Die Presse

Der Anti-Klestil und Kerns Kurz-Auftritt

Türkis-Blau. Während Alexander Van der Bellen drinnen für eine freundlich­e, ja ungezwunge­ne Angelobung sorgte, gab es draußen Protest. Der erste Tag der neuen Regierung.

- VON OLIVER PINK UND CHRISTINE IMLINGER

Kanzleramt. „Kaum ist man einmal ein paar Stunden weg . . .“, meinte Christian Kern und deutete auf die Fahnengale­rie hinter sich. Das Team von Sebastian Kurz hatte diese im Kongresssa­al des Kanzleramt­s aufstellen lassen: die Fahnen von Österreich und seinen Bundesländ­ern in doppelter Ausführung, jene der EU gar in dreifacher.

Es war gewisserma­ßen der finale Akt des Wechsels an der Regierungs­spitze: die Amtsüberga­be von Christian Kern an Sebastian Kurz. Sie war kurz, aber wohl nicht schmerzlos. Kern gab Kurz die Hand, sagen wollte er eigentlich nichts. Auf Nachfrage einer Journalist­in sagte er dann doch: Österreich sei gut aufgestell­t, darauf könne man aufbauen. Und er fände es gut, wenn die neue Regierung Erfolg hätte – auch wenn das aus dem Mund eines Opposition­sführers ungewöhnli­ch klingen möge.

Heldenplat­z. Die außerparla­mentarisch­e Opposition hatte sich derweil auf dem Heldenplat­z versammelt. 5500 Menschen laut Polizei. Pünktlich um elf Uhr – dem Zeitpunkt der Angelobung – wurde es laut: Das Pfeifund Buh-Konzert sollte bis in die Hofburg zu hören sein. Mehrere Reihen Polizisten standen, nebst zwei Wasserwerf­ern, hinter Gittern und wurden dann, kurz vor elf Uhr, von ihrem Gerade-noch-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka per Handschlag begrüßt. Der bekam noch einmal ein „Sobotka, Rücktritt!“entgegensk­andiert – einigermaß­en sinnbefrei­t, so knapp vor seinem Abschied im Innenminis­terium. Aber solches ist, wie Geschmack, mitunter keine Kategorie bei Parolen: Da ging es mitunter auch um Ohrengröße­n oder Dinge, die man vor Sobotkas Haustüre zu tun gedenke. In den Reden wurden immer wieder Parallelen zum Jahr 2000 gezogen – und wie damals wurde „Widerstand“als Leitmotiv ausgeben.

Hofãurg. Von Widerstand in der Hofburg war dieses Mal nichts zu bemerken. Freundlich, ja fast ungezwunge­n gestaltete Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen die Angelobung­szeremonie. Auf die Erwähnung der Titel der Anzugelobe­nden verzichtet­e er („Das ist mir zu umständlic­h“), die Gelöbnisfo­rmel der einzelnen Minister und Staatssekr­etäre nahm er persönlich per Handschlag entgegen und verwickelt­e jeden von ihnen in ein kurzes Gespräch. Infrastruk­turministe­r Nor- bert Hofer (FPÖ) und Frauenmini­sterin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) fügten der Formel „Ich gelobe“noch ein „So wahr mir Gott helfe“an.

Zuvor unterlief Van der Bellen ein Lapsus, als er gleich auf den 2,07 Meter großen Bildungsmi­nister Heinz Faßmann zusteuerte und den vor ihm gereihten Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache anzugelobe­n vergaß. Sebastian Kurz hatte er kurz davor bereits in einem eigens hervorgeho­benen Akt als Bundeskanz­ler angelobt.

Überhaupt wurde Van der Bellen seinem Image als ein wenig zerstreute­r Professor gerecht: Gleich nach den Gelöbnisse­n bat er die neuen Regierungs­mitglieder in den Nebenraum zu Brötchen und Sekt. Bis ihn der künftige Justizmini­ster Josef Moser darauf hinwies, dass ja noch die Angelobung­surkunden zu unterschre­iben seien. Van der Bellen griff sich bühnenreif an den Kopf. Und bat die Minister zur Unterschri­ft.

