„Deniz hat einen starken Willen“
Interview. Veysel Ok vertritt den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der sich noch immer ohne Anklage in Haft befindet. Seine Hoffnungen ruhen auf Straßburg.
Wien. Knapp elf Monate schon sitzt Deniz Yücel im Gefängnis nahe Istanbul, und noch immer weiß er nicht, warum. Die Ermittlungen gegen den deutsch-türkischen Journalisten laufen unter Verschluss, eine Anklage ist nicht in Sicht. Der Fall Yücel ist selbst für die Türkei ein ungewöhnlicher, wo über 100 Medienschaffende im Gefängnis sitzen und sich der laufende Ausnahmezustand erschwerend auf ihren Prozess auswirkt. Deniz Yücel hat bis heute „weder einen Staatsanwalt gesehen, