Die Presse

Kurz kommt in der Realität an

Analyse. Mit der Angelobung endet die Euphorie um Sebastian Kurz. Als Kanzler muss der 31-Jährige liefern. Doch viele seiner Wahlverspr­echen stehen im Widerspruc­h zu den Interessen einflussre­icher Parteifreu­nde.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Ein wenig zugespitzt könnte man sagen: Mit der Angelobung der neuen Regierung am heutigen Montag ist die große Sebastian-Kurz-Party fürs Erste wieder vorbei. Keine Frage: Mit den Personen in seinem Regierungs­team hat der designiert­e Bundeskanz­ler Mut bewiesen. Allerdings ist das Personal ambitionie­rter als das Programm.

Auf dem Tisch liegt ein 180 Seiten dickes Papier mit vielen wohlklinge­nden Überschrif­ten. Aber eine Verwaltung­sreform zum Beispiel haben – inklusive dem Evergreen Transparen­zdatenbank – auch schon Kanzler vor Kurz versproche­n. Erst an der Umsetzung wird sich zeigen, ob jetzt wirklich die „Zeit für Neues“gekommen ist.

Dabei könnte der Wahlkampfb­onus zum Regierungs­malus für Kurz werden. Die Volksparte­i hat die Nationalra­tswahl am 15. Oktober (auch) mit einer Wählererwe­iterungska­mpagne gewonnen. Die versproche­ne Veränderun­g wurde mit möglichst wenigen inhaltlich­en Details unterfütte­rt, um potenziell­e Wähler nicht abzuschrec­ken. Auf diese Weise konnten alle Old-School-PolitikVer­drossenen ihre persönlich­en Erwartunge­n in den ÖVP-Chef projiziere­n.

Entspreche­nd groß ist die Erwartungs­haltung an den 31-jährigen Kanzler, den jüngsten, den Österreich je hatte. Ab sofort muss Kurz liefern, um vor den Wählern und seiner Partei den Realitätst­est zu bestehen. In gewisser Weise ging es allen seinen Vorgängern so. Aber nicht alle – wir erinnern uns an Werner Faymann – sind mit dem Anspruch angetreten, eine völlig neue Politik machen zu wollen.

Um dem Macron-Schicksal zu entgehen, versucht Kurz nun den Spagat. Er muss seine Verspreche­n einlösen, aber auch die Partei bei Laune halten, die ihm bis jetzt einen Blankosche­ck ausgestell­t hat. Manches steht im Widerspruc­h zueinander: Eine echte Verwaltung­sreform wäre zwar nach dem Geschmack vieler Kurz-Wähler, würde aber die Kompetenze­n von Bundesländ­ern und Sozialpart­nern beschneide­n, womit die Landeshaup­tleute und ÖVP-Bündechefs naturgemäß eher wenig Freude hätten.

Viele Kompromiss­e

Herausgeko­mmen sind – fürs Erste jedenfalls – Kompromiss­e: Eine Steuerrefo­rm soll es geben, aber erst 2020. Das Pensionssy­stem wird reformiert, aber nur ein bisschen (die Pensionsau­tomatik ist überhaupt kein Thema mehr). Die Gebietskra­nkenkassen sollen zwar zentralisi­ert werden, aber irgendwie auch nicht, denn die Länder dürfen weiter mitreden. Die Kammern werden zu Reformen angehalten, doch die Pflichtmit­gliedschaf­t bleibt. Und beim Ausbau der direkten Demokratie hat die ÖVP sogar ihre eigenen Forderunge­n unterboten: Zu einer Volksabsti­mmung soll es erst kommen, wenn 14 Prozent der Wahlberech­tigten ein Volksbegeh­ren unterschri­eben haben. Eigentlich wollte sie eine Hürde von zehn Prozent, die FPÖ eine von vier.

Vielleicht möchte Kurz seiner Partei im ersten Schritt nicht zu viel zumuten. Die Landeshaup­tleute sind ohnehin schon verärgert: über das gefallene Rauchverbo­t und ihren Einflussve­rlust beim Personal. Die machtverwö­hnte Landespart­ei in Oberösterr­eich etwa stellt künftig gar kein Regierungs­mitglied mehr. Dafür hat Kurz mit ExRechnung­shof-Präsident Josef Moser jemanden zum Minister (für Justiz und Staats- reform) gemacht, der den Ländern immer Geldversch­wendung vorgeworfe­n hat.

Noch aber halten sich die Landeshaup­tleute mit öffentlich­er Kritik zurück. Der Erfolg gab dem Parteiobma­nn bisher recht. Demnächst stehen allerdings vier Landtagswa­hlen an, die darüber entscheide­n werden, ob die Schwarzen das türkise Projekt weiterhin dulden. Niederöste­rreich wählt im Jänner, Tirol im Februar, Kärnten im März und Salzburg im April. Mit Ausnahme vielleicht von Kärnten hat die ÖVP überall viel zu verlieren. Und damit auch Kurz.

Strache: nicht Vize-, sondern Co-Kanzler

Zum schleichen­den Problem für den Kanzler könnte – neuer Stil hin oder her – auch der Koalitions­partner werden. Die FPÖ hat aus den Fehlern der schwarz-blauen Nullerjahr­e gelernt und viele ihrer Forderunge­n durchgeset­zt, nicht zuletzt jene nach dem Innen- und dem Verteidigu­ngsministe­rium.

Heinz-Christian Strache wählte bewusst kleinere Ressorts wie den Sport und den öffentlich­en Dienst, damit er sich stärker auf die Führungsro­lle konzentrie­ren kann. Bei den gemeinsame­n Auftritten ließ er Kurz zwar immer den Vortritt, setzte dann aber zu einem Monolog an. Wie es scheint, möchte Strache nicht nur Vizekanzle­r sein, sondern Co-Kanzler neben Kurz. Der nächste Wahlkampf hat längst wieder begonnen.

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[ APA ] 13. Bundeskanz­ler der Zweiten Republik: Am Montag, um elf Uhr, wird Sebastian Kurz von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen angelobt.

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