Doppelinterview mit Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache
Doppel–Interview. ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklären die Abkehr von der bisherigen Laissez-fairePolitik und wollen die Finanzmarktaufsicht mit der Nationalbank zusammenlegen.
Die Presse: Herr Vizekanzler . . . Heinz-Christian Strache: Noch nicht . . .
Sie haben gestern ein E-Mail ausgeschickt an Ihre Partei und darin betont, dass mehr als die Hälfte im Regierungsprogramm eine freiheitliche Handschrift aufweise. Das klingt wie die ÖVPJuniorpartner in der rot-schwarzen Vergangenheit.
Strache: Ich habe es gestern im Rahmen unserer Pressekonferenz sogar noch detaillierter auf den Punkt gebracht: Nämlich, dass sich beide Seiten, FPÖ und ÖVP, in diesem Programm mit 75 Prozent wiederfinden. Zumal wir ja auch schon im Wahlkampf da und dort ähnliche Gemeinsamkeiten hatten.
Herr Bundeskanzler, Wolfgang Schüssel hat sich in mehreren Regierungsverhandlungen als Meister des Verhandelns erwiesen – sowohl bei den Kompetenzen als auch den Ressorts. Sie haben Ihrem Koalitionspartner da nun mehr Luft gelassen.
Sebastian Kurz: Wir haben eine faire Phase der Verhandlungen erlebt. Das war eine gute Basis für die nächsten fünf Jahre. Die Bevölkerung hat den gegenseitigen Streit satt. Sie wünscht sich eine Regierung, die gemeinsam an einem Strang zieht. Im Ergebnis können wir uns beide stark wiederfinden. Es war uns beiden im Wahlkampf wichtig, ein Mehr an Sicherheit zu schaffen, gegen die illegale Migration anzukämpfen, den Standort in Österreich zu stärken, Maßnahmen zu setzen, dass die sozialen Systeme treffsicherer werden und dass diejenigen, die arbeiten gehen, nicht die Dummen sind. Das gilt auch für das Personal: Mir war es wichtig, dass wir den Finanzminister stellen, dem Koalitionspartner war es wichtig, den Innenminister zu stellen.
Wäre es aus Ihrer Sicht auch mit der SPÖ möglich gewesen, so zügig zu verhandeln? Kurz: Die Verhandlungen mit der SPÖ waren in der Vergangenheit immer ein Gegeneinander. Insofern waren diese Verhandlungen sicher von einer anderen Qualität. In großen Fragen – bei der Migrationspolitik, der Standortpolitik – waren wir uns inhaltlich natürlich auch näher. Strache: Man muss da ja auch noch einmal den Wählerauftrag vom 15. Oktober herausheben: Das war keine Bestätigung für einen Bundeskanzler Kern.
Haben Sie eigentlich keine Sorge, dass Sie die jetzigen Bilder im nächsten Wahlkampf einholen – etwa Ihr nachdrückliches Lob für die menschlichen Qualitäten des Sebastian Kurz? Strache: Ich glaube, dass die Österreicherinnen und Österreicher eines wirklich satt haben: Dass zwei Partner in einer Regierung nicht anständig miteinander umgehen. Genau das war ja in den vergangenen zwölf Jahren die Realität. Und es wird ja auch Probleme geben, Themen, bei denen wir nicht einer Meinung sein werden. Das muss man dann auf einer menschlichen Ebene, ohne Geringschätzung, lösen.
Kommen wir zum Regierungsprogramm: Ein radikales Reformpapier ist das nicht. Strache: Das ist immer eine Frage der Definition. In der Gesellschaftspolitik und der Sicherheitspolitik werden überfällige Schritte gesetzt. Diese Bereiche sind in den vergangenen 20 Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen.
Pensionen? Steuern? Kalte Progression? Kurz: Das Programm – aber auch das Team – ist eine radikale Veränderung und ganz etwas anderes als das, was wir bisher hatten. Es gibt den klaren Anspruch, einen Staat zu schaffen, der sparsam ist mit Steuergeld, der im System spart und nicht bei den Menschen, der eine steuerliche Entlastung möglich macht. Wir werden hier erstmals gegensteuern – und die Steuer- und Abgabenlast in Rich- tung 40 Prozent zu senken. Und was das Thema Pensionen betrifft: Natürlich braucht es hier Veränderung. Aber es braucht realistische Maßnahmen. Und keine theoretische Debatte über ein höheres gesetzliches Pensionsantrittsalter, wenn das tatsächliche Pensionsantrittsalter deutlich unter dem gesetzlichen liegt. Strache: Es braucht viele, viele kleine Schritte, um dann am Ende auf dem Berggipfel anzukommen. Da muss man da und dort an den Schrauben drehen und dabei wissen, dass man nicht alles anders machen kann. Aber vieles besser.
Wenn man sich das Programm ansieht, zieht sich eines wie ein roter Faden durch: Es wird alles strenger. Von der Schule bis zu den Unis, von der Zuwanderung über die Sicherheitsapparate bis zum Budget. Ist das eine bewusste Abkehr von einer bisher als Laissez-faire-Politik empfundenen Entwicklung? Ein neuer Security-Staat? Kurz: Das nicht. Aber es ist eine Abkehr von einer Laissez-faire-Politik. Grundsätzlich treten wir ein für weniger Regeln, weniger Regulierung, weniger Bürokratie. Aber die Regeln, die es gibt, die müssen von allen eingehalten werden. Dass Leistung, Freiheit, Eigenverantwortung Grundwerte sind, die auch dieses Programm geprägt haben, das wird ja hoffentlich nicht überraschen.
