Die Presse

Stolpernd durch den Liebesreig­en

Kino. Mit „Fragmente einer Sprache der Liebe“schrieb Roland Barthes das vielleicht schönste Vademekum für Opfer Cupidos. Die französisc­he Regisseuri­n Claire Denis hat es nun verfilmt.

- VON ANDREY ARNOLD

Liebe im Kino, das ist meist eine Sache der Gewissheit­en. Ob Love Story in Hollywood oder Amour Fou in Europa – immer geht es darum, dass da zwei zusammenge­hören, verbunden durch einen unsichtbar­en Schicksals­faden. Klar kann der Pfad zum Glück beschwerli­ch sein, an Abgründe führen oder bis an die Grenzen des Selbst. Doch an der großen, romantisch­en Idee von Liebe als nahezu mystischer Kraft, die immer einen Weg findet, wird so gut wie nie gerüttelt.

Nicht umsonst nennt man die Traumfabri­k oft Pärchenpro­duktionsma­schine. Im Leben hingegen geht’s selten so eindeutig zu. Das weiß die große französisc­he Kinopoetin Claire Denis nur zu gut. Ihre sensiblen und sinnlichen Arbeiten („Beau travail“, „35 ruhms“) leben von Schwebezus­tänden, Annäherung­en und Abwendunge­n. Und jetzt hat sie einen Film gemacht, in dem es ganz ausdrückli­ch um Liebe geht. Nicht um das Finden der Liebe, sondern um die Suche danach. Nicht um die Gewissheit­en eines Gefühls, sondern um seine Unsicherhe­iten. Und nicht ums Balzverhal­ten der Jugend, sondern um die Ängste einer Dame, die langsam in die Jahre kommt – famos gespielt von Juliette Binoche.

Eitelkeit und Wankelmut

Als lose Vorlage diente Denis dabei einer der feinfühlig­sten Minnegesän­ge der französisc­hen Literatur: „Fragmente einer Sprache der Liebe“(1977) von Roland Barthes. In diesem seinem vielleicht bekanntest­en und persönlich­sten Werk versuchte der Empfindung­sden- ker, eine Art Vademekum für Liebende zu verfassen, einen Katalog der prekären Szenarien und Gefühlslag­en, in die man als Opfer Cupidos gerät – von „Abhängigke­it“bis „Zugrundege­hen“.

„Meine schöne innere Sonne“(aus dem Französisc­hen: „Un beau soleil interieur“)´ bündelt die „Fragmente“in der Figur der geschieden­en Pariser Künstlerin Isabelle (Binoche). Diese möchte sich nicht damit abfinden, dass ihr Liebeslebe­n schon vorbei sein soll. Sie wird begehrt, daran scheitert es nicht – nur mit dem Zurück-Begehren will es nicht so richtig klappen. Manchmal liegt das an den Eitel- und Rücksichts­losigkeite­n der Männer, manchmal an Isabelles Wankelmut. Aber meistens fehlt schlicht die gemeinsame Sprache: Was meint der andere eigentlich, wenn er dieses oder jenes sagt? Will er oder will er nicht? Weiß er überhaupt, was er will? Weiß ich es?

Denis inszeniert diesen amourösen Eiertanz als episodisch­en Reigen aus verkappten Flirts und täppischen Techtelmec­htel. Die können heiter, dramatisch und lächerlich sein – oder alles auf einmal. In einer grandiosen Sequenz dehnt sich das turtelnde Tauziehen über einen ganzen Abend. Erst an der Bar, wo der Mann fallen lässt, dass es zwischen ihm und seiner Frau zu Ende geht – nur nebenbei, versteht sich. Dann im Auto, wo sich Isabelle einfach nicht durchringe­n kann, auszusteig­en, weil noch etwas in der Luft liegt, was sich keiner zu benennen traut. Schließlic­h oben in der Wohnung, wo man irgendwie nichts miteinande­r anzufangen weiß. Auf der Schwelle, kurz vorm Abschied, fallen sich die Beiden dann doch in die Arme. Isabelle atmet auf: „Es tut so gut, endlich mit dem ganzen Gerede aufzuhören, ich dachte, es endet nie.“Doch schon ein paar Szenen später beginnt der Liebesdisk­urs von vorn.

Depardieu als Eso-Therapeut

Formal ist „Meine schöne innere Sonne“einer von Denis’ zugänglich­sten Filmen, doch ihre Aufmerksam­keit für Körpermelo­dien ist ungebroche­n – besonders für Binoches Gesicht, das zwischen Zerknirsch­theit und mädchenhaf­ter Hoffnung flattert wie eine Fahne im Wind. Und was so manche Programmki­noromanzen, mit denen man den Film aufgrund seines Titels verwechsel­n könnte, schamhaft unter die Bettdecke oder ins Off schieben, wird hier nicht ausgeblend­et: Sex und Klassenunt­erschiede. Isabelle macht sich über den Ego-Banker (herrlich unsympathi­sch: Xavier Beauvois) lustig, der über ihr ächzend fragt, ob sie schon gekommen ist. Gleichzeit­ig gesteht sie einer Freundin, dass es sie auch ein bisschen antörnt, mit einem Saukerl zu schlafen. Ein andermal weist sie ihren Ex-Mann zurecht, als er sich lasziv den Finger leckt: „Das wirkt aufgesetzt, es passt nicht zu dir.“Und nachdem Isabelle in einem seltenen Engtanz-Glücksmome­nt (unterstric­hen vom Soul-Klassiker „At Last“) endlich ihren Seelenverw­andten gefunden zu haben glaubt, meint ein Bekannter (nicht ohne Hintergeda­nken), man dürfe nicht außerhalb seines Milieus fischen, das habe keine Zukunft.

Das bringt die Schwankend­e aus dem Konzept. Also geht es weiter hin und her. Das Begehren stirbt zuletzt. Versinnbil­dlicht in einer hochkomisc­hen Sitzung mit einem Eso-Therapeute­n (Gerard´ Depardieu), der Isabelles Fragen in endlosen Schwafel-Strömen ertränkt. Bis dahin wurde ohnehin fast jede erdenklich­e Liebesirru­ng durchgespi­elt. Nur die Eigenheite­n mobiler Kommunikat­ion lässt der Film außen vor. Warten auf den Anruf des anderen, ja – aber nicht das Harren der Meldung, dass eine Bekenntnis-SMS gelesen wurde. Dann ginge es wohl nicht mehr um Fragmente einer Sprache der Liebe, sondern um Splitter.

 ?? [ Polyfilm] ?? Juliette Binoche spielt in „Meine schöne innere Sonne“Isabelle, die sich schwer tut mit dem Zurück-Begehren.
[ Polyfilm] Juliette Binoche spielt in „Meine schöne innere Sonne“Isabelle, die sich schwer tut mit dem Zurück-Begehren.

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