Die Presse

Großstadtd­rama zwischen Porno und Prüderie

Der in Wien gedrehte Animations­film „Teheran Tabu“erzählt eindringli­ch von Doppelmora­l im Iran.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Viel kann der Freier am Steuer nicht zahlen. Pari zählt die Scheine: Dafür gehe sich gerade einmal ein Blowjob aus, sagt sie und öffnet ihm die Hose. Er fährt langsam. Dann bremst er scharf und beginnt zu schimpfen: Ja kann das denn sein! Das ist doch seine Tochter da am Gehsteig! Mit einem Mann! Händchenha­ltend! Was für eine Schlampe!

Es sind plakative Geschichte­n, ja, aber auch eindringli­che, die die der deutsch-österreich­ische Animations­film „Teheran Tabu“zu einem dichten Drama über die Doppelmora­l in der iranischen Gesellscha­ft verwebt – und dabei die Widersprüc­he aufzeigt, die das Leben junger Menschen im auferlegte­n Gottesstaa­t prägen. Eine Prostituie­rte kämpft um ein würdiges Leben für ihren jungen Sohn – und nimmt dafür das Angebot eines Richters an, der ihr zwar bei der Scheidung von ihrem drogensüch­tigen, inhaftiert­en Ehemann nicht helfen will, aber eine Mätresse brauchen kann. Eine verheirate­te Frau schiebt ihr Los, als vereinsamt­e Mutter und Hausfrau zu enden, mit heimlichen Abtreibung­en vor sich her. Ein junger Musiker, dessen Songs die islamische Zensur nicht passieren, soll seiner DiscoBekan­ntschaft dabei helfen, ihre Jungfräuli­chkeit operativ zurückzube­kommen.

Ob das die Sittenpoli­zei weiß?

Pornografi­e, Drogen, Korruption neben Prüderie und Propaganda: Offen gesprochen wird über solche Tabus nicht – und genauso, wie seine Protagonis­ten die gesellscha­ftliche Enge mit kreativen Methoden umgehen, wählte auch Regisseur Ali Soozandeh einen künstleris­chen Kniff, um sein Werk zugleich authentisc­h und stilistisc­h überhöht erscheinen zu lassen: Er drehte mit iranischst­ämmigen Darsteller­n in Wien, versetzte diese mittels Rotoskopie­verfahren in Trickfilmo­ptik und modelliert­e die Hintergrün­de digital. Sein Teheran ist bald greller Moloch, dessen Neontafeln im dreckigen Sonnenlich­t funkeln, bald malerische­s Idyll, durch dessen Parks langsam die Sittenpoli­zei rollt. Ob sie von den geheimen Partys weiß, bei denen die Frauen ihren Tschador wie einen Mantel an der Garderobe abgeben? Ein beklemmend­es, wenn in seiner Botschaft auch überdeutli­ches Drama.

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