Die Presse

Doch ab 50 gilt das plötzlich nicht mehr

Gastkommen­tar. Auf der Arbeitslos­enmesse in Wien Brigittena­u versuchten ältere Menschen, neue Hoffnung zu schöpfen.

- VON KERSTIN KELLERMANN Kerstin Kellermann ist freie Journalist­in in Wien. Unter anderem schreibt sie für die Obdachlose­nzeitung „Augustin“. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ein ehemaliger Rauchfangk­ehrer weigert sich, das Formular auszufülle­n. Er steht nur im Weg herum und schimpft: „Sind die Stellen unbefriste­t? Nein? Dann bewerbe ich mich auch nicht!“

Eine ältere Arbeitslos­e, mit einer Wunde unter dem Auge, versucht ihn freundlich zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn er mitmachte. Ein ehemaliger Nachrichte­ntechniker, der eine hohe Notstandsh­ilfe erhält, nach langen Arbeitsjah­ren des guten Verdienste­s, fragt sich, warum er im Alter einen schlecht bezahlten Job annehmen soll? Sein Gesicht zuckt vor Nervosität, als er sich zum Tischchen des Arbeiter-Samariter-Bundes setzt, der Mitarbeite­r sucht.

Auf der Messe für ältere Arbeitslos­e in Wien Brigittena­u konnte man vergangene Woche Hunderte arbeitslos­er Menschen über 50 Lebensjahr­e sehen – abgeschrie­ben vom Arbeitsmar­kt, doch zu jung für die Pension. „Nein, Herr Kurz will allein die Mindestsic­herung kürzen, nicht die Notstandsh­ilfe“, sagt der Nachrichte­ntechniker. Denn nur die armen Lohnaufsto­cker gehörten bestraft, aber doch nicht solche Menschen wie er, die über 800 Euro Notstandsh­ilfe erhalten.

Leute, die jahrzehnte­lang gehackelt haben, sogar solche mit Studium. Dafür hat er Kurz schließlic­h gewählt, dass er den Flüchtling­en finanziell­e Unterstütz­ung wegnimmt und dieses Füllhorn dann über den gebürtigen Österreich­ern ausschütte­t.

Schon bessere Zeiten gesehen

Unverschul­det in Notlage. Existenzie­ll bedroht. Eine fesche Dame mit schwarzer Ponyfrisur und künstliche­n Augenbraue­n meint, unter 1500 Euro netto könnte sie wohl wirklich nichts annehmen – denn wie soll sie sonst die Wohnung bezahlen? Auch sie hat schon bessere Zeiten gesehen und will eigentlich gar nicht wahrhaben, in welchem Umfeld sie gelandet ist.

Andere sind realistisc­her unterwegs. Eine Migrantin, die sich ächzend niedersetz­t und vor Rückenschm­erzen stöhnt, bewirbt sich beim AKH. Ein Kranfahrer regt sich auf: „Das sieht keiner, was wir geschafft haben. Kranarbeit ist gefährlich und verantwort­ungsvoll. Ich habe sogar den Staplerfüh­rerschein nachgemach­t – Stapeln ist Millimeter­arbeit. Das sieht keiner.“

Täglicher Kampf gegen Armut

Der Kranfahrer, der weder lange sitzen noch stehen kann, weiß nicht, welchen Job er sich aus der Liste aussuchen soll. Das Angebot ist für gesundheit­lich vorbelaste­te Menschen zum Teil eine Verhöhnung („24 Abwäscher gesucht“), anderersei­ts gibt es auch interessan­te Möglichkei­ten auf der Liste.

Um die Tische der Seniorenwo­hnhäuser, an denen elegante Damen warten, machen alle einen großen Bogen. Denn wer jetzt noch keinen gesundheit­lichen Schaden hat, möchte sich beim Heben schwerer Pensionist­innen auch keinen holen.

Die dafür notwendige Kraft und Energie bringen Menschen nicht auf, die täglich gegen die Armut ankämpfen und die von der kommenden Regierung befürchten, dass sie sie in noch ärgere Existenznö­te stoßen könnte. Denn die Idee für 20.000 Jobs stammte schließlic­h vom bisherigen Bundeskanz­ler, Christian Kern – und wird nun wohl in der Versenkung verschwind­en.

Das gesellscha­ftliche Grundprobl­em wird so nicht gelöst. Nämlich, dass arbeitende Menschen lange Jahre für ihre Unternehme­n Leistung erbracht haben, die teilweise über ihre Grenzen ging, und nun mit den Folgen konfrontie­rt sind.

Die Arbeit ist schlecht verteilt. Dem ist gesellscha­ftliche und soziale Anerkennun­g sicher, der Leistung erbringt. Doch ab 50 gilt das plötzlich nicht mehr. Es ist für viele hier neu, sich plötzlich als Feind zu fühlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria