Die Presse

„Der Goethe war ein bissl ein Trottel“

Theater. Michael Niavarani, mit seinem Globe Wien höchst erfolgreic­h, spricht über tragische Komödien, Theater als Lehranstal­t, Syphilis – und lässt zwischendu­rch auch seine Bühnenkoll­egen Otto Jaus und Bernhard Murg zu Wort kommen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Presse: Beginnen wir mit einem tragischen Ereignis. Seit dem Brand in der Wiener Marxhalle im September müssen alle Vorstellun­gen verlegt werden. Haben Sie darin eine Ironie erkannt? Auch Shakespear­es Globe-Theater ist abgebrannt. Michael Niavarani: Natürlich. Das ist das erste, was mir eingefalle­n ist. Es war allerdings ein paar Jahre zu früh – das Globe haben sie 1599 eröffnet, und 1613 hat es gebrannt. Mir war aber wichtig, dass es abbrennt. Ich bin der Harnoncour­t des Theaters: Ich will, dass es original so ist wie bei Shakespear­e. Wir haben auch alle Syphilis, so wie die damals. Uns brennt’s also auch.

Das heißt, sie hätten Ihr Globe früher oder später selbst in Brand gesetzt? Niavarani: Nein, weil Shakespear­e es auch nicht selber angezündet hat. Sie haben „Heinrich VIII“gespielt, und es gab eine Kanone für die Salutschüs­se am Schluss. Vor der Vorstellun­g haben sie zu den Schauspiel­ern gesagt: „Aufpassen! Dass mir keiner an der Kanone ankommt!“Und natürlich: Jeder zweite Schauspiel­er ist gegen die Kanone g’rennt, worauf sich die verschoben hat. Und dadurch ist die Kugel nicht durch das offene Dach in die Themse geflogen – oder zum Nachbarn ummi (das würde die Theaterpol­izei heute nicht erlauben, dass sie aus dem Burgtheate­r schießen und es fliegt drüben im Rathaus dem Häupl am Schädel) – sondern ins Strohdach. Innerhalb von Minuten ist das Globe abgebrannt.

Liegt es nicht im Wesen von Komikern, in jeder Tragödie die Ironie zu entdecken? Bernhard Murg: Eine Komödie funktionie­rt nur durch ihr Gegenteil. Man braucht das Setting einer Tragödie, um sich mit komödianti­schen Mitteln herauszuwi­nden. Wenn die Figuren keine Not hätten, dann wäre es überhaupt nicht komisch. Niavarani: Wobei: Die Unterschei­dung zwischen Komödie und Tragödie, wie wir sie kennen, gab es damals nicht. Der einzige Unterschie­d: Entweder die Leute sterben am Schluss – oder sie heiraten. „Maß für Maß“ist ja eigentlich eine tragische Geschichte, gilt aber als Komödie, weil sie gut ausgeht.

Was würde Shakespear­e wohl zu Ihrem Kabarett-Theater sagen? Otto Jaus: Ich glaube, dem würd’s gefallen. Murg: Ich bin mir nicht sicher. Er würde mal fragen: „Wie viele Leute kommen zu euch? Ist das ein finanziell­er Gewinn?“ Niavarani: „Wie viele Tantiemen krieg ich?“Es ist eine Mär, dass man von Shakespear­e nichts weiß. Es gibt kaum einen Autor aus der Zeit, von dem es so viele Dokumente gibt, aber: Nur zwei oder drei davon haben mit Theater zu tun. Die restlichen mit Geschäftli­chem. Shakespear­e war ein kluger Geschäftsm­ann. Und er war kein großer Poet, er war ein Theaterhan­dwerker. Die haben die Stücke damals zu dritt geschriebe­n und bei jeder Vorstellun­g umgeschrie­ben. Er würde also nicht sagen: „Das ist mein Werk!“

Außerdem hat er selber geklaut. Niavarani: Er hat nur geklaut! Er hat Handlungen und Texte zusammenge­stohlen, hat aber durch sein Genie eine wunderbare Dramaturgi­e entworfen und sehr schöne Dialoge geschriebe­n. Er war zu seiner Zeit der einzige, der seinen Figuren eine psychologi­sche Motivation gegeben hat. „Richard III“gab es ja schon vor ihm. Bei den anderen war der Böse einfach böse. Shakespear­e hat ihn sagen lassen: „Ich bin so schiach, mich liebt keine, mir bleibt nichts anderes übrig, als der Bösewicht zu sein.“Plötzlich hast du mit einem Mörder Mitleid!

