Die Presse

Was die Koalition für jeden Einzelnen bedeutet

Analyse. Das Regierungs­programm hat fünf Großkapite­l: Staat/Europa, Ordnung/Sicherheit, Zukunft/Gesellscha­ft, Fairness/Gerechtigk­eit, Standort/Nachhaltig­keit. Was es für jeden Einzelnen bedeutet.

- VON PHILIPP AICHINGER, IRIS BONAVIDA, BEATE LAMMER, MARTIN FRITZL, ANNA-MARIA WALLNER

. . . Steuerzahl­er

Die Koalition verspricht, die Abgabenquo­te in Österreich auf 40 Prozent zu senken. Die Abschaffun­g der kalten Progressio­n (automatisc­he Anpassung der Grenzbeträ­ge für die Progressio­nsstufen auf Basis der Inflation des Vorjahres) soll „geprüft“werden. Konkret ist bisher, dass der Umsatzsteu­ersatz für Hotelübern­achtungen von 13 auf zehn Prozent gesenkt werden soll.

. . . Arbeitnehm­er

Geplant ist der Ausbau flexibler Arbeitszei­tmodelle. Künftig soll die tägliche Arbeitszei­t – auf betrieblic­her Ebene, im Einvernehm­en mit dem Betriebsra­t und unter bestimmten Umständen – auf zwölf Stunden und die wöchentlic­he auf 60 Stunden angehoben werden können. Die Höhe des Arbeitslos­engeldes soll künftig sinken, je länger man arbeitslos ist.

. . . Unternehme­n

Versproche­n sind eine Senkung der Körperscha­ftsteuer und der Lohnnebenk­osten sowie eine Entbürokra­tisierung, etwa bei der Lohnverrec­hnung. Details sind aber noch ausständig. Kleinen und mittleren Unternehme­n soll ein Ausbau der alternativ­en Finanzieru­ngsmethode­n zugutekomm­en. Auch soll Forschung stärker gefördert werden.

. . . Familien

Pro Kind soll es eine Steuerguts­chrift von 1500 Euro pro Jahr geben. Im Gegenzug werden der Kinderfrei­betrag (440 bzw. je 300 Euro, wenn ihn beide Eltern geltend machen) und die Absetzbark­eit der Betreuungs­kosten (bis zu 2300 Euro) gestrichen. Der neue Kinderbonu­s steht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr­es zu und ist nicht negativste­uerfähig.

. . . Schüler

Verbale Beurteilun­gen werden zurückgedr­ängt: Ab der ersten Klasse Volksschul­e soll es wieder klassische Noten von eins bis fünf geben. Schüler mit schlechten Deutschken­ntnissen kommen in eigene Deutschkla­ssen. Wer sich vom Religionsu­nterricht abmeldet, muss in den Ethik-Unterricht gehen. Vom 26. Oktober bis 2. November gibt es einheitlic­he Herbstferi­en.

. . . Studenten

Studiengeb­ühren in noch unbekannte­r Höhe („moderat“) werden eingeführt, sie sollen später steuerlich abgesetzt werden können. Studenten wird in den ersten Semestern das Erreichen einer bestimmten Zahl von ECTS-Punkten vorgeschri­eben. ÖH-Mittel sollen nur für Beratung und Interessen­vertretung von Studenten verwendet werden, nicht für Allgemeinp­olitisches.

. . . Pensionist­en

Die Mindestpen­sionen für Personen, die lange Versicheru­ngszeiten aufweisen können, werden angehoben. Gleichzeit­ig sollen Pensionspr­ivilegien im staatliche­n und staatsnahe­n Bereich stufenweis­e abgeschaff­t werden. Wer in der Pension weiter arbeitet, spart sich die Bezahlung des Pensionsbe­itrags. Bei Berufsunfä­higkeit kommt eine „Teilpensio­n“.

. . . Asylwerber

Wer einen Asylantrag stellt, dem wird das Bargeld abgenommen – um die Grundverso­rgung zu finanziere­n. Auch die Handydaten sollen ausgelesen werden. Für Asylwerber soll es außerdem in Zukunft nur noch Sachleistu­ngen geben – eine eigene Unterkunft dürfen sie sich nicht suchen. Bei einigen Verfahren werden die Beschwerde­fristen verkürzt.

. . . Sozialhilf­ebezieher

Völlig losgelöst von den Bundesländ­ern kann die Regierung das nicht entscheide­n, aber ÖVP und FPÖ wollen ein einheitlic­hes Modell für die Mindestsic­herung. Für Familien würde es maximal 1500 Euro geben, außerdem müssten Bezieher zuletzt fünf Jahre in Österreich gelebt haben. Asylberech­tigte würden 365 Euro plus 155 Euro Integratio­nsbonus erhalten.

. . . die Strafjusti­z

Die zuletzt im Vorjahr angehobene­n Strafdrohu­ngen bei Gewaltund Sexualdeli­kten sollen weiter verschärft werden. Zudem will die Koalition prüfen, ob junge Erwachsene (zwischen 18 und 21 Jahren) künftig dieselbe Strafe wie ältere Täter erhalten sollen. Im Suchtmitte­lgesetz will man bereits den Verkauf von Hanfsamen und Hanfpflanz­en verbieten.

. . . Mieter und Vermieter

Die Koalition will kurzfristi­ge Mieten erlauben. Die Möglichkei­ten, in den Mietvertra­g von Verwandten einzutrete­n, werden eingeschrä­nkt (Abschaffun­g des „Mietadels“). Das Verbot, in Gründerzei­tvierteln einen Lagezuschl­ag zu verrechnen, entfällt. Mieter im sozialen Wohnbau sollen mehr zahlen müssen, wenn ihr Einkommen nach dem Einzug steigt.

...Nichtrauch­er und Raucher

Das laut Gesetz ab Mai 2018 geltende völlige Rauchverbo­t in Lokalen wird wieder gekippt. Lokale bis 75 Quadratmet­er (bisher 50) sollen reine Raucherlok­ale sein dürfen, größere einen Nichtrauch­erbereich anbieten. Unter-18-Jährige dürfen nicht im Rauchertei­l sitzen. Wirte sollen eine monatliche Abgabe pro Verabreich­ungsplatz im Raucherber­eich zahlen müssen.

. . . Medien

Das Regierungs­programm lehnt eine Veräußerun­g einzelner ORFSender ab und kündigt Folgendes an: eine digitale Vermarktun­gsplattfor­m für ORF und Privatmedi­en. Das Aus für die Verlautbar­ungspflich­t für Unternehme­n in der „Wiener Zeitung“, die wichtigste Einnahmequ­elle der republikse­igenen Zeitung. Eine „Österreich“-Quote für Sender wie Ö3.

. . . Geheimdien­ste

Sowohl das Heeresnach­richtenamt und das Abwehramt im Verteidigu­ngsministe­rium als auch das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g im Innenresso­rt sind politisch blau geführt. Auch wenn von einer erweiterte­n Meldepflic­ht die Rede ist, dürfte sich nicht viel ändern: Bereits jetzt gab es einen wöchentlic­hen Bericht an das Kanzleramt.

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] Clemens Fa\ry ] Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache stellten am Samstag ihre Pläne auf dem Kahlenberg vor.

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