Im Brexit-Match steht es 3:0 für EU
Großbritannien/EU. Offene Rechnungen, Rechte der EU-Bürger, Grenze Irland/Nordirland – in allen drei Punkten geben die Briten dem Druck Brüssels nach. In Schottland und Wales regt sich bereits Protest.
Wien/Brüssel/Dublin. Den ersten Hinweis auf einen Fortschritt bei den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens am gestrigen Montag lieferte der Währungsmarkt: Kurz nach zwölf Uhr schoss der Wert des britischen Pfunds rapide nach oben – zur selben Zeit vermeldete der irische Rundfunk RTE´, dass Großbritanniens Premierministerin, Theresa May, und ihr irischer Kollege, Leo Varadkar, eine Einigung über den Status Nordirlands nach dem Brexit erzielt hätten.
Damit wäre die größte Hürde auf dem Weg zum Abschluss der ersten Phase der Austrittsverhandlungen genommen – sofern das Gesamtpaket rechtzeitig vor dem EUGipfel am 14./15. Dezember in Brüssel geschnürt werden kann, von dem sich London grünes Licht für Gespräche über das zukünftige wirtschaftliche Verhältnis Großbritannien/EU erhofft. May reiste gestern nach Brüssel, um mit Kommissionspräsident JeanClaude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk den Deal zu finalisieren. Der erhoffte Durchbruch blieb jedoch aus: Man habe Fortschritte erzielt und werde im Lauf der Woche weiterverhandeln, sagte Juncker am Nachmittag. Nachsatz: „Theresa May ist eine knallharte Verhandlerin.“
Der Abschluss der ersten Brexit-Verhandlungsphase erfordert Fortschritte in drei Bereichen: Die Begleichung offener EURechnungen, der künftige rechtliche Status der in Großbritannien lebenden EU-Bürger sowie die Causa Irland – die härteste Nuss für die Verhandler, denn die Teilnahme Irlands und Nordirlands auf dem EU-Binnenmarkt ist Basis des Karfreitagsabkommens von 1998, mit dem der Konflikt zwischen nordirischen Republikanern und Unionisten entschärft werden konnte. Der Brexit drohte diese Grundlage infrage zu stellen, weshalb die Regierung in Dublin darauf beharrte, dass es auch nach dem Brexit keine „harte“Grenze zwischen Irland und Nordirland geben dürfe.
Der gestrige Kompromiss trägt dieser Forderung Rechnung: Gemäß RT hat sich London dazu verpflichtet, dass sich der rechtliche Rahmen in Nordirland nach dem Brexit an EU-Vorschriften „orientieren“werde. Diese Formulierung ist ein Geschenk der EU-Verhandler, denn ursprünglich hatten Brüssel und Dublin gefordert, dass die nordirischen Vorschriften von den EU-Regeln „nicht abweichen“dürfen. Dieses semantische Zugeständnis dürfte zwar Konsequenzen bei der Auslegung der Austrittsbedingungen haben, es ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es im Brexit-Match momentan 3:0 für die Europäer steht. Punkto Geld sind die Briten dazu bereit, 40 bis 50 Mrd. Euro nach Brüssel zu überweisen. Für die Rechte der in Großbritannien lebenden EU-Bürger dürfte weiterhin der EuGH (teil-)zuständig sein. Und die Angleichung der nordirischen Vorschriften an EU-Recht bedeutet de facto, dass Nordirland Teil des europäischen Zollregimes bzw. sogar des EU-Binnenmarkts bleiben kann und die Zollgrenze der EU künftig nicht entlang der heiklen irisch-nordirischen Landgrenze verlaufen muss, sondern die Irische See queren wird.
Auf Abstand zur DUP
Letzteres entspricht weder dem Austrittsvotum der britischen Bürger, wonach Großbritannien als Ganzes die EU verlassen sollte, noch ist es im Sinne der nordirischen Partei DUP, die Mays Mehrheit im Unterhaus garantiert und gestern gefordert hat, Nordirland müsse die EU „zu denselben Bedingungen verlassen wie der Rest des Vereinigten Königreichs“. Wie gedenkt die Premierministerin, mit dem Problem umzugehen? In Westminster ist man darum bemüht, den Sprengsatz zu entschärfen. „Die DUP ist nicht die alleinige Repräsentantin der Bevölkerung Nordirlands“, sagte gestern ein britischer Regierungsvertreter zur „Presse“.
In London wird über eine Staatsreform spekuliert, in deren Rahmen Befugnisse an die Landesteile des Vereinigten Königreichs abgetreten werden könnten. Sollte der BrexitDeal in dieser Form fixiert werden, kommt London an einer Devolution kaum vorbei – denn es scheint schwer vorstellbar, dass die Schotten mitziehen. „Warum sollte es keinen Sonderdeal für Schottland geben, wenn es einen für Nordirland geben soll?“, wollte gestern die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, wissen, während Sadiq Khan, der Bürgermeister von London, sowie Carwyn Jones, Premierminister von Wales, ebenfalls den Zugang zum EU-Binnenmarkt forderten. Theresa May mag die Verhandlungen in Brüssel vorangebracht haben – allerdings um den Preis einer Regierungskrise in London.