Türkis-Blau spaltet Schwarz-Rot
Deutschland. Die CSU freut sich ausgelassen über die Regierung in Wien, die SPD beklagt den „kräftigen Rechtsruck“, wie Vizechef Stegner zur „Presse“sagt. Merkel gratuliert und wartet ab.
Berlin. Christian Kern hat an seinem ersten Tag als Bundeskanzler außer Dienst das Land verlassen. Er ist auf Berlin-Besuch. Heute, Dienstag, trifft er „Presse“-Informationen zufolge den deutschen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier. Schon am Montagabend dinierte er im Schlosshotel im Grunewald – und zwar auf Einladung von Sigmar Gabriel (SPD). Anders als Kern ist sein Gastgeber weiter Regierungsmitglied und würde das auch gerne bleiben. Bis zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot wird es dauern.
„Du hast uns überholt“, twitterte CDU-Staatssekretär Jens Spahn seinem Duzfreund Sebastian Kurz. Die Deutschen haben drei Wochen früher gewählt als die Österreicher. Aber während das Kabinett Kurz I vor Weihnachten 2017 steht, ist mit Merkel IV falls überhaupt eher zu Ostern 2018 zu rechnen. Man hat daher mit sich selbst zu tun. Zum großen Aufreger taugt eine FPÖRegierungsbeteiligung zwar nicht mehr. Ganz anders als im Jahr 2000. Union und SPD sind jedoch tief gespalten in der Frage, was von dem Treiben in der „Alpenrepublik“zu halten sei. Die CSU freut sich ausgelassen, die SPD gibt sich irritiert bis entsetzt, und CDU-Chefin Angela Merkel sagt – fast – nichts. Im CDU-Vorstand am Vormittag war die Regierungsbildung in Wien nach „Presse“-Informationen gar kein Thema.
Den wartenden Journalisten sagte Merkel dazu nur, dass sie gratuliere und dass man verfolgen werde, „wie auch die europapolitische Positionierung Österreichs sein wird“. Kurz habe jedoch schon darauf hingewiesen, „ein aktiver Partner“in Europa sein zu wollen. Später teilte die deutsche Bundeskanzlerin ihrem neuen Amtskollegen in einem Telefonat mit, dass sie sich auf eine „enge Partnerschaft“freue, und lud ihn nach Berlin ein.
Aber insgesamt fiel Merkels Reaktion abwartender aus als jene der Schwesterpartei in Bayern, der CSU, die den Beginn der Kanzlerschaft von „unserem Freund“Kurz bejubelte. Die CSU habe nun „einen Verbündeten mehr in Eu- ropa“, sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Kurz hat viele Fans in der CSU, auch an der Basis, die ihn während der Flüchtlingskrise auf ihrem Parteitag 2016 wie einen Popstar feierte. Aus dieser Zeit kennen viele Deutsche auch Kurz, der damals in Talkshows in die Rolle von Merkels Gegenspieler in der Flüchtlingspolitik schlüpfte.
„Orban´ findet neue Freunde“
Die SPD fürchtet nun, dass sich Wien politisch von Berlin weg- und auf Budapest zubewegt. „Österreich-Ungarn ist wieder da“, twitterte SPD-Fraktionsvize Achim Post. Der stellvertretende SPD-Parteichef Ralf Stegner sagte zur „Presse“: „Man muss schon die Befürchtung haben, dass Herr Orban´ jetzt neue Freunde findet.“Stegner sprach von einem „kräftigen Rechtsruck“in Österreich: „Das kann einen nicht freuen.“Man werde mit der neuen Regierung zwar professionell zusammenarbeiten: „Dass es schwieriger wird, ist jedoch keine Frage.“Stegner zählt zum linken Parteiflügel und zu den Kritikern einer Großen Ko- alition in Deutschland. „Österreich ist eine Lehre, dass die Dauerumarmung der großen Parteien die Ränder stärkt.“Nach dem Jamaika-Aus unterstützt jedoch auch er die Sonderungen mit der Union.
Kurz weiß wohl um die Skepsis in Teilen der deutschen Regierung. Jedenfalls streichelte er breitenwirksam via „Bild“-Zeitung die Seele der Bundesbürger. „Mit Deutschland verbindet uns sehr viel, menschlich, wirtschaftlich, politisch und kulturell.“Auch für Merkel gab es nette Worte. Er freue sich auf die Zusammenarbeit – „insbesondere“mit der Kanzlerin. Die „exzellenten bilateralen Beziehungen“wolle er noch vertiefen.
Für einen kleinen Eklat sorgte indes die ARD via ihren „Tagesthemen“-Twitter-Account. „Warum sieht der da vorn wie ein Pimpf aus?“, war über einem Bild zu lesen, das Sebastian Kurz als JVPChef auf der Autohaube des „Geilomobils“zeigte. Als „Pimpf“wurde auch der männliche Nachwuchs der Hitler-Jugend bezeichnet. Die Autorin des Tweets entschuldigte sich später.