Palästinensische Empörungsmaschine auf Hochtouren
Analyse. Warum Donald Trumps Jerusalem-Eklat der palästinensischen Führung nicht ganz ungelegen kommt.
Jerusalem. Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, gab sich siegesbewusst. Schon wenige Stunden vor der mit Spannung erwarteten Rede US-Präsident Donald Trumps zum Status Jerusalems pries Netanjahu in einem Video die diplomatischen Erfolge seiner Regierung. Die „historische und nationale Identität“seines Landes erfahre „täglich, aber vor allem heute“wichtige Ausdrucksformen. Weniger gelassen ging es bei der palästinensischen Führung zu. Bei ihr liefen bis zum letzten Moment die Telefone heiß. Präsident Mahmoud Abbas appellierte an UN-Generaldirektor Antonio´ Guterres, den Sicherheitsrat einzuschalten, um Trump davon abzubringen, Jerusalem tatsächlich als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
Der US-Präsident hatte Abbas am Vorabend telefonisch darüber informiert, die US-Botschaft demnächst von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Die Warnung von Abbas, dass ein solcher Schritt „gefährliche Konsequenzen“nach sich ziehen werde, ignorierte er. „Drei Tage des Zorns“rief die Fatah daraufhin aus. Israels Sicherheitsapparat befindet sich in Alarmbereitschaft. Schon in der Nacht kam es zu mehreren Verhaftungen im Westjordanland. Auf dem Platz vor der Geburtskirche in Bethlehem steckten Palästinenser Plakate mit dem Bild des US-Präsidenten in Brand. Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros im Gazastreifen, warnte vor dem „riskanten Spiel“Trumps. Die Hamas wisse, wie man „eine Intifada entzündet“.
„Glatze und Locke auf demselben Kopf“
Konkret würde sich mit der veränderten Sichtweise der USA auf Jerusalem zunächst nicht viel ändern. Ostjerusalem könnte und soll sogar, wenn man die Diplomaten des Weißen Hauses hört, künftige Hauptstadt Palästinas sein. Selbst wenn die US-Botschaft verlegt wird, sei das kein Vorwegnehmen eines finalen Abkommens. Aber das wird in Israel gern missverstanden. Über das „vereinte Jerusalem“jubelte Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei Das jüdische Heim. Doch das meinte Trump mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt keineswegs. Der Plan des amerikanischen Präsidenten sei „wie eine Glatze und Locken auf demselben Kopf“, kommentierte Sahava Galon, Vorsitzende der linksliberalen Partei Meretz. Er müsse sich für eine der beiden Optionen entscheiden, Zweistaatenlösung oder Hauptstadt Jerusalem.
Seit Monaten arbeitet der US-Sondergesandte Jason Greenblatt gemeinsam mit Trumps Schwiegersohn Jared Kushner an der Vorbereitung für neue Friedensverhandlungen, bei denen moderate sunnitische Staaten, allen voran Saudiarabien und Jordanien, Pate stehen sollten. Eine Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt würde nicht nur die arabischen Partner vor den Kopf stoßen, sondern die Palästinenser gar nicht erst erscheinen lassen. Trump sei als Vermittler bei künftigen Verhandlungen disqualifiziert, wütete Nabil Schaat, enger Berater von Abbas und fügte auf Englisch hinzu: „He’s out.“
Gänzlich unwillkommen sind die Entwicklungen der palästinensischen Führung trotzdem nicht. Der Aufruhr um Trump lenkt die Aufmerksamkeit weg von dem stockenden Versöhnungsprozess zwischen der Fatah und der Hamas. Vor einer Woche hätten die Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde nach zehnjähriger Abwesenheit in die Ämter im Gazastreifen zurückkehren sollen, doch dort versperrten ihnen die Kollegen von der Hamas den Weg. Es geht um Arbeitsplätze und um ein Abspecken des hoffnungslos aufgedunsenen Verwaltungsapparates in Gaza und um Geld. Die Versöhnung entpuppt sich für die beiden großen palästinensischen Parteien zunehmend als „mission impossible“, als unlösbares Problem. Wie gerufen kommt deshalb der neue Sündenbock, Trump, der den Unmut der enttäuschten Palästinenser auf sich richtet.
Israels Annäherung an Saudis wackelt
Auch Netanjahu kommt die Ablenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht ungelegen, denn ihm droht eine Anzeige wegen Korruption. Eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt zu seiner Amtszeit würde sich gut machen in seinem Resümee, und sie würde außerdem Israel einen Punktevorsprung vor den Palästinensern verschaffen, sollte es jemals zu neuen Verhandlungen kommen – was gerade nicht sehr wahrscheinlich erscheint, und auch das sagt dem Israeli zu.
Umgekehrt fürchten die Israelis neue Gewalt und Rückschläge auf diplomatischer Ebene. In diesen Wochen nehmen die Regierungen in Riad und Jerusalem Kurs auf Annäherung, denn beide Staaten verfolgen gemeinsame Interessen, wenn es darum geht, Teheran die Stirn zu bieten. Eine nukleare Aufrüstung des Iran wollen weder Israel noch Saudiarabien und die USA. Ein Bündnis der drei wird auf lange Sicht jedoch nur funktionieren, wenn sich Israel und die Palästinenser einigen. Neue Gewalt im Westjordanland und im Gazastreifen würde die Allianz gleich wieder im Keim ersticken.
Unser Volk ist fähig, den Aufstand und die Revolution in Gang zu setzen. Ismail Hanijeh Hamas-Chef