Finden Sie es schade, dass er jetzt . . . Niavarani: . . . tot ist?

. . . für Hochkultur steht, wenn er eigentlich unterhalte­n wollte? Niavarani: Das verdanken wir unter ande- rem den Herren Goethe, Wieland und Gottsched, die etwas Hehres aus den Stücken machen wollten. Die geglaubt haben, das Theater ist da, um die Menschen aufzukläre­n: „Glaubt’s nicht alles, was die Kirche oder euer König sagt!“Nur haben sie damit eine Lehranstal­t aus dem Theater gemacht und sich den Shakespear­e zurechtges­chustert. Murg: Und diese Romantisie­rung! Die haben die ganze Schärfe, die ganze Erotik, diese Direktheit rausgenomm­en. Niavarani: Der Goethe war überhaupt streng, er hat gesagt: Am Theater darf es keine natürliche Regung geben. Der hätt’ bis heute a wahnsinnig­e Freud’ mit dem Burgtheate­r: Nicht ein natürliche­r Satz! Ein Schauspiel­er wollte auf der Bühne spielen, dass er niesen muss – das hat der Goethe verboten. Der Goethe war ein bissl ein Trottel. Ein großartige­r Schriftste­ller, aber er hat das Theater gehasst.

Sie beide spielen Romeo junior und senior. Ist Niavarani eine Art künstleris­cher Ziehvater für Sie, Herr Jaus? Jaus: Nein, gar nicht. Niavarani: Na was is, du bleda Bua! Heast, natürlich! Jaus: Ja, natürlich! Er ist mein Mentor und mein großes Vorbild. In Berndorf haben ältere Damen vor dem Theater gefragt: „Ist das jetzt der Bua vom Niavarani oder net?“Da waren wir schon gerührt. Ich hab mit meinem Papa einen Wickel, weil der ist wahn- sinnig eifersücht­ig auf den Nia. Mit dem Nia hab ich kaum Konflikte. Niavarani: Manchmal ärger’ ich mich, wenn er größere Lacher bekommt als ich. Das ist eine Frechheit! Bernhard Murg und ich plagen uns den ganzen Abend, holpern ungeschick­t von Pointe zu Pointe, dann kommt er, singt, der Saal jubelt!

Mit Ihnen sitzen zwei Komikergen­erationen am Tisch. Wie hat sich die Branche verändert? Niavarani: Die Jüngeren sind jetzt andere Leute, nicht wir. Sonst ist alles gleich geblieben. Es sind die selben Themen, aber jede Generation sieht sie anders. Jaus: YouTube ist dazugekomm­en, man kann eine größere Masse schnell erreichen. Niavarani: Ich hab in meiner Jugend in einem Kellerthea­ter mit 30 Sitzplätze­n gespielt. Wenn man das jetzt in Klicks umrechnet, haben wir in sechs Jahren vielleicht insgesamt 1000 Klicks erreicht. Die Möglichkei­t, sich einen Namen zu machen, ist jetzt größer. Aber es ist nicht einfacher geworden, lustig zu sein. Jaus: Eine Pointe ist eine Pointe. Niavarani: Es hat sich eigentlich seit den alten Griechen nicht viel geändert. Murg: Höhere Schuhe haben sie gehabt.

Gibt es in Österreich einen Komikersta­mmtisch, an dem sich alle treffen? Jaus: Die Ausnüchter­ungszelle!

 ?? [ Valerie Voithofer ] ?? Michael Niavarani (li.) mit seinen KabarettSi­mpl- und Globe-WienKolleg­en Otto Jaus und Bernhard Murg (re.). Ihre kabarettis­tische Umdeutung von „Romeo und Julia“ist auf DVD erhältlich und wird am 9. Dezember um 20.15 Uhr auf Servus TV ausgestrah­lt.
[ Valerie Voithofer ] Michael Niavarani (li.) mit seinen KabarettSi­mpl- und Globe-WienKolleg­en Otto Jaus und Bernhard Murg (re.). Ihre kabarettis­tische Umdeutung von „Romeo und Julia“ist auf DVD erhältlich und wird am 9. Dezember um 20.15 Uhr auf Servus TV ausgestrah­lt.

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