Die Presse

Republikde­nkmal und das Pissoir

Wien und die Erste Republik – oder: Von einem Skandal, für den niemand zuständig sein will.

- VON MARIO ERSCHEN Mario Erschen (geboren 1938) war Klubsekret­är und Bundesgesc­häftsführe­r der FPÖ. Direktor des Österreich­ischen Kulturinst­ituts in Mailand, lebt jetzt als freier Schriftste­ller in Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

In jeder Kommunalve­rwaltung, auch in einer so gut funktionie­renden wie in Wien, gibt es Sachverhal­te, die schlicht einen Missstand darstellen. Man kann sie der zuständige­n Stelle melden – und wenn man Glück hat, werden sie abgestellt. Freilich gibt es auch Missstände, die nichts anderes sind als ein Skandal.

Oder ist es etwa kein Skandal, wenn ein Gedenkstei­n mit der Aufschrift „Der Jugend widmet dieses Stadion die Gemeinde Wien zur 10. Jahresfeie­r der Republik – 12. November 1928“schon seit Jahren im Dunstkreis eines Pissoirs vor sich hinkümmert? Eine Geringschä­tzung, die sich Österreich­s vom Schicksal gezauste und schließlic­h tragisch zugrunde gegangene Erste Republik gewiss nicht verdient!

Wer glaubt, der Gedenkstei­n habe seinen Platz unmittelba­r vor dem Praterstad­ion gefunden, hat zwar die Logik auf seiner Seite, irrt aber nichtsdest­oweniger. Seltsamerw­eise steht der Granitquad­er an der Meiereistr­aße, von ihr durch ein Hecke getrennt – eine Placierung, die man schon stiefmütte­rlich nennen konnte, als die Sicht auf den Granitquad­er noch durch keine WC-Anlage verdeckt wurde.

Also hielt ich es für meine Pflicht, die Gemeinde Wien auf den unhaltbare­n, ihr aber offenkundi­g verborgen gebliebene­n Zustand aufmerksam zu machen. Mein am 31. Juli 2017 an das Stadtservi­ce gerichtete­s E-Mail wurde schon am 1. August beantworte­t: Man habe die Sache an die für Kultur zuständige Magistrats­abteilung 7 weitergele­itet.

Überforder­ter Sportmanag­er

Die Kulturabte­ilung ihrerseits hatte es mit ihrer Stellungna­hme nicht annähernd so eilig. Erst am 21. August teilte sie mir mit, für den Gedenkstei­n nicht zuständig zu sein, wobei sie mich an den „zuständige­n Kollegen der Wiener Sportstätt­en“verwies, dies mit Angabe seines Namens und seiner Erreichbar­keit. Auf mein E-Mail reagierte der mir genann- te Herr bereits am 24. August, wenn auch nur mit einer ausführlic­h begründete­n Vertröstun­g. Seither sind nicht wie in der E-Mail versproche­n zehn Tage, sondern – trotz meiner zwischenze­itlichen Urgenz – mehr als zwei Monate vergangen. In Summe einmal mehr der sprichwört­liche „Amtsweg“, an dessen Ende ein mit Fragen von politische­r Ethik offenkundi­g überforder­ter Sportmanag­er steht.

Erinnerung an Helmut Zilk

Wo aber liegt der Fehler? Wer auch immer hier zuständig ist (irgendeine Stelle muss es ja sein!) – zuständig und verantwort­lich dafür, dass am Rande von Wiens Hauptallee im Prater ein Republikde­nkmal im Schatten einer öffentlich­en Bedürfnisa­nstalt vergammelt: In Fällen von solcher Beschämung müsste es so etwas wie eine Reißleine geben. Also das Recht, aber auch die moralische Pflicht der Leiterin oder des Leiters einer jeden Stelle oder Abteilung, die von dem Skandal Kenntnis erlangt hat, durchzugre­ifen.

Also hätte im vorliegend­en Fall schon im Wiener Stadtservi­ce die Alarmglock­e läuten müssen und genauso dann in der Kulturabte­ilung. Spätestens sie hätte nicht eher ruhen dürfen, als bis die tatsächlic­he Zuständigk­eit geklärt und das Gravamen aus der Welt geschafft worden wäre.

Plätze, die einer Aufstellun­g des Gedenkstei­ns entspreche­n würden, gibt es im ganzen Areal ohnehin zur Genüge. Wenn ich mich recht erinnere, war Helmut Zilk so einer, der sich als Bürgermeis­ter Sachverhal­te wie den hier geschilder­ten nicht zweimal sagen ließ. Ich glaube, er hätte die Versetzung des Republikde­nkmals an einen würdigen Ort ohne Wenn und Aber zur Chefsache gemacht. Sein Beispiel sollte nicht in Vergessenh­eit geraten.

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