Nächstes Jahr jährt sich 1968 zum 50. Mal. Könnte man Ihr Programm als eine Art gegenrevolutionären Entwurf dazu interpretieren? Strache: 1848 jährt sich auch. Kurz: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich glaube nur, dass es in vielen Bereichen in
den vergangenen Jahren Fehlentwicklungen gegeben hat, wo es gut ist, sie zu korrigieren. Wir haben, was die Zuwanderung betrifft, eine Politik der offenen Grenzen gehabt. Wir haben zu viele junge Menschen, die das Schulsystem verlassen ohne lesen, schreiben und rechnen zu können. Und danach haben diese jungen Menschen keine Chance auf einen Arbeitsplatz. Da gehört gegengesteuert. Strache: Und dann hört man, es sei retro, in der Schule Bewertungen zu verschriftlichen, damit die Eltern zuhause wissen, wo das Kind steht und da vielleicht auch hilfreich ansetzen können, wenn es um Nachhilfe geht. Bewertungen sind wichtig in einer Gesellschaft. Und es ist auch wichtig, Kinder an Leistung heranzuführen. Ich habe früher immer überspitzt gesagt: Von der Schule direkt ins Mindestsicherungssystem – das ist das linkslinke Modell. Aber so kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Und die Reformen im Bildungsbereich in den vergangenen Jahrzehnten, wo man herumgedoktert hat mit Experimenten auf dem Rücken unserer Kinder, haben ja auch nicht wirklich gegriffen.
Die künftige Regierung ist sehr restriktiv in Zuwanderungsfragen. Nun könnte man allerdings sagen: 1500 Euro Steuerbonus für jedes Kind könnte ein sogenannter Pull-Faktor sein. Strache: Eben nicht. Weil es um jene geht, die sich hier als Leistungsträger arbeitend einbringen in die Gesellschaft.
Dann geht eben der Mann arbeiten und die Frau bleibt zuhause. Kurz: Der Familienbonus ist eine Maßnahme, die genau diejenigen entlastet, die entlastet werden sollen. Familien, die doppelt beitragen: die zum einen arbeiten gehen, Steuern zahlen und zum anderen Kinder haben. Das ist also eine sehr treffsichere Steuerentlastung.
Stimmt es, dass es eine Zusammenlegung der Finanzmarktaufsicht mit der Nationalbank gegen soll? Kurz: Das ist definitiv ein Ziel. Im Wirtschafts- und Bankenbereich leiden sie zurecht darunter, dass hier oftmals mit drei verschiedenen Kontrollorganen gearbeitet werden muss – mit der EZB, der ÖNB und der FMA. Das ist nichts, was unserem Standort hilft.
Herr Strache, Ihre Fraktionsfreunde im EU-Parlament haben sich am Wochenende getroffen und sorgen mit sehr europakritischen Tönen für Schlagzeilen. Strache: Es ist richtig, dass wir in einer europäischen Fraktion sind, die da und dort unterschiedliche Positionen hat. Aber ja: Man muss auch als Pro-Europäer, auch wenn man für ein europäisches Friedensprojekt ist, da und dort auch berechtigte Kritik üben. Zumal Brüssel auch ein sehr zentralistischer Block ist. Mehr Subsidiarität ist und bleibt unsere Position. Wenn man Europa liebt wie wir das tun, dann man muss auch manchmal Kritik üben.
Erstaunlich hoch ist nun die Hürde bei den verpflichtenden Volksabstimmungen. Um sich eine solche zum Rauchverbot zu ersparen? Kurz: Sie ist so hoch wie sie in unserem Programm drinnen steht.
Da steht zehn Prozent. Strache: Da bin ich auch erst wäh- rend der Verhandlungen draufgekommen: Dass die ÖVP zehn Prozent der Gesamtbevölkerung meint und nicht zehn Prozent der Stimmberechtigten. Kurz: Also haben wir uns nun auf 900.000 festgelegt. Das sind um die zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Strache: Uns war es immer wichtig, dass wir den Schritt in Richtung mehr direkte Demokratie auch wirklich schaffen. Das ist uns nun gelungen.
Bei der Kassenfusion trifft es am stärksten die AUVA. Warum eigentlich? Kurz: Das stimmt so nicht. Wir haben jetzt 21 Kassen. Und legen auf fünf zusammen. Das ist von allen Konzepten, die es gibt, unserer Meinung nach das sinnvollste. Strache: Es ist einfach notwendig, Verwaltung zu reduzieren, Harmonisierungen durchzuführen. Um Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem zu erreichen. Denn es versickern hier jedes Jahr 4,5 Millionen Euro.
Was erwarten Sie vom jeweils anderen in den kommenden fünf Jahren? Strache: Ein korrektes Miteinander, ein ehrliches Miteinanderumgehen. Ich glaube, das ist auch das, was uns beide auszeichnet. Und wenn wir den Eindruck haben, dass der eine den anderen schlecht behandelt, dann werden wir zum Hörer greifen, einen Kaffee trinken gehen oder vielleicht sogar ein Bier, um das zu klären. Kurz: Dass wir beide zu dem stehen, was wir vereinbart haben. Und uns tagtäglich anstrengen, das umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben. Auch wenn es Gegenwind gibt.