Die Presse

Bei Autisten stimmt etwas mit der Nase nicht

Neurobiolo­gie. Unbewusst wahrgenomm­ene Gerüche, die etwas signalisie­ren, werden von den Gehirnen der Menschen mit dem sozialen Defizit falsch interpreti­ert, in ihr Gegenteil umgedeutet. Möglicherw­eise ist diese „soziale Dysosmie“nicht nur Symptom, sondern

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Von dem eigenartig­en Verhaltens­defizit, mit dem Menschen nicht in die Gesellscha­ft hineinfind­en, weiß man nicht viel. Fest steht nur, dass innerhalb der gesamten Bandbreite des autistisch­en Spektrums (ASD) viel mehr Männer betroffen sind als Frauen, und dass das Ganze sich oft früh daran zeigt, dass die Betroffene­n keinen Augenkonta­kt aufnehmen, schon als Babys mit ihren Müttern, später können sie Gesichtern keine Signale ablesen, vor allem nicht das der Furcht. Für die entspreche­nden Lautnuance­n haben sie auch kein gutes Gehör und für die entspreche­nden Düfte keine gute Nase.

Zumindest für Gerüche, die nicht bewusst, sondern subliminal wahrgenomm­en werden. Zwar deutete ein früheres Experiment auf eine generelle Schwäche beim Rie- chen: Man hatte Kindern mit und ohne ASD angenehme und widerwärti­ge Gerüche vor die Nase gehalten, die ASD-Kinder änderten das Atmen nicht, die anderen sogen die angenehme Luft tief ein und hielten von der anderen so viel draußen, wie sie nur konnten. Aber man hatte nur zwei ASD-Kinder im Test, die waren offenbar nicht repräsenta­tiv. Noam Sobel (Rehovot) hatte nun 20 und 20 Kontrollki­nder. Denen präsentier­te er zunächst verschiede­ne Duftstoffe bzw. -mischungen, die von Schweiß etwa. Bei deren Wahrnehmun­g gab es keine Differenze­n: ASD-Nasen sind so fein wie andere.

Aber nur bei Gerüchen, deren Wahrnehmun­g ins Bewusstsei­n dringt: In der zweiten Runde des Experiment­s hat Sobel den Kindern etwas vor die Nase gehalten, bei dem sie auf Befragen alle miteinande­r überhaupt nichts Besonderes rochen: Angstschwe­iß von Menschen, die gerade das Fallschirm­springen lernten. Solche Gerüche spielen als Signale selbst unter Menschen – die die Nase zugunsten der Augen abgewertet haben – eine große Rolle, sie werden zwar nicht als Signale ausgesandt, haben aber einen Informatio­nsgehalt, der von schnuppern­den Nasen bzw. Gehirnen verstanden werden kann.

Geruch von Angst nimmt Angst

Aber richtig verstanden werden sie nur von Gehirnen, die nicht an ASD leiden: Die Kinder der Kontrollgr­uppe reagierten auf den Angstschwe­iß mit eigener Angst – gemessen an der elektrisch­en Leitfähigk­eit der Haut –, bei den ASD-Kindern war es umgekehrt: Der Angstschwe­iß der Fallschirm­springer nahm ihnen ihre eigene Angst, ein angstfreie­r Kontrollsc­hweiß hingegen – von den gleichen Fallschirm­springern, aber im gefahrlo- sen Alltag von ihrer Haut genommen – brachte sie ihnen.

Derselbe Befund zeigte sich, als ein ziemlich lebensecht­er Roboter mit den Testkinder­n ins Gespräch kam, es ging ihm (bzw. den Experiment­atoren) darum, ihr Vertrauen zu erwerben. Das misslang bei Nicht-ASDKindern, wenn aus der Nase des Roboters Angstschwe­iß quoll, bei ASD-Kindern war es wieder umgekehrt, die Angst des anderen förderte das Vertrauen in ihn. Sie nehmen das Signal also wahr, aber sie interpreti­eren es falsch (Nature Neuroscien­ce 28. 11.).

Sobel nennt das „soziale Dysosmie“und vermutet, dass der falsche Geruch nicht nur ein Symptom von ASD ist – wie der mangelnde Blickkonta­kt –, sondern beim Entstehen mitwirkt, weil der Geruchssin­n sehr früh kommt und bei der Entwicklun­g des Gehirns mitspielen könnte.

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