Können UN-Blauhelme der Ostukraine Frieden bringen?
Analyse. Offiziell steht eine UN-Friedensmission nicht auf der Agenda des OSZE-Gipfels. Doch Tillerson und Lawrow werden darüber sicher reden.
Kiew. Eine internationale Friedenstruppe gilt als neues Rezept der internationalen Gemeinschaft für die verfahrene Lage im Donbass. Denn auch im vierten Kriegsjahr bleibt der Konflikt heiß. Heuer starb durchschnittlich jeden zweiten Tag ein Soldat. Laut UN wurden zwischen Jänner und September 103 Menschen entlang der Frontlinie durch Minen getötet. Das sind mehr Todesopfer durch Landminen als in jedem anderen Konflikt weltweit.
Nach einer ruhigeren Phase im Frühherbst – Feuerpausen anlässlich von Schulbeginn und Ernteeinholung – war der November wieder eskalationsreich. Die erzwungene Ablöse des Luhansker Separatistenchefs Igor Plotnitzkij durch den Sicherheitskader Leonid Pasetschnik schuf Unsicherheit auch auf der ukrainischen Seite. Zudem rückte die Armee Ende November in zwei Dörfer in der so genannten Grauen Zone, dem Abschnitt zwischen den verfeindeten Stellungen, über den keine der beiden Seiten die Kontrolle ausübt. Die Ukraine sieht darin keine Verletzung des Minsker Abkommens, da ihr laut dem im Februar 2015 fixierten Verlauf der Waffenstillstandslinie die Kontrolle über jene Orte zustehe.
Diese „schleichende Offensive“ist seit letztem Jahr in Gang – insbesondere um den sogenannten „Switlodarsker Bogen“, den man offenbar schließen will. Bei diesen Manövern geht es um ein paar Quadratkilometer im Stellungskrieg, um kleine taktische Vorteile. Mehr geht nicht. Eine Folge aber ist, dass die verfeindeten Stellungen näher aneinander rücken. Was wiederum zu mehr lokalen Eskalationen führt.
Das Minsker Abkommen sei „tot“, erklärte der ukrainische Innenminister Arsen Awakow unlängst und sprach damit eine in Kiew geläufige Meinung aus. Gegen die Durchführung der politischen Maßnahmen des Pakts sprechen aus Kiewer Sicht die mangelnden Sicherheitsgarantien. Ein Problem ist aber auch der mittlerweile fehlende gesellschaftliche Rückhalt für einen (wie immer auch schlechten) Kompromiss. Deshalb zeigt man keinen Eifer mehr beim Erfüllen der Minsker Punkte und will mehr Akteure bei der Konfliktlösung einbeziehen, allen voran die USA.
Ruhe zur Fußball-WM
Die Idee der Blauhelme war schon lange ein Vorschlag von Präsident Petro Poroschenko, da man die rund 630 Personen starke OSZEBeobachtermission als zu schwach betrachtet. Bisher war Kiew aber mit seinen Vorstößen gescheitert, da Moskau dagegen war. Als Präsident Putin im September dem UNSicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vorlegte, sorgte das für Aufregung.
Doch die Konzepte unterscheiden sich erheblich. Kiew will die UN-Soldaten im gesamten Konfliktgebiet positionieren. Sie sollen auch den Grenzabschnitt zwischen Russland und den abtrünnigen Gebieten überwachen, über den Kriegsmaterial und Kämpfer in die Separatistengebiete gelangen. Moskau will die – leicht bewaffneten – Blauhelme hingegen nur an der 450 Kilometer langen Frontlinie zunächst für sechs Monate stationieren und will sie vorrangig zum Schutz der OSZE-Mission einsetzen. Ein weiterer Konfliktpunkt: Kiew will keinen russischen Anteil am Kontingent akzeptieren und spricht sich für eine Entsendung erst dann aus, wenn russische Truppen und Waffen aus den abtrünnigen Gebieten abgezogen sind – eine Bedingung, der Moskau offiziell zumindest nicht zustimmen kann, da es eine Intervention nach wie vor abstreitet.
Auch der US-Ukraine-Emissär Kurt Volker und Wladislaw Surkow, Beauftragter des Kreml für das Management der postsowjetischen Konflikte, diskutierten bereits mehrfach über Vorschläge mit dem Ziel einer Annäherung. Nach dem letzten, dritten Treffen in Belgrad sprach Volker von einem Rückschritt auf russischer Seite. Und warum präsentierte Moskau über- haupt einen Vorschlag? Putin könnte vor den Wahlen im März 2018 und der Fußballweltmeisterschaft Interesse an einer Beruhigung der Lage im Donbass haben. Der Blauhelm-Vorschlag wurde international als konstruktiver Schritt aufgenommen und gibt zudem Moskau Zeit. Insgesamt gesehen hat Russland seine Ziele im Donbass nur in Teilen erreicht und könnte das finanzabhängige Gebiet längerfristig „abtreten“wollen. Vermutlich weiß aber auch der Kreml nicht genau, wie.
Es fehlt am Willen
Die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft ist, dass Blauhelme die Implementierung des Minsker Abkommens voranbringen und mehr Verbindlichkeit zwischen den Konfliktparteien schaffen. Ob sie sich wirklich mehr Respekt als die OSZE-Beobachter verschaffen könnten, ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen. Heute fehlt es vor allem am gemeinsamen Willen. Der kommt auch mit Blauhelmen nicht automatisch.