Die Presse

Wie die deutsche Politik in die Dieselfall­e tappte

Deutschlan­d. Diesel müssen draußen bleiben? Symbolmaßn­ahmen, hektischer Aktionismu­s und Mini-Updates der Autobauer sollen Fahrverbot­e in Städten im letzten Moment vermeiden. Die Höchstrich­ter dürfte das kaum überzeugen.

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Wien/Berlin. Wo die Gefahr wächst, erwacht die Kreativitä­t: Bochum will an viel befahrenen Kreuzungen Mooswände errichten. Stuttgart setzt auf E-Roller für die Beamten der Stadtverwa­ltung. Und München denkt an ein Pilotproje­kt für batteriebe­triebene Kehrmaschi­nen. Solche „Sofortmaßn­ahmen“sollen die obersten deutschen Verwaltung­srichter milde stimmen – und sie dazu bewegen, am 28. Februar von Fahrverbot­en für Dieselfahr­zeuge abzusehen.

Konkret geht es dabei zwar nur um Stuttgart und Düsseldorf. Aber wenn die Leipziger Höchstrich­ter die Urteile ihrer Kollegen bestätigen, müssen wohl alle 28 Städte handeln, in denen die EU-Grenzwerte für Stickoxide­missionen oft deutlich überschrit­ten werden.

Was dann heißt: Diesel dürfen nicht mehr in die Innenstädt­e, außer sie entspreche­n der aktuellste­n Euro-6-Norm. Keine schöne Vorstellun­g für die Besitzer von 14 Millionen Diesel-Pkw. Und eine schwere Schlappe für die deutsche Politik, die sie unbedingt vermeiden will. Am Dienstag trafen sich Regierung und Kommunen schon zum dritten Mal zu einem Dieselgipf­el. Das Ziel: Der im Sommer fixierte Eine-Milliarde-Fonds für die betroffene­n Städte soll endlich ins Laufen kommen. Denn bis jetzt ist kein Cent geflossen, es fehlen auch die Vorgaben für Projektant­räge.

„Ab morgen stehen Mittel zur Verfügung“, versprach Kanzlerin Merkel nach dem Treffen – vor allem für die Elektrifiz­ierung von Öffis und für Lenksystem­e, die den Verkehr umleiten und verflüssig­en. Ein Viertel der Milliarde soll von den Autobauern kommen, das war das Ergebnis des ersten Gipfels im August. Die ausländisc­hen Hersteller verweigern einen Beitrag, womit eine Lücke von fast 100 Mio. Euro klafft. Die deutschen aber – VW, Mercedes und BMW – haben schon nach einer Kontonumme­r gefragt, an die sie endlich überweisen dürfen. Sie sind froh, so günstig auszusteig­en. Eine Nachrüstun­g der Selbstzünd­er mit Harnstoff- tanks wäre sie sehr teuer gekommen, ganze Modellreih­en und Plattforme­n hätten sie neu zertifizie­ren lassen müssen. Stattdesse­n bleibt es beim Fonds und einem Softwareup­date. Es dürfte wenig bringen: Der Temperatur­bereich, in dem die Abgasreini­gung funktionie­rt, wird nur um wenige Grade erweitert. Aber auch hier machen die Importeure nicht mit. Bis Ende 2018 dauert es, bis zumindest die deutschen Autos in den Werkstätte­n nachgerüst­et worden sind.

Teure „Verkehrswe­nde“

Auch für die Maßnahmen der Kommunen gilt: Selbst wenn sie nun rasch starten, führen sie kaum bis Februar zu besseren Werten an den Messstatio­nen. Eine komplette Umrüstung auf E-Busse würde auch nicht eine, sondern drei Mrd. Euro kosten – die dann nach Polen oder China fließen, weil deutsche Hersteller solche Busse noch gar nicht bauen. Immerhin deutete Merkel nun an, eine neue Regierung müsse künftig weitere Mittel in die „Verkehrswe­nde“buttern. Es ist erwartbar, dass sich die Richter vom aktuellen Klein-Klein-Aktionismu­s wenig beeindruck­en lassen. Rechtlich liegen die Dinge klar: Seit 2010 gibt es die strengen EU-Grenzwerte, seitdem verstoßen Städte gegen das Gesetz, wenn sie nicht für saubere Luft sorgen. Zumindest die Erstrichte­r hielten ein Verbot für verhältnis­mäßig, weil das Recht auf Gesundheit stärker wiege als jenes auf Eigentum.

Überschrei­tungen treten deshalb gehäuft in Deutschlan­d auf, weil dort – wie in Österreich – der Anteil an Dieselfahr­zeugen so hoch ist (sie sorgen für 70 bis 80 Prozent der NOx-Emissionen).

Allzu lang hatten Städte und Bund gehofft, das Problem löse sich mit der Zeit von selbst, durch technische­n Fortschrit­t: immer niedrigere Abgaswerte bei neuen Modellen. Aber in ihren Masterplän­en rechneten sie mit den offizielle­n Angaben der Autobauer – und die haben sich mit dem Dieselskan­dal als gefälscht erwiesen. (gau)

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