SPD-Basis, bitte wenden!
Deutschland. Martin Schulz will heute die Delegierten für Gespräche mit der Union gewinnen und als SPD-Chef bestätigt werden. Der Parteitag ist nur die erste Hürde auf dem Weg zu Schwarz-Rot. Fragen und Antworten zum Regierungspoker.
Berlin. Wenn SPD-Chef Martin Schulz heute, 70 Tage nach der Bundestagswahl, im Berliner CityCube ans Podium tritt, dann beginnt für ihn ein Hürdenlauf. Im Ziel warten Angela Merkel und eine Neuauflage der Großen Koalition. Hürde eins ist der heutige SPDParteitag in Berlin.
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Um die Zukunft von Martin Schulz und um grünes Licht für die Aufnahme von Gesprächen mit der Union, wie sie der SPD-Vorstand in einem Leitantrag empfiehlt. Ganz behutsam wird die Basis darin auf die Wende hin zu einer möglichen Großen Koalition (GroKo) vorbereitet, wie sie derselbe Vorstand noch am 20. November ausgeschlossen hatte. Das Zauberwort findet sich in Zeile 15 des Antrags: Die Gespräche sollen „ergebnisoffen“geführt werden. Schulz muss in seiner Rede glaubhaft den Eindruck vermitteln, dass „alle Optionen auf dem Tisch“sind, also auch eine Minderheitsregierung, wie er mantraartig wiederholt. Jedes Detail zählt: Der Antrag wurde in der Tagesordnung nun vor die Wahl des SPD-Chefs geschoben. Schulz hat an der Basis noch immer viele Fans. Lehnt sie den Antrag ab, wäre der Parteichef vor der erwarteten Wiederwahl für zwei weitere Jahre zumindest schwer beschädigt. Es wird jedenfalls spannend, zumal die Jusos einen eigenen Antrag ankündigten, wonach es zwar Gespräche mit der Union geben soll, aber die GroKo ausgeschlossen bleibt.
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gliedervotum stattfinden soll. Denn die SPDSpitze könnte ihren Mitgliedern dann wohl noch keine Verhandlungserfolge vorlegen.
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Eine Erklärung lautet: „am“, so kürzt Angela Merkel ihren Namen in SMS ab. Zweimal war die SPD nach einer Großen Koalition mit Merkels Union auf einen historischen Tiefstand geschrumpft – und das, obwohl sie mehrere Kernforderungen durchgesetzt hatte, darunter den Mindestlohn und die Rente mit 63. Nach dem Wahlfiasko (20,5 Prozent) gibt es nun eine tiefe Sehnsucht an der Basis, das eigene Profil in der Opposition zu schärfen, sich zu „erneuern“. Die GroKo stärke zudem die Ränder: Ma wolle „keine österreichischen Verhältnisse“, heißt es immer wieder auch von führenden SPD-Politikern. Die tiefe Identitätskrise zählt neben den nach der Wahl leeren Kassen aber auch zu den Hauptargumenten, warum man Neuwahlen eher vermeiden will, vor allem in der Fraktion, wo mancher um sein Mandat fürchtet.
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Die SPD zieht in ihrem Antrag zwar keine roten Linien, listet aber „essenzielle“Forderungen auf. Veritablen Streit könnte es über eine Bürgerversicherung geben, die die SPD einführen „will“, wie es vorsichtig heißt. Die Union lehnt eine solche Reform im Gesundheitswesen strikt ab. Ein möglicher Knackpunkt ist zudem wie schon in den JamaikaVerhandlungen die Frage nach dem Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte, der noch bis März 2018 ausgesetzt ist. Die CSU will, dass er es bleibt, wie Horst Seehofer und Markus Söder in seltener Eintracht betonten. Die SPD ist dagegen. Andererseits: Selbst Grüne und CSU hatten sich in dem Streitpunkt in den Jamaika-Sondierungen angenähert. Die SPD würde jedenfalls eine teure Braut sein. Sie hat ein starkes Argument: das Mitgliedervotum.
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Diese Woche gab es große Aufregung. FDPVize Wolfgang Kubicki hatte für den Fall eines Scheiterns der schwarz-roten Verhandlungen eine Neubewertung der Lage angekündigt. Ist Jamaika also doch noch nicht vom Tisch? FDP-Chef Christian Lindner dementierte umgehend. Also bliebe eine Minderheitsregierung, die der CDU-Wirtschaftsrat und auch SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (Rheinland Pfalz) einer GroKo vorziehen würden. Variante zwei wären Neuwahlen. Beides hat es in der Nachkriegsgeschichte auf Bundesebene noch nicht gegeben.