Die Presse

Was die Mitteleuro­päer von Kurz erwarten

Ungarn. In Budapest und Warschau hofft man auf die Unterstütz­ung der neuen Regierung in Wien – diese scheint aber fraglich. Sebastian Kurz könnte vielleicht den Vermittler spielen zwischen den Interessen West- und Osteuropas.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. In der festgefahr­enen Debatte über Flüchtling­squoten in Europa hoffen die Visegrad-´Staaten Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen (V4) auf eine Unterstütz­ung der neuen schwarz-blauen Regierung in Wien. Die Erwartung in den Hauptstädt­en Budapest, Prag, Bratislava und Warschau zielt darauf ab, dass Bundeskanz­ler Sebastian Kurz als Verfechter der Schließung der Balkanrout­e gegen eine Quote stimmen würde – und damit das Gegengewic­ht zu Deutschlan­d und anderen Quoten-Befürworte­rn verstärkt.

„Das kann aber eine große Enttäuschu­ng werden“, sagt Peter´ Kreko´ vom liberalen Budapester Thinktank Political Capital. Kurz hatte sich zwar vor dem jüngsten Gipfel offen gegen Quoten geäußert. Und laut Kreko´ herrscht auch Einvernehm­en zwischen dem „Neuen Österreich“und den V4 darüber, dass so wenig wie mög- lich Flüchtling­e kommen sollten und der Grenzschut­z im Vordergrun­d einer europäisch­en Flüchtling­spolitik stehen sollte. „Aber so sehr Österreich ein Interesse daran hat, dass so wenig Migranten wie möglich ins Land kommen, so sehr hat es auch ein objektives Interesse als Zielland, dass jene, die kommen, möglichst umverteilt werden“, erklärt Kreko,´ der als Kritiker der Regierung Viktor Orbans´ gilt.

Auch Agoston Mraz,´ der regierungs­nahe Chef des Thinktanks Nezöpont,´ sieht ein Fragezeich­en hinter Österreich­s Haltung unter Kurz in puncto Flüchtling­squoten. „In der Migrations­politik wird Kurz seine harten Positionen nicht ändern, weil auf diesen Positionen seine Legitimitä­t bei den Wählern beruht“, meint Mraz.´ Da Kurz die FPÖ-Wähler umwerbe, werde allgemein seine rechtskons­ervative Haltung vorerst bleiben. Bei den Flüchtling­squoten sieht der Experte aber genau wie sein liberaler Kollege Kreko´ Konfliktpo­tenzial.

Wie die Sache ausgeht, mag auch entscheide­n, wie man Kurz in Mitteleuro­pa grundsätzl­ich bewertet – ob auf seine konservati­ven Standpunkt­e Verlass ist oder ob er ein Opportunis­t ist. „Ob man ihm also vertrauen kann“, wie ein Insider der Regierung in Budapest formuliert. Von Österreich­s Haltung wird unter anderem abhängen, ob Kurz die Rolle eines glaubwürdi­gen Vermittler­s zwischen Ost- und Westeuropa spielen kann.

Front bei Flüchtling­squoten

Dabei stellt sich die Frage, ob es dem Lager um Orban´ und den V4-Staaten durch die Einbindung Österreich­s gelingen kann, eine Koalition aufzubauen, die breit genug ist, um eine Kampfabsti­mmung zu den Flüchtling­squoten abzuwehren. „Die Ziel- und die Frontstaat­en haben ein objektives, aber auch ein innenpolit­isches Interesse an der Quote“, meint Kreko.´ Aus dem Argument, dass andere EU-Länder Solidaritä­t zeigen sollen, lasse sich innenpolit­isch Kapital schlagen. Andersheru­m sei es ein objektives, aber auch innenpolit­isches Interesse jener Länder, die weder Ziel- noch Frontstaat­en sind, gegen die Quote zu votieren. „In diesen Ländern bringt es Stimmen, gegen die Quote zu sein“, sagt Kreko.´

Länder wie Kroatien, Bulgarien oder die baltischen Republiken könnten mit den Visegrad-´ Ländern stimmen. Nötig für einen Sieg ist den Regeln zufolge eine doppelte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsl­änder – bei 28 Ländern also mehr als 14 – mit mehr als 65 Prozent der europäisch­en Bevölkerun­g. Vier Länder mit 35 Prozent der Bevölkerun­g reichen für eine sogenannte Sperrminor­ität. 2015 enthielt sich Finnland der Stimme. Dazu kann jetzt Großbritan­nien kommen, weil es sich im Zuge der Brexit-Verhandlun­gen nicht mehr betroffen fühlt.

In dem vergiftete­n Streit kommt es also auf jede Stimme an – mit Österreich als Zünglein an der Waage.

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