Bei Autisten stimmt etwas mit der Nase nicht
Neurobiologie. Unbewusst wahrgenommene Gerüche, die etwas signalisieren, werden von den Gehirnen der Menschen mit dem sozialen Defizit falsch interpretiert, in ihr Gegenteil umgedeutet. Möglicherweise ist diese „soziale Dysosmie“nicht nur Symptom, sondern
Von dem eigenartigen Verhaltensdefizit, mit dem Menschen nicht in die Gesellschaft hineinfinden, weiß man nicht viel. Fest steht nur, dass innerhalb der gesamten Bandbreite des autistischen Spektrums (ASD) viel mehr Männer betroffen sind als Frauen, und dass das Ganze sich oft früh daran zeigt, dass die Betroffenen keinen Augenkontakt aufnehmen, schon als Babys mit ihren Müttern, später können sie Gesichtern keine Signale ablesen, vor allem nicht das der Furcht. Für die entsprechenden Lautnuancen haben sie auch kein gutes Gehör und für die entsprechenden Düfte keine gute Nase.
Zumindest für Gerüche, die nicht bewusst, sondern subliminal wahrgenommen werden. Zwar deutete ein früheres Experiment auf eine generelle Schwäche beim Rie- chen: Man hatte Kindern mit und ohne ASD angenehme und widerwärtige Gerüche vor die Nase gehalten, die ASD-Kinder änderten das Atmen nicht, die anderen sogen die angenehme Luft tief ein und hielten von der anderen so viel draußen, wie sie nur konnten. Aber man hatte nur zwei ASD-Kinder im Test, die waren offenbar nicht repräsentativ. Noam Sobel (Rehovot) hatte nun 20 und 20 Kontrollkinder. Denen präsentierte er zunächst verschiedene Duftstoffe bzw. -mischungen, die von Schweiß etwa. Bei deren Wahrnehmung gab es keine Differenzen: ASD-Nasen sind so fein wie andere.
Aber nur bei Gerüchen, deren Wahrnehmung ins Bewusstsein dringt: In der zweiten Runde des Experiments hat Sobel den Kindern etwas vor die Nase gehalten, bei dem sie auf Befragen alle miteinander überhaupt nichts Besonderes rochen: Angstschweiß von Menschen, die gerade das Fallschirmspringen lernten. Solche Gerüche spielen als Signale selbst unter Menschen – die die Nase zugunsten der Augen abgewertet haben – eine große Rolle, sie werden zwar nicht als Signale ausgesandt, haben aber einen Informationsgehalt, der von schnuppernden Nasen bzw. Gehirnen verstanden werden kann.
Geruch von Angst nimmt Angst
Aber richtig verstanden werden sie nur von Gehirnen, die nicht an ASD leiden: Die Kinder der Kontrollgruppe reagierten auf den Angstschweiß mit eigener Angst – gemessen an der elektrischen Leitfähigkeit der Haut –, bei den ASD-Kindern war es umgekehrt: Der Angstschweiß der Fallschirmspringer nahm ihnen ihre eigene Angst, ein angstfreier Kontrollschweiß hingegen – von den gleichen Fallschirmspringern, aber im gefahrlo- sen Alltag von ihrer Haut genommen – brachte sie ihnen.
Derselbe Befund zeigte sich, als ein ziemlich lebensechter Roboter mit den Testkindern ins Gespräch kam, es ging ihm (bzw. den Experimentatoren) darum, ihr Vertrauen zu erwerben. Das misslang bei Nicht-ASDKindern, wenn aus der Nase des Roboters Angstschweiß quoll, bei ASD-Kindern war es wieder umgekehrt, die Angst des anderen förderte das Vertrauen in ihn. Sie nehmen das Signal also wahr, aber sie interpretieren es falsch (Nature Neuroscience 28. 11.).
Sobel nennt das „soziale Dysosmie“und vermutet, dass der falsche Geruch nicht nur ein Symptom von ASD ist – wie der mangelnde Blickkontakt –, sondern beim Entstehen mitwirkt, weil der Geruchssinn sehr früh kommt und bei der Entwicklung des Gehirns mitspielen könnte.