Mit Nerven aus Stahl vom Fußball in die Kunst
Otto-Mauer-Preis. Es ist das Jahr von Toni Schmale. Nach Ausstellungen in Secession, 21er-Haus und in England bekommt die junge deutsche Künstlerin, die in Wien lebt, heute den Mauer-Preis. Ein Besuch im Atelier der ehemaligen Profifußballerin.
So oft passiert es nicht, dass man sich nach Jahren noch an die Diplomarbeit, also die Abschlussarbeit an der Akademie, einer Künstlerin erinnern kann. Aber schon im Sommer 2013 raunten alle – unbedingt müsse man diesmal beim Rundgang in die abgelegeneren Bildhauerateliers beim Prater. Da stand dann, im hellsten Tageslicht, der sinistre „Fuhrpark“von Toni Schmale. Drei auratische Trümmer aus Beton und Eisen, irgendwie verrucht wirkende Fitnessgeräte mit Löchern und Steigbügeln an den falschen Stellen. Einer überlangen Sprossenwand, die wie eine Streckbank wirkte. Queere Körperertüchtigung? Was war das, bitte?
Und wer heißt schon Toni Schmale? Der Name bleibt durchaus absichtlich neutral. „Warum?“, entgegnete sie damals noch rotzig auf die Frage nach ihrem Geschlecht. Die Akademie am Schillerplatz galt und gilt nicht umsonst als Zentrum der Kunst, die sich mit Geschlechterfragen und Feminismus beschäftigt, denkt man an die Klasse von Carola Dertnig, Ashley Hans Scheirl oder Absolventinnen wie Jakob Lena Knebl. Das war auch ein Grund, warum Toni Schmale 2009 in Wien blieb, als sie mit einem Erasmus-Stipendium von der Kunsthochschule Leipzig kam. Vielleicht sogar, warum sie überhaupt bei der Kunst blieb. Wäre sie nach Leipzig zurück, wo sie schon damals am liebsten in der Metallwerkstatt gearbeitet hatte – sie hätte vielleicht ganz aufgehört, meint sie heute.
Im Keller mit den Präzisionsmaschinen
Wir sitzen in einem kleinen Kelleratelier im achten Bezirk, das eher wie eine altmodische Werkstatt aussieht. Grobe Metallrohre liegen am Boden, von der Wand hängen Ketten, überall irgendwelche schweren Maschinen. Nie würde man hier auf das Atelier einer Frau tippen. „Eben.“Sagt Toni Schmale. Mittlerweile hat sie kein Problem, einfach als Künstlerin benannt zu werden. Aber das Hinterfragen von Geschlechterrollen ist ihr wichtig – was ist weibliche, was männliche Kunst? Gibt es so etwas überhaupt? Traut man Frauen nicht zu, tonnenschwere Betonsockel gießen zu lassen oder in den RießWerken Metallrohre in die Öfen zu wuchten, um die Verfärbung bei unterschiedlichen Hitzegraden zu untersuchen? Müssen Künstlerinnen malen, fotografieren, stricken? „Diese Zuschreibungen haben Ge- schichte, machen aber auch total eng“, sagt Schmale. Und eng wird es bei ihr nur, wenn man sich vorstellt, selbst auf eine ihrer Maschinen steigen zu müssen. In den Maßen – aber auch in Namen wie „Waltraud“– beziehen sie sich auf Menschen, auf menschliche Körper. Meist ist es ihr eigener. Ihre in Beton abgegossenen Hände zum Beispiel, die sie auf die unterschiedlich erhitzten, also unterschiedlich farbigen Eisenrohre montierte. So, als würden sie sie im Feuer halten.
Die Beschäftigung mit dem Körper ist Schmale seit der Kindheit vertraut. 1986, mit sechs Jahren, begann sie in Hamburg Fußball zu spielen, wechselte als Jugendliche ins HSV-Frauenfußball-Team, spielte einige Zeit im deutschen Nationalteam. „Das hat mich natürlich extrem geprägt.“Wie kam sie dann vom Spitzensport in die Kunst? Ein seltener Wechsel. Für Schmale hängt da vieles zusammen. Angefangen hat sie mit Fotografie, war viel in aufgelassenen Fabrikslandschaften unterwegs. Inhaltlich möchte sie Parallelen aber nicht kommentieren, überlässt das uns. Eine Kombination aus Minimalismus und Leidenschaft etwa, verpackt in hohe Konzentration, in große Stille? Die konstatiert auch Pater Gustav Schörghofer, Vorsitzender der Otto-Mauer-Preisjury, ihren Objekten in der Begründung für Schmale als heurige Siegerin dieses renommiertesten Preises für junge Kunst in Österreich.
Formal aber sei es die Disziplin, die Sport und Kunst für sie verbinde, sagt Schmale. Ohne Disziplin würde es nicht gehen. Ihre Karriere gibt ihr recht: Fürs Diplom schon gab es den Akademie-Preis, den Jürgenssen-Preis staubte sie auch noch in Uni-Zeiten ab. Jetzt ist der Mauer-Preis – „Katholisch? Ich bin nicht einmal getauft, ich bin aus Norddeutschland!“– die Krönung eines außergewöhnlichen Jahres, in dem sich Ausstellungen nur so reihten: eine Soloschau in der Secession, der BC-Kunstpreis im 21er-Haus, der Baltic-Preis im englischen Gateshead, für den ihre ehemalige Professorin Monica Bonvicini sie vorgeschlagen hatte, Gruppenausstellungen in Kunsthalle Wien und Mumok, ein Auftritt bei der Art Cologne bei Galeristin Christine König. Erstmals konnte sie auch Größeres verkaufen heuer. Was für ein Jahr.
Jetzt aber Ruhe, sagt Schmale. Keine Deadlines. Keine Transporte. Endlich wieder im Internet Maschinen stalken, bei denen man nicht weiß, wofür sie gut sind. Ins Notizbüchlein zeichnen, was später Tonnen wiegen wird. Vielleicht ja auch wieder Fußball spielen?, möchte man fragen. Aber da steht man schon wieder draußen, vor dem Atelier, in der Kälte. Bis nächste Spielzeit.