ein-Zimmer-Wohnung lebt – aber aufgehört hat, die Miete zu bezahlen; ein Hausverwalter, der das Unvermeidliche vorantreibt: die Delogierung.
Das sind die Eckpunkte, denen am 26. Jänner dieses Jahres dramatische Ereignisse folgten – Ereignisse, die seit Anfang November Gegenstand eines Geschworenenprozesses sind. Es geht um Mord. Und um 23-fachen Mordversuch. Am Dienstag kam es im Gerichtssaal zur Erörterung von brisanten Gutachten.
Die Anklage ist rasch erklärt: Der gelernte Maurer Anton Sch. (56) – er lebte längere Zeit von der Sozialhilfe – soll dafür gesorgt haben, dass in der Wohnung Gas ausströmt. Just in dem Moment, als sich der Hausverwalter und der Exekutor mit Hilfe eines Schlossers und einiger Arbeiter Zutritt zu der Wohnung verschafften, soll Sch. das Gas zur Explosion gebracht haben.
Dem Hausverwalter, einem 64-jährigen Anwalt, wurde durch die wegfliegende Eingangstüre der Schädel zertrümmert. „Er hatte keine Überlebenschance“, sagte dazu am Mittwoch der gerichtsmedizinische Gutachter Nikolaus Klupp. Die Wucht der Explosion war so groß, dass ein erst zwei Wochen altes Mädchen, das in der Nachbarwohnung im Bett lag, unter Mauerteilen verschüttet wurde, aber überlebte. Andere in dem Haus lebende Personen, sowie der Exekutor und der Schlosser wurden schwer verletzt. Die Anklage nimmt an, dass Sch. den Tod von weiteren 23 Menschen in Kauf nahm.
Manipulation des Gashahns
Brand- und Explosionsermittler Franz Schneeflock erklärte nun, welche Handlungen der Explosion vorangegangen sein könnten: Als der vom Hausverwalter beige- zogene Schlosser an der abgesperrten Wohnungstür des Angeklagten hantierte (auf Klopfen reagierte Sch. nicht), sei in der Wohnung der Gashahns geöffnet worden.
Schaden auch an anderen Häusern
Das Gas konnte laut Anklage nur ausströmen, weil Sch. durch Manipulationen an der Leitung dafür gesorgt habe. Denn schon einige Zeit vor der Delogierung war dem 56-Jährigen sowohl Gas als auch Strom abgedreht worden.
Jedenfalls hatte sich drei bis fünf Minuten nach Öffnen des Gashahns in der Wohnung ein zündfähiges Gas-Luft-Gemisch gebildet. Dieses dürfte mittels Feuerzeug zur Explosion gebracht worden sein. Die Explosion sei zweifelsfrei im Wohnraum erfolgt. Nicht etwa an der Wohnungstüre – dies ist deshalb relevant, da Sch. in den Raum gestellt hat, das Aufbohren der Wohnungstüre könne die Katastrophe ausgelöst haben. Jedenfalls war die Druckwelle so stark, dass auch an angrenzenden Gebäuden Schäden auftraten.
Der Angeklagte selbst versichert nach wie vor, er sei von der Explosion überrascht worden. Er hätte ferngesehen, ehe es krachte. Dies sei möglich gewesen, da er sehr wohl Strom zur Verfügung gehabt habe.
„Ein Mann von hoher Streitbarkeit“
Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer beschrieb Sch. als eine Person von „hoher Streitbarkeit“. Der Mann neige zu „dauerhaftem Groll und Selbstbezogenheit“, weise eine geringe Frustrationstoleranz und ein geringes Gespür gegenüber sozialen Normen auf. Dafür würden ihn „vergröberte, oberflächliche Affekte sowie Wut und Schwierigkeiten im Umgang mit explosiven Impulsen“auszeichnen.
Insgesamt kam der Psychiater zum Schluss, dass beim Angeklagten eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung vorliege. Einem Schuldausschließungsgrund käme diese aber nicht gleich. Zurechnungsfähigkeit sei im Tatzeitpunkt sehr wohl gegeben gewesen. Unter der Annahme, dass der Mann die vorgeworfene Tat begangen habe (die Entscheidung darüber obliegt den Geschworenen) stuft Dantendorfer die Gefahr, dass der 56-Jährige neuerlich Straftaten mit schweren Folgen setzen wird, als hoch ein.
Die Verhandlung wird heute, Mittwoch, fortgesetzt. Das Urteil soll am 4. Dezember verkündet werden. (m. s./APA)