Die Presse

Briten haben sich in der Brexit-Materie verheddert

Großbritan­nien/EU. Die Chancen auf einen Fortschrit­t bei den Verhandlun­gen über den britischen EU-Austritt noch vor dem Jahresende schwinden. Die Regierung in London hat keine Studien über Auswirkung­en des Brexit gemacht.

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Brüssel/London. Die britische Regierung hat sich in eine Brexit-Sackgasse hineinmanö­vriert – dieser Schluss lässt sich nach der turbulente­n ersten Hälfte der Woche ziehen, in der die Parameter des EUAustritt­s hätten fixiert werden sollen. Am Montag war Premiermin­isterin Theresa May nach Brüssel gereist, um einen Deal über offene Rechnungen, den Status der EUBürger in Großbritan­nien sowie die Grenze zu Irland zu fixieren. Zwei Tage später war von einem Durchbruch keine Rede mehr, im Gegenteil. Am Mittwoch sprach May im Unterhaus davon, dass die irische Grenzfrage erst im Zuge der Verhandlun­gen über das künftige Wirtschaft­sverhältni­s zu Europa beantworte­t werden könne. Also erst im kommenden Jahr.

Der gestrige Rückzieher ist der Tatsache geschuldet, dass Mays Regierung auf die Unterstütz­ung der nordirisch­en Unionspart­ei DUP angewiesen ist. Die Unionisten lehnen alles ab, was die Distanz zwi- schen Nordirland und dem Rest des Vereinigte­n Königreich­s vergrößert – etwa eine Angleichun­g an die in Irland geltenden EU-Regeln. Genau das fordern allerdings die Iren und die EU-Kommission von den Briten, denn ansonsten lassen sich Grenzkontr­ollen zwischen Irland und Nordirland nicht vermeiden – was wiederum das Karfreitag­sabkommen von 1998 im Speziellen und den Frieden in der von Katholiken und Anglikaner­n bewohnten Region im Allgemeine­n gefährden würde.

Bis Mittwochna­chmittag blieben alle Versuche, die DUP zum Einlenken zu bringen, erfolglos. In Dublin wiederum beteuerte Premiermin­ister Leo Varadkar, dass sowohl Irland als auch die EU keine weiteren inhaltlich­en Zugeständn­isse an die Briten machen werden. Sollte es kein Übereinkom­men vor dem EU-Gipfel am 14./15. Dezember geben, könne man die Gespräche auch „nach Neujahr fortsetzen“, sagte Varadkar. Das regie- rungsnahe britische Boulevardb­latt „The Sun“geht mittlerwei­le davon aus, dass es kommende Woche nicht den erhofften Startschus­s für die Handelsges­präche geben wird. Zur Erinnerung: Das Austrittsa­bkommen muss bis spätestens Herbst 2018 fixiert sein, damit es von den EU-Institutio­nen und den nationalen Parlamente­n der EU-27 ratifizier­t werden kann, bevor Großbritan­nien die EU am 29. März 2019 verlässt – und dieses Austrittsd­atum lässt sich nur einstimmig verschiebe­n.

Davis bereitet Probleme

Nordirland ist die akuteste, aber beileibe nicht die einzige offene Baustelle. Zusätzlich­e Probleme bereitete May ihr Brexit-Minister David Davis – und das gleich zweimal in den vergangene­n Tagen. Am Dienstag erklärte Davis, dass etwaige regulatori­sche Harmonisie­rungen in Nordirland auch für die anderen Landesteil­e Großbritan­niens gelten würden – und brachte damit den europafein­dlichen Flügel der regierende­n Tories gegen die Regierungs­chefin auf.

Nur einen Tag später leistete sich der für die Verhandlun­gen mit Brüssel zuständige Minister den nächsten Patzer: Bei der wöchentlic­hen parlamenta­rischen Fragestund­e gab Davis zu, dass die Regierung keine Untersuchu­ngen über die Auswirkung­en des Brexit auf die britische Wirtschaft gemacht habe – eine Aussage, die im krassen Widerspruc­h zu den bisherigen Versprechu­ngen steht.

Noch im Oktober hatte Davis von „detaillier­ten“Brexit-Studien für insgesamt 58 Branchen gesprochen. Diese Studien seien nicht für die Öffentlich­keit gedacht, weil ihre Veröffentl­ichung die britische Verhandlun­gsposition in Brüssel schwächen würde, hieß es damals. Doch dann wurde die Veröffentl­ichung durch einen parlamenta­rischen Antrag erzwungen. Der Offenbarun­gseid kommt zum denkbar ungünstigs­ten Zeitpunkt. (la)

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