Stolpernd durch den Liebesreigen
Kino. Mit „Fragmente einer Sprache der Liebe“schrieb Roland Barthes das vielleicht schönste Vademekum für Opfer Cupidos. Die französische Regisseurin Claire Denis hat es nun verfilmt.
Liebe im Kino, das ist meist eine Sache der Gewissheiten. Ob Love Story in Hollywood oder Amour Fou in Europa – immer geht es darum, dass da zwei zusammengehören, verbunden durch einen unsichtbaren Schicksalsfaden. Klar kann der Pfad zum Glück beschwerlich sein, an Abgründe führen oder bis an die Grenzen des Selbst. Doch an der großen, romantischen Idee von Liebe als nahezu mystischer Kraft, die immer einen Weg findet, wird so gut wie nie gerüttelt.
Nicht umsonst nennt man die Traumfabrik oft Pärchenproduktionsmaschine. Im Leben hingegen geht’s selten so eindeutig zu. Das weiß die große französische Kinopoetin Claire Denis nur zu gut. Ihre sensiblen und sinnlichen Arbeiten („Beau travail“, „35 ruhms“) leben von Schwebezuständen, Annäherungen und Abwendungen. Und jetzt hat sie einen Film gemacht, in dem es ganz ausdrücklich um Liebe geht. Nicht um das Finden der Liebe, sondern um die Suche danach. Nicht um die Gewissheiten eines Gefühls, sondern um seine Unsicherheiten. Und nicht ums Balzverhalten der Jugend, sondern um die Ängste einer Dame, die langsam in die Jahre kommt – famos gespielt von Juliette Binoche.
Eitelkeit und Wankelmut
Als lose Vorlage diente Denis dabei einer der feinfühligsten Minnegesänge der französischen Literatur: „Fragmente einer Sprache der Liebe“(1977) von Roland Barthes. In diesem seinem vielleicht bekanntesten und persönlichsten Werk versuchte der Empfindungsden- ker, eine Art Vademekum für Liebende zu verfassen, einen Katalog der prekären Szenarien und Gefühlslagen, in die man als Opfer Cupidos gerät – von „Abhängigkeit“bis „Zugrundegehen“.
„Meine schöne innere Sonne“(aus dem Französischen: „Un beau soleil interieur“)´ bündelt die „Fragmente“in der Figur der geschiedenen Pariser Künstlerin Isabelle (Binoche). Diese möchte sich nicht damit abfinden, dass ihr Liebesleben schon vorbei sein soll. Sie wird begehrt, daran scheitert es nicht – nur mit dem Zurück-Begehren will es nicht so richtig klappen. Manchmal liegt das an den Eitel- und Rücksichtslosigkeiten der Männer, manchmal an Isabelles Wankelmut. Aber meistens fehlt schlicht die gemeinsame Sprache: Was meint der andere eigentlich, wenn er dieses oder jenes sagt? Will er oder will er nicht? Weiß er überhaupt, was er will? Weiß ich es?
Denis inszeniert diesen amourösen Eiertanz als episodischen Reigen aus verkappten Flirts und täppischen Techtelmechtel. Die können heiter, dramatisch und lächerlich sein – oder alles auf einmal. In einer grandiosen Sequenz dehnt sich das turtelnde Tauziehen über einen ganzen Abend. Erst an der Bar, wo der Mann fallen lässt, dass es zwischen ihm und seiner Frau zu Ende geht – nur nebenbei, versteht sich. Dann im Auto, wo sich Isabelle einfach nicht durchringen kann, auszusteigen, weil noch etwas in der Luft liegt, was sich keiner zu benennen traut. Schließlich oben in der Wohnung, wo man irgendwie nichts miteinander anzufangen weiß. Auf der Schwelle, kurz vorm Abschied, fallen sich die Beiden dann doch in die Arme. Isabelle atmet auf: „Es tut so gut, endlich mit dem ganzen Gerede aufzuhören, ich dachte, es endet nie.“Doch schon ein paar Szenen später beginnt der Liebesdiskurs von vorn.
Depardieu als Eso-Therapeut
Formal ist „Meine schöne innere Sonne“einer von Denis’ zugänglichsten Filmen, doch ihre Aufmerksamkeit für Körpermelodien ist ungebrochen – besonders für Binoches Gesicht, das zwischen Zerknirschtheit und mädchenhafter Hoffnung flattert wie eine Fahne im Wind. Und was so manche Programmkinoromanzen, mit denen man den Film aufgrund seines Titels verwechseln könnte, schamhaft unter die Bettdecke oder ins Off schieben, wird hier nicht ausgeblendet: Sex und Klassenunterschiede. Isabelle macht sich über den Ego-Banker (herrlich unsympathisch: Xavier Beauvois) lustig, der über ihr ächzend fragt, ob sie schon gekommen ist. Gleichzeitig gesteht sie einer Freundin, dass es sie auch ein bisschen antörnt, mit einem Saukerl zu schlafen. Ein andermal weist sie ihren Ex-Mann zurecht, als er sich lasziv den Finger leckt: „Das wirkt aufgesetzt, es passt nicht zu dir.“Und nachdem Isabelle in einem seltenen Engtanz-Glücksmoment (unterstrichen vom Soul-Klassiker „At Last“) endlich ihren Seelenverwandten gefunden zu haben glaubt, meint ein Bekannter (nicht ohne Hintergedanken), man dürfe nicht außerhalb seines Milieus fischen, das habe keine Zukunft.
Das bringt die Schwankende aus dem Konzept. Also geht es weiter hin und her. Das Begehren stirbt zuletzt. Versinnbildlicht in einer hochkomischen Sitzung mit einem Eso-Therapeuten (Gerard´ Depardieu), der Isabelles Fragen in endlosen Schwafel-Strömen ertränkt. Bis dahin wurde ohnehin fast jede erdenkliche Liebesirrung durchgespielt. Nur die Eigenheiten mobiler Kommunikation lässt der Film außen vor. Warten auf den Anruf des anderen, ja – aber nicht das Harren der Meldung, dass eine Bekenntnis-SMS gelesen wurde. Dann ginge es wohl nicht mehr um Fragmente einer Sprache der Liebe, sondern um Splitter.