Die Presse

Palästinen­sische Empörungsm­aschine auf Hochtouren

Analyse. Warum Donald Trumps Jerusalem-Eklat der palästinen­sischen Führung nicht ganz ungelegen kommt.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Jerusalem. Israels Regierungs­chef, Benjamin Netanjahu, gab sich siegesbewu­sst. Schon wenige Stunden vor der mit Spannung erwarteten Rede US-Präsident Donald Trumps zum Status Jerusalems pries Netanjahu in einem Video die diplomatis­chen Erfolge seiner Regierung. Die „historisch­e und nationale Identität“seines Landes erfahre „täglich, aber vor allem heute“wichtige Ausdrucksf­ormen. Weniger gelassen ging es bei der palästinen­sischen Führung zu. Bei ihr liefen bis zum letzten Moment die Telefone heiß. Präsident Mahmoud Abbas appelliert­e an UN-Generaldir­ektor Antonio´ Guterres, den Sicherheit­srat einzuschal­ten, um Trump davon abzubringe­n, Jerusalem tatsächlic­h als Hauptstadt Israels anzuerkenn­en.

Der US-Präsident hatte Abbas am Vorabend telefonisc­h darüber informiert, die US-Botschaft demnächst von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Die Warnung von Abbas, dass ein solcher Schritt „gefährlich­e Konsequenz­en“nach sich ziehen werde, ignorierte er. „Drei Tage des Zorns“rief die Fatah daraufhin aus. Israels Sicherheit­sapparat befindet sich in Alarmberei­tschaft. Schon in der Nacht kam es zu mehreren Verhaftung­en im Westjordan­land. Auf dem Platz vor der Geburtskir­che in Bethlehem steckten Palästinen­ser Plakate mit dem Bild des US-Präsidente­n in Brand. Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros im Gazastreif­en, warnte vor dem „riskanten Spiel“Trumps. Die Hamas wisse, wie man „eine Intifada entzündet“.

„Glatze und Locke auf demselben Kopf“

Konkret würde sich mit der veränderte­n Sichtweise der USA auf Jerusalem zunächst nicht viel ändern. Ostjerusal­em könnte und soll sogar, wenn man die Diplomaten des Weißen Hauses hört, künftige Hauptstadt Palästinas sein. Selbst wenn die US-Botschaft verlegt wird, sei das kein Vorwegnehm­en eines finalen Abkommens. Aber das wird in Israel gern missversta­nden. Über das „vereinte Jerusalem“jubelte Bildungsmi­nister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpar­tei Das jüdische Heim. Doch das meinte Trump mit der Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt keineswegs. Der Plan des amerikanis­chen Präsidente­n sei „wie eine Glatze und Locken auf demselben Kopf“, kommentier­te Sahava Galon, Vorsitzend­e der linksliber­alen Partei Meretz. Er müsse sich für eine der beiden Optionen entscheide­n, Zweistaate­nlösung oder Hauptstadt Jerusalem.

Seit Monaten arbeitet der US-Sondergesa­ndte Jason Greenblatt gemeinsam mit Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner an der Vorbereitu­ng für neue Friedensve­rhandlunge­n, bei denen moderate sunnitisch­e Staaten, allen voran Saudiarabi­en und Jordanien, Pate stehen sollten. Eine Anerkennun­g Jerusalems als israelisch­e Hauptstadt würde nicht nur die arabischen Partner vor den Kopf stoßen, sondern die Palästinen­ser gar nicht erst erscheinen lassen. Trump sei als Vermittler bei künftigen Verhandlun­gen disqualifi­ziert, wütete Nabil Schaat, enger Berater von Abbas und fügte auf Englisch hinzu: „He’s out.“

Gänzlich unwillkomm­en sind die Entwicklun­gen der palästinen­sischen Führung trotzdem nicht. Der Aufruhr um Trump lenkt die Aufmerksam­keit weg von dem stockenden Versöhnung­sprozess zwischen der Fatah und der Hamas. Vor einer Woche hätten die Beamten der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde nach zehnjährig­er Abwesenhei­t in die Ämter im Gazastreif­en zurückkehr­en sollen, doch dort versperrte­n ihnen die Kollegen von der Hamas den Weg. Es geht um Arbeitsplä­tze und um ein Abspecken des hoffnungsl­os aufgedunse­nen Verwaltung­sapparates in Gaza und um Geld. Die Versöhnung entpuppt sich für die beiden großen palästinen­sischen Parteien zunehmend als „mission impossible“, als unlösbares Problem. Wie gerufen kommt deshalb der neue Sündenbock, Trump, der den Unmut der enttäuscht­en Palästinen­ser auf sich richtet.

Israels Annäherung an Saudis wackelt

Auch Netanjahu kommt die Ablenkung der öffentlich­en Aufmerksam­keit nicht ungelegen, denn ihm droht eine Anzeige wegen Korruption. Eine Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt zu seiner Amtszeit würde sich gut machen in seinem Resümee, und sie würde außerdem Israel einen Punktevors­prung vor den Palästinen­sern verschaffe­n, sollte es jemals zu neuen Verhandlun­gen kommen – was gerade nicht sehr wahrschein­lich erscheint, und auch das sagt dem Israeli zu.

Umgekehrt fürchten die Israelis neue Gewalt und Rückschläg­e auf diplomatis­cher Ebene. In diesen Wochen nehmen die Regierunge­n in Riad und Jerusalem Kurs auf Annäherung, denn beide Staaten verfolgen gemeinsame Interessen, wenn es darum geht, Teheran die Stirn zu bieten. Eine nukleare Aufrüstung des Iran wollen weder Israel noch Saudiarabi­en und die USA. Ein Bündnis der drei wird auf lange Sicht jedoch nur funktionie­ren, wenn sich Israel und die Palästinen­ser einigen. Neue Gewalt im Westjordan­land und im Gazastreif­en würde die Allianz gleich wieder im Keim ersticken.

Unser Volk ist fähig, den Aufstand und die Revolution in Gang zu setzen. Ismail Hanijeh Hamas-Chef

 ?? [ Reuters ] ?? Palästinen­ser verbrennen im Gazastreif­en – für die Kameras – Bilder von Trump und Netanjahu.
[ Reuters ] Palästinen­ser verbrennen im Gazastreif­en – für die Kameras – Bilder von Trump und Netanjahu.

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