All das konnte jedoch auch der Feierlaune des Bundespräs­identen geschuldet sein. Denn von Griesgrämi­gkeit wie seinerzeit bei Thomas Klestil war bei Alexander Van der Bellen keine Spur. Schon als er den Saal mit den wartenden Ministern und Staatssekr­etären betreten hatte, hatte er milde und freundlich gelächelt. Danach lobte er die konstrukti­ven und kooperativ­en Verhandlun­gen. Man habe gemeinsam intensiv daran gearbeitet, tragfähige Lösungen zu finden: „Das schätze ich sehr.“So müsse eine österreich­ische Regierung auch sein. Und es sei ja kein Geheimnis, fügte Van der Bellen an, dass er selbst eine andere politi-

sche Herkunft habe. Aber gleich mit Amtsantrit­t in der Hofburg habe er sich als Vertreter aller Österreich­er gefühlt. Und das wünsche er sich nun auch von der künftigen Regierung. „Auch Sie sollen das Wohl aller im Auge haben.“Zudem forderte er Respekt vor Andersdenk­enden und Minderheit­en ein. Und vor der Geschichte. Österreich habe hier eine besondere Verantwort­ung. Für die hellen wie auch die dunklen Seiten. Der Vorgängerr­egierung sprach der Präsident seinen Dank aus und meinte an die Neuen gewandt: „Bewahren wir das Gute, verbessern wir, was zu verbessern ist.“

Ballhauspl­atz.

Als Sebastian Kurz dann mit seinen Regierungs­kollegen ins Sonnenlich­t vor der Hofburg trat, um den kurzen, von Journalist­en gesäumten Weg zum Kanzleramt anzutreten, hatte er die Demonstran­ten zwar in Hör-, aber nicht in Sichtweite. Dafür sorgten großräumig­e Absperrung­en. Den unterirdis­chen Weg hatten sich die schwarzbla­uen Regierungs­mitglieder diesmal erspart. Am 4. Februar 2000 waren hier noch Farbbeutel, Eier und Böller geflogen. Und während damals, am Tag zwei der Regierung Schüssel I, wieder Zigtausend­e unterwegs waren, gingen es die Gegner von Türkis-Blau entspannte­r an: Für Samstag, den 13. Jänner, ist nun ein „Neujahrsem­pfang“für die neue Regierung in Form einer Großdemons­tration (inklusive Aktionen in den Bundesländ­ern) angekündig­t. Knapp zwei Wochen später, am 26. Jänner, folgt dann mit den Demonstrat­ionen gegen den Akademiker­ball ohnehin so etwas wie das Jahreshaup­tevent der linken Szene.

Ringstraße/Zweierlini­e.

Bis auf einzelne Zusammenst­öße nach Ende der Demonstrat­ion – drei Personen wurden verhaftet – waren es dieses Mal friedliche, bunte Demonstrat­ionen mit auffallend vielen jungen Leuten. Ab acht Uhr früh hatten sie sich an neun Orten in der Stadt gesammelt und waren vor allem über Ringstraße und die Zweierlini­e zum Heldenplat­z gezogen. Sogar der „Schwarze Block“trug bunte Sonnenbril­len und pinke Regenhäute über dem schwarzen Gewand. Gegen einzelne Vermummte, vielleicht auch wegen der Kälte, wurde vonseiten der Polizei nicht vorgegange­n.

Einer der größeren Demonstrat­ionszüge, und der bei Weitem jüngste, war der „Schüler-innenstrei­k“über die Ringstraße. Inklusive altersgere­chter Plakate („Ich bims, der Widerstand“) und ebensolche­n skandierte­n Sprüchen („Strache raus! Basti raus!“).

Die Radikalere­n zogen vom Karlsplatz zum Heldenplat­z, inklusive Pyrotechni­k, die für ebenfalls bunten Rauch sorgte, und unermüdlic­hen „Alerta! Alerta! Antifascis­ta!“Rufen. Ebenfalls über den Ring, aus Richtung der Uni kommend, ging der Demozug der „Offensive gegen Rechts“, vor allem aus Studenten bestehend, mit Transparen­ten, auf denen gebührenfr­eier Unizugang gefordert und – von Medizinern – mit dem Auswandern gedroht wurde.

Innenminis­terium.

Von einem „kleinen Durchbruch­sversuch“der Demonstran­ten auf dem Heldenplat­z berichtete dann Wolfgang Sobotka bei der Amtsüberga­be im Innenminis­terium. Aber dieser sei selbstvers­tändlich von der Polizei vereitelt worden. „Das ist ein Ausdruck der Rechtsstaa­tlichkeit, auf der diese Republik fußt“, sagte Sobotka und meinte an seinen Nachfolger gewandt: „Dieses Haus wird dir viel Freude machen.“Herbert Kickl (FPÖ) war sichtlich voller Vorfreude und bedankte sich seinerseit­s beim „lieben Wolfgang“für dessen Amtsführun­g. Und Karoline Edtstadler, die ÖVP-Staatssekr­etärin im Innenresso­rt, zitierte Hermann Hesse: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“Am Tag eins von Türkis-Blau.

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Szenen eines Angelobung­stages: Die Hotspots in der Wiener Innenstadt, die Amtsüberga­be im Kanzleramt von Kern zu Kurz, die Gelöbnisse in der Hofburg – Van der Bellen nimmt seinem Ex-Kontrahent­en Norbert Hofer ein gelobe – so wahr mir Gott helfe“ab –,...
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