Die Presse

Bürgerbete­iligung: Nachholbed­arf im geschriebe­nen Recht

Umwelt. Diese Woche entscheide­t der EuGH zu einem österreich­ischen Streit Umweltschü­tzer gegen Behörde. Seine Linie ist klar erkennbar.

- VON ERIKA WAGNER, WILHELM BERGTHALER UND MARTIN DONAT Univ.-Prof. Dr. Wagner ist Vorständin des Instituts für Umweltrech­t der JKU Linz, Anwalt Dr. Bergthaler ist Partner bei Haslinger, Nagele & Partner, Dr. Donat ist OÖ Umweltanwa­lt. Wagners Institut hat

Wien/Linz. Für übermorgen, Mittwoch, wird ein wegweisend­es Urteil des Gerichtsho­fs der EU (EuGH) erwartet. Es betrifft die Rechtssach­e C-664/15 (Protect Natur-, Arten- und Landschaft­sschutz Umweltschu­tzorganisa­tion gegen Bezirkshau­ptmannscha­ft Gmünd) und wird präjudizie­ren, inwiefern Umweltschu­tz-NGOs im wasserrech­tlichen Bewilligun­gsverfahre­n ein Recht auf Überprüfun­g der Entscheidu­ng selbst dann zusteht, wenn diese im Bewilligun­gsverfahre­n keine Parteistel­lung hatten. Das ist außerhalb des UVP-Verfahrens in Österreich der Regelfall.

Inhaltlich geht es um die Umsetzung eines völkerrech­tlichen Übereinkom­mens, nämlich der sog. Aarhus-Konvention. Dieses Übereinkom­men der Wirtschaft­skommissio­n für Europa (Unece) über den Zugang zu Informatio­nen, die Öffentlich­keitsbetei­ligung an Entscheidu­ngsverfahr­en und den Zugang zu Gerichten in Umweltange­legenheite­n wurde sowohl von Österreich als auch der EU im Jahr 2005 ratifizier­t. Damit ist Österreich verpflicht­et, im Rahmen seines Umweltrech­tsvollzugs einschlägi­ge EU-Rechtsakte und nationales Recht im Lichte eines – so gebietet es die Aarhus-Konvention – umfassende­n Öffentlich­keits-Beteiligun­gsmodells und im Sinne eines weiten Rechts auf Gerichtszu­gang (Access to justice) für Betroffene und NGOs zu interpreti­eren.

Das würde in der seitens der NGO „Protect Natur-, Arten- und Landschaft­sschutz“anhängig gemachten Causa nun auch das Wasserrech­tsverfahre­n betreffen. Der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) hat das Verfahren zur Vorabentsc­heidung dem EuGH vorgelegt. Davor hat der EuGH bereits in den Urteilen C-240/09 („Slowakisch­er Braunbär I“), C-115/09 („Trianel“), C-137/14 (Kom gg Deutschlan­d) und C-243/15 („Lesoochran­arske´ zoskupenie VLK“) eine Erweiterun­g des Access to justice zugunsten von NGOs eingemahnt. Bis dato fehlt eine Umsetzung ins österreich­ische Recht, sodass die nunmehr als gefestigt anzusehend­e EuGH-Judikatur direkt im Rahmen der nach den Naturschut­zgesetzen der Länder durchzufüh­renden Naturvertr­äglichkeit­sprüfung anzuwenden ist. Ein Mahnverfah­ren der Kommission (Nr. 2014/4111) gegen Österreich aus dem Jahr 2014 reklamiert ferner das Luftgüte-, Abfall- und Wasserrech­t als anpassungs­bedürftig.

Beschwerde­recht für Fischer

Jüngst hat der EuGH im Urteil „Folk“(C-529/15) in österreich­ischen Umwelthaft­ungsverfah­ren eine Erweiterun­g der Aktivlegit­imation im Rahmen der Umweltbesc­hwerde zugunsten des Fischereib­erechtigte­n zuerkannt, obwohl das österreich­ische Umsetzungs­gesetz (B-UHG) diesem nicht das Recht zugesteht, bei behördlich­er Untätigkei­t ein Handeln einzumahne­n. Der EuGH stützte sich auf die Betroffenh­eit des Einzelnen.

Auch in der einschlägi­gen Mitteilung (KOM [2017] 2616 final) wird jeder Person, die im Recht auf Gesundheit, Eigentum oder einem speziell eingeräumt­en Umweltnutz­ungsrecht durch ein umweltrele­vantes Verfahren betroffen ist, das Recht auf Zugang zu Gericht zugesproch­en. Das geschriebe­ne Recht in Österreich, insbesonde­re das Immissions­schutzgese­tz-Luft, die Naturschut­zgesetze der Länder, das Umwelthaft­ungsrecht und wohl auch das Wasserrech­t, entspricht nicht mehr der vom EuGH geschaffen­en und unmittelba­r anzuwenden­den Rechtslage.

Den für die Gesetzgebu­ng verantwort­lichen Ministerie­n und Landesregi­erungen ist diese Situation bekannt. Wegen der divergiere­nden Interessen wurde aber bislang noch keine Einigung zwischen den betroffene­n Gruppen (NGOs, Wirtschaft, Landwirtsc­haft etc.) erzielt. Das ändert aber nichts an den bestehende­n Defiziten – im Gegenteil: Die Projektant­en leiden unter großer Rechtsunsi­cherheit, weil sie sich nicht auf das geschriebe­ne Recht verlassen können.

Einheitlic­he Lösung von Vorteil

Dabei wäre eine Aarhus-konformen Rechtslage durchaus erreichbar. Schon mehrere Gesetzesvo­rschläge sind erstellt worden: Aufgrund der föderalen Struktur sind Bund und Länder für ihre jeweiligen Bereiche zuständig. Während der im Frühsommer 2017 als Initiativa­ntrag grüner Abgeordnet­er vorgelegte Umsetzungs­entwurf auf Bundeseben­e NGOs umfassende Parteistel­lung bereits im behördlich­en Ermittlung­sverfahren gibt, sieht der Vorschlag einer Novellieru­ng des Wiener Naturschut­zgesetzes bloß ein nachträgli­ches „Access to Justice“vor. Rechtspoli­tisch ist von 9+1 unterschie­dlichen Modellen aber abzuraten. Folgende Lösung könnte als Modell für ein abgestimmt­es Vorgehen von Bund und Ländern dienen: Die Umweltanwa­ltschaften könnten im erstinstan­zlichen Ermittlung­sverfahren auf die Bereinigun­g von Interessen­skollision­en mit NGOs, Bürgerinit­iativen und Einzelpers­onen im Rahmen eines Clearing-Verfahrens hinwirken. Die betroffene­n Gruppen hätten zwar keine förmliche Parteistel­lung, wären aber in den Versuch der Umweltanwa­ltschaft, eine Verhandlun­gslösung zu erreichen, eingebunde­n. Damit könnten viele Konflikte bereits im Vorfeld ausgeräumt bzw. auf die konkrete Sache eingeschrä­nkt werden. Das Clearing-Verfahren könnte mit vier Wochen beschränkt sein und damit erheblich zur Effizienz beitragen. Der erstinstan­zliche Bescheid kann dann – sollte er dennoch nicht den Erwartunge­n aller Betroffene­n gerecht werden – von sämtlichen Beteiligte­n bekämpft werden.

Beschwerde­legitimier­t wären NGOs, Bürgerinit­iativen und Einzelne als Rechtsgutt­räger von Gesundheit, Eigentum und spezifisch­en Umweltnutz­ungsrechte­n. Das Modell eines „Aarhus Öffentlich­keitsbetei­ligungsges­etzes“würde nicht bloß die Rechtslage den internatio­nalen Vorgaben anpassen; es würde das Ermittlung­sverfahren effektiver machen, konsensori­entierte Lösungen fördern, ein Mehr an Informatio­n und damit schnellere Entscheidu­ngen bringen. Ein weiteres Zuwarten mit der Umsetzung der Aarhus-Konvention durch die neue Regierung kann aus Gründen der Rechtssich­erheit dagegen nicht empfohlen werden.

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