Die abgemagerten Nibelungen
Im Gespräch. Der Dirigent Constantin Trinks über die Reduktion von Wagners „Ring“Tetralogie auf das Maß des Theaters an der Wien und eine jugendliche Perspektive.
In einer Fassung von Tatjana Gürbaca, Bettina Auer und Constantin Trinks“, das steht auf dem Programmzettel – man gibt den „Ring des Nibelungen“, gibt ihn aber dann doch wieder nicht. Im Theater an der Wien wagt man eine Neuinterpretation des 16-stündigen Dramas, das normalerweise nur an vier Abenden und in Häusern gespielt werden kann, die über einen genügend großen Orchestergraben verfügen, um das vielköpfige Instrumentalensemble aufzunehmen, das Richard Wagner vorgesehen hat.
Ein kompletter „Ring“aber würde natürlich die Grenzen von Wiens „anderem“Opernhaus sprengen. Und doch will man sich die Chance, eine künstlerische Äußerung zum epochemachenden MusiktheaterVierteiler zu manchen, nicht entgehen lassen. Also eine „Fassung“– und viel „Mut zur Lücke“, den braucht es, um aus der Tetralogie eine Trilogie zu machen, deren Spieldauer insgesamt etwas mehr als die Hälfte des Gesamtwerks umfasst.
Nichts für Wagner-Puristen
„Für Puristen ist das natürlich nichts“, sagt Dirigent Constantin Trinks im Gespräch mit der „Presse“. Nun hat ja, wer in Wien den „Ring“in seiner Gesamtheit erleben will, Jahr für Jahr mindestens einmal an der Staatsoper Gelegenheit dazu. An der Wien kann und will man da gar nicht in ein Konkurrenzverhältnis treten. Es geht den Produzenten vielmehr darum, einen neuen Blick auf Wagners mythologischen Kosmos zu werfen, man möchte ihn einmal „aus der Perspektive der Jungen“erschließen.
„Es wird also“, verrät der Maestro, „viel weniger von Wotan die Rede sein als sonst.“Ganze Szenenblöcke müssen bei einer solchen Kurz-Version des „Rings“dem Rotstift zum Opfer fallen. „Wer das für einen Blödsinn hält, für den wird die ganze Sache natürlich ein Blödsinn bleiben“, sagt Trinks und fügt hinzu: „Der Ausgangspunkt wird jedenfalls identisch sein mit Wagners Ausgangspunkt. Er hat ja zunächst ,Siegfrieds Tod‘ gedichtet, die spätere ,Götterdämmerung‘. Erst dann hat er sich entschlossen, die anderen Stücke zu entwerfen.“
Beginn jeweils mit „Siegfrieds Tod“
Im Theater an der Wien werden die drei Abende jeweils mit einem stummen Bild, „Siegfrieds Tod“, beginnen: „Danach werden die Szenen neu geordnet und kombiniert, bis am Ende der dritte Akt der ,Götterdämmerung‘ steht, wie wir ihn kennen.“
Im Fokus steht die jüngste Generation der Hauptfiguren von Wagners NibelungenDichtung, Hagen, Siegfried und Brünnhilde. Jedem der drei ist ein Teil der Trilogie gewidmet.
Starke Eingriffe muss man im Falle einer Aufführung an einem kleineren Haus naturgemäß auch in die Orchestrierung machen. Das haben allerdings schon Arrangeure bereits kurz nach Wagners Tod besorgt, die danach getrachtet haben, den „Ring“für Stadttheater spielbar zu machen. „Es gibt“, sagt Trinks, „die sogenannte Coburger Fassung“, die Wagners Partitur auf „Freischütz“-Maße reduziert. „Diese Fassung nützen wir als Grundlage“, sagt Trinks, „sie ist übrigens überraschend gut, sonst hätte ich mich auf die Sache nicht eingelassen, denn natürlich ist mir diese Musik heilig!“
Und bestimmte Veränderungen hat Trinks vorgenommen, die den Verzicht auf orchestrale Fülle zumindest verschmerzen lassen, weil die gewohnten Klangbilder gewahrt bleiben: Dass es in Coburg seinerzeit keine Wagner-Tuben und keine Basstrompete gab, werden die Besucher der Wiener Produktion nicht mitbekommen: „Wo es ging,
Jahrgang 1975, dirigiert ein WagnerArrangement an der Wien. Eine Version des „Rings des Nibelungen“aus der Perspektive der jungen Generation mit neun statt 16 Stunden Musik verspricht die „Ring-Trilogie“der Regisseuse Tatjana Gürbaca: „Hagen“hat am 1. Dezember Premiere, „Siegfried“am 2. und „Brünnhilde“am 3. Dezember. Info: www.theater-wien.at haben wir diese Instrumente wieder integriert. Das war mir sehr wichtig.“
Es wird also mehr nach Wagners Original klingen als vermutet. Nur die Reihenfolge der Szenen – „es wirkt oft wie filmische Schnitt-Technik“– wird Kenner verblüffen: „Es war aber“, so Trinks, „nur in einigen Fällen nötig, zwei, drei Takte als Überleitung zu arrangieren – um etwa vom ersten Bild des ,Rheingold‘ direkt nach Nibelheim zu gelangen. Aber das konnte, glaube ich, mit Geschmack gelöst werden.“
Kühne Übergänge nach Meisters Art
Der Meister selbst liefert ja mit seiner kühnen musikalischen Verwandlungs- und Modulationstechnik die besten Modelle für solche Nahtstellen.
Amüsanterweise wird Constantin Trinks, der diesen „Ring“-Verschnitt mit dem RSO Wien einstudiert, demnächst sein Debüt bei den Wiener Symphonikern wiederum mit einem besonderen musikalischen Arrangement absolvieren: Maurice Ravels Orchestrierung von Modest Mussorgskys Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“. Anderswo gönnt sich der Maestro, der nun vier Monate lang in Wien zur Vorbereitung des Großprojekts war, Erholungsphasen von bombastischen Klangbildern, etwa an der Bayerischen Staatsoper, wo er sich filigranen Komödien aus der Feder von Mozart und Richard Strauss widmet: Auf „Cos`ı fan tutte“folgt im März 2018 „Arabella“