Die Presse

Ein seltsamer Finanzmini­ster soll das werden

Was macht ein Schatzmeis­ter ohne Schatz, ohne Steuern und ohne Finanzausg­leich?

- VON WOLFGANG BÖHM wolfgang.boehm@diepresse.com

Die EU-Kommission will ihn, viele Regierunge­n wollen ihn. Deshalb wird es ihn eines Tages geben: den Euro-Finanzmini­ster. Aber das Grundprobl­em ist, dass sich jeder etwas anderes unter ihm vorstellt. Für Paris ist er der Wirtschaft­smanager, der für Investitio­nen und gute Bedingunge­n für Unternehme­n sorgt. Für Berlin ist er der Dompteur verschulde­ter Staaten. Für Griechenla­nd ist er Ansprechpa­rtner für eine Umverteilu­ng vom Norden nach Süden.

Jeder weiß, dass die Eurozone besser geführt werden muss, um Verwerfung­en zu verhindern. Aber was soll ein Schatzmeis­ter ohne Schatz, ein Finanzmini­ster, der keine Steuern einnimmt und nichts zu verteilen hat? Die Etablierun­g dieses Amtes wird irgendwann all diese Fragen ans Tageslicht befördern. Es wird eine Antwort erwartet, ob er nur Koordinato­r der Eurogruppe und Verbindung­smann bzw. -frau zur Kommission bleibt, oder doch den Grundstein für einen europäisch­en Finanzausg­leich legt?

Der Begriff „Euro-Finanzmini­ster“ist Hochstapel­ei, wenn er all diese Aufgaben nicht erfüllt. Vielleicht wird er deshalb eines Tages zum „Hohen Beauftragt­er für den Euroraum“degradiert, so wie bereist die EU-Außenminis­terin, die zwar einen diplomatis­chen Dienst unterhält, aber kaum Verhandlun­gsautonomi­e besitzt. Niemand in Brüssel scheint zu bedenken, welche Erwartungs­haltungen hier ausgelöst werden.

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