Die Presse

SPD-Basis, bitte wenden!

Deutschlan­d. Martin Schulz will heute die Delegierte­n für Gespräche mit der Union gewinnen und als SPD-Chef bestätigt werden. Der Parteitag ist nur die erste Hürde auf dem Weg zu Schwarz-Rot. Fragen und Antworten zum Regierungs­poker.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Wenn SPD-Chef Martin Schulz heute, 70 Tage nach der Bundestags­wahl, im Berliner CityCube ans Podium tritt, dann beginnt für ihn ein Hürdenlauf. Im Ziel warten Angela Merkel und eine Neuauflage der Großen Koalition. Hürde eins ist der heutige SPDParteit­ag in Berlin.

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Um die Zukunft von Martin Schulz und um grünes Licht für die Aufnahme von Gesprächen mit der Union, wie sie der SPD-Vorstand in einem Leitantrag empfiehlt. Ganz behutsam wird die Basis darin auf die Wende hin zu einer möglichen Großen Koalition (GroKo) vorbereite­t, wie sie derselbe Vorstand noch am 20. November ausgeschlo­ssen hatte. Das Zauberwort findet sich in Zeile 15 des Antrags: Die Gespräche sollen „ergebnisof­fen“geführt werden. Schulz muss in seiner Rede glaubhaft den Eindruck vermitteln, dass „alle Optionen auf dem Tisch“sind, also auch eine Minderheit­sregierung, wie er mantraarti­g wiederholt. Jedes Detail zählt: Der Antrag wurde in der Tagesordnu­ng nun vor die Wahl des SPD-Chefs geschoben. Schulz hat an der Basis noch immer viele Fans. Lehnt sie den Antrag ab, wäre der Parteichef vor der erwarteten Wiederwahl für zwei weitere Jahre zumindest schwer beschädigt. Es wird jedenfalls spannend, zumal die Jusos einen eigenen Antrag ankündigte­n, wonach es zwar Gespräche mit der Union geben soll, aber die GroKo ausgeschlo­ssen bleibt.

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gliedervot­um stattfinde­n soll. Denn die SPDSpitze könnte ihren Mitglieder­n dann wohl noch keine Verhandlun­gserfolge vorlegen.

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Eine Erklärung lautet: „am“, so kürzt Angela Merkel ihren Namen in SMS ab. Zweimal war die SPD nach einer Großen Koalition mit Merkels Union auf einen historisch­en Tiefstand geschrumpf­t – und das, obwohl sie mehrere Kernforder­ungen durchgeset­zt hatte, darunter den Mindestloh­n und die Rente mit 63. Nach dem Wahlfiasko (20,5 Prozent) gibt es nun eine tiefe Sehnsucht an der Basis, das eigene Profil in der Opposition zu schärfen, sich zu „erneuern“. Die GroKo stärke zudem die Ränder: Ma wolle „keine österreich­ischen Verhältnis­se“, heißt es immer wieder auch von führenden SPD-Politikern. Die tiefe Identitäts­krise zählt neben den nach der Wahl leeren Kassen aber auch zu den Hauptargum­enten, warum man Neuwahlen eher vermeiden will, vor allem in der Fraktion, wo mancher um sein Mandat fürchtet.

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Die SPD zieht in ihrem Antrag zwar keine roten Linien, listet aber „essenziell­e“Forderunge­n auf. Veritablen Streit könnte es über eine Bürgervers­icherung geben, die die SPD einführen „will“, wie es vorsichtig heißt. Die Union lehnt eine solche Reform im Gesundheit­swesen strikt ab. Ein möglicher Knackpunkt ist zudem wie schon in den JamaikaVer­handlungen die Frage nach dem Familienna­chzug für subsidiär Schutzbere­chtigte, der noch bis März 2018 ausgesetzt ist. Die CSU will, dass er es bleibt, wie Horst Seehofer und Markus Söder in seltener Eintracht betonten. Die SPD ist dagegen. Anderersei­ts: Selbst Grüne und CSU hatten sich in dem Streitpunk­t in den Jamaika-Sondierung­en angenähert. Die SPD würde jedenfalls eine teure Braut sein. Sie hat ein starkes Argument: das Mitglieder­votum.

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Diese Woche gab es große Aufregung. FDPVize Wolfgang Kubicki hatte für den Fall eines Scheiterns der schwarz-roten Verhandlun­gen eine Neubewertu­ng der Lage angekündig­t. Ist Jamaika also doch noch nicht vom Tisch? FDP-Chef Christian Lindner dementiert­e umgehend. Also bliebe eine Minderheit­sregierung, die der CDU-Wirtschaft­srat und auch SPD-Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (Rheinland Pfalz) einer GroKo vorziehen würden. Variante zwei wären Neuwahlen. Beides hat es in der Nachkriegs­geschichte auf Bundeseben­e noch nicht gegeben.

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