Wer nicht spurt, dem droht Konkurs
Gastkommentar. Es ist höchste Zeit, unser Unternehmensstrafrecht auf seine Verträglichkeit in der Praxis zu überprüfen.
Die von der EU initiierte Datenschutz-Grundverordnung, die bis 25. Mai 2018 umzusetzen ist, enthält eine Strafbestimmung von bis zu 20 Millionen Euro. Da wackeln alle Unternehmen mit den Ohren. Wo horrende Strafen verhängt werden können, ist die wirtschaftliche Existenz in Gefahr.
Die Botschaft lautet: Wenn Du nicht spurst, droht der Konkurs. Zum Vergleich: Wer mit mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut ein Fahrzeug in Betrieb nimmt, kann mit einer Geldstrafe von bis 5813 Euro rechnen.
Der liberale Rechtsstaat wurde einst erfunden, um die Willkür des Absolutismus zu überwinden. Wenn wir nun die Willkür ins Gesetz schreiben, überwinden wir den liberalen Rechtsstaat im Namen des Rechts.
Seit unsere Gesetzgeber vom Pfad der Vernunft auf den Pfad der Tugend abgebogen sind, herrscht die Maxime: Ich drohe mit dem Strafrecht, daher bin ich gut. Wenn man ausgerechnet in Brüssel dieser Philosophie der Schaffung eines neuen guten Menschen per Strafjustiz anhängt, wird man die Europatreue der Bürger nicht gerade stärken.
Wenn mit der DatenschutzGrundverordnung die justizielle Peitsche bei jedem Datenspeicherer ankommt, wird der Friedensgedanke der Union systematisch unterminiert. Wer das Strafrecht als gängiges Erziehungsinstrument und nicht als Ultima Ratio begreift, drängt in Richtung autoritärer Obrigkeitsstaat.
Unbekannte Gesetzesbegriffe
Bedenklich ist auch, dass in den Gesetzen zunehmend unbekannte und unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet werden. Wenn man zunächst mehrere Seiten studieren muss, um annäherungsweise zu wissen, ob man ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten könnte, wird das tägliche Geschäft zum russischen Roulette. Wenn der Begriff des Amtsträgers sich auch auf Organe ausländischer Unternehmen erstreckt, die von einer dem Rech- nungshof vergleichbaren Institution geprüft werden, hat man ohne entsprechende öffentliche Listen schlicht keine Ahnung, wem man nun welche Aufmerksamkeiten zukommen lassen kann. „Do ut des“ist ja das Grundgesetz des Handels.
Instrument der Erpressung
Pervers wird es schließlich, wenn das Recht selbst nicht nur zur Quelle von Wettbewerbsnachteilen, sondern sogar des Unrechts wird. So sind nach dem österreichischen Korruptionsstrafrecht (§ 305 StGB) orts- und landesübliche Geschenke verpönt, so weit sie nicht geringwertig sind. Geringwertigkeit wird nach der Judikatur bei 100 Euro angesetzt. Während viele Länder kein Problem damit haben, wenn im geschäftlichen Verkehr etwa bei Hochzeiten nicht geringwertige Geschenke überreicht werden, müssen sich die Österreicher als Knauser verkaufen.
Österreicher müssen ihre ausländischen Geschäftspartner zum Würstelstand einladen, andere können dies im repräsentativen Restaurant tun. Wer dennoch ein orts- und landesübliches höherwertiges Geschenk offeriert, muss mit einer Vernaderung der Konkurrenz bei der österreichischen Staatsanwaltschaft rechnen.
Nicht nur in der Rüstungsindustrie – Stichwort Eurofighter – wird das Strafrecht als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen verwendet. Auch im Kleinen mutiert das österreichische Korruptionsstrafrecht zum Instrument der Erpressung durch ausländische Konkurrenten. Allzu viele Skrupel sollte man sich dort nicht erwarten – geschweige denn Dankbarkeit gegenüber einem naiven Gesetzgeber.
Es ist Zeit, unsere Strafgesetze auf ihre Praxisverträglichkeit zu überprüfen. Das wünsche ich mir, in der Weihnachtszeit, von unseren neuen Abgeordneten.