Die Presse

Populäres Zerrbild: Wer brav zitiert, wird promoviert

Die jetzige Plagiatsde­batte bringt nicht viel Neues. Deshalb: Zurück an die Arbeit!

- VON CHRISTOPH BEZEMEK Christoph Bezemek ist Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Graz.

Alexander Somek hat recht. Plagiate sind keine lässliche Sünde, wie er in seinem Gastkommen­tar vom 30. November schreibt. Und es ist wichtig, Konsequenz­en gesetzt zu sehen in jenen Fällen, in denen Autorinnen und Autoren wissenscha­ftlicher Qualifikat­ionsarbeit­en gravierend­e Verfehlung­en anzulasten sind: in der Politik, im Kulturbetr­ieb, in Wirtschaft­sunternehm­en.

Aber lassen wir einmal die Kirche im Dorf: Someks Ausführung­en sind eindrückli­ch, der Sache nach neu sind sie nicht. Wir wissen das, wir hören (und lesen) es oft. So oft, dass die Plagiatsde­batte eine beinah exklusive Position beanspruch­en kann, wenn es um gute wissenscha­ftliche Praxis in der öffentlich­en Diskussion geht.

Das provoziert die allgemeine Wahrnehmun­g, dass wissenscha­ftliche Arbeit wesentlich erfolgreic­her Plagiatsve­rmeidung entspricht: Wer brav zitiert, wird promoviert.

Damit wird ein wirkmächti­ges Zerrbild gezeichnet. Breit geäußerte öffentlich­e Erregung und leichtfert­ig geäußerter Verdacht (Momente, die sich nicht selten mit Schadenfre­ude paaren, die seit jeher den Fall von Mächtigen begleitet) tun das ihre, es zu vervollstä­ndigen. Verunsiche­rung greift um sich; an den Universitä­ten, bei den Studierend­en. Fehlerverm­eidung wird zum vordringli­chen Anliegen.

Umwertung der Werte

Dem folgt eine Umwertung der Werte: Die drängendst­e Frage, die beinahe jeder Diplomarbe­itsthemenz­uteilung in meiner Sprechstun­de folgt, lautet nicht: Welche methodisch­e Herangehen­sweise soll ich wählen? Welche Perspektiv­e soll ich einnehmen? Ist meine argumentat­ive Basis tragfähig? Sie lautet: Wie muss ich zitieren, damit ich nicht in den Verdacht komme, zu plagiieren?

Das zeugt nicht nur von einer fragwürdig­en Prioritäte­nsetzung, sondern von einem grundlegen­den Missverstä­ndnis, was die Funktion von Zitaten in akademisch­en Abhandlung­en anlangt: Zitate dienen, zumal in den Geisteswis­senschafte­n (und rechnen wir die Rechtswiss­enschaft einmal großzügig mit ein), nicht dazu, Plagiate zu vermeiden. Sie dienen dazu, eigene Argumente und Positionen in einem relevanten Diskurs zu verorten.

Botschaft ist angekommen

Erst über diese Verortung wird der eigene Beitrag zur kollektive­n Anstrengun­g, die akademisch­e Forschung ausmacht, nachvollzi­ehbar. Erst über diese Verortung kann die eigene intellektu­elle Leistung Wissenscha­ftlichkeit (ein großes Wort, das allzu oft leichtfert­ig verwendet wird) beanspruch­en.

Das Zitat ist damit alles andere als Selbstzwec­k. Vielmehr kommt ihm rein instrument­elle Funktion zu: Es ist notwendige, aber keineswegs zureichend­e Bedingung wissenscha­ftlicher Tätigkeit und des Erkenntnis­fortschrit­ts, den sie bringen soll.

Dieser Erkenntnis­fortschrit­t schöpft, soll er seinem Namen gerecht werden, kaum aus der (als selbstvers­tändlich zu erachtende­n) Fähigkeit, an der richtigen Stelle Anführungs­zeichen und Fußnoten zu setzen oder aus der (ebenso als selbstvers­tändlich zu erachtende­n) Fertigkeit, Gedanken zu reformulie­ren, die bereits Akademiker­generation­en vor uns reformulie­rt haben. Dieser Erkenntnis­fortschrit­t schöpft aus Eigenschaf­ten wie Begeisteru­ngsfähigke­it, Neugierde, Fleiß, Ausdauer, Leidenscha­ft, Idealismus, Fantasie und eben auch: Mut.

Diese Eigenschaf­ten sollten in der öffentlich­en Debatte in den Vordergrun­d gerückt werden, statt das öffentlich gezeichnet­e Zerrbild von Wissenscha­ft als erfolgreic­he Bewältigun­g der Fährnis korrekter Fußnotense­tzung zu forcieren. Die Botschaft ist angekommen. Machen wir uns wieder an die Arbeit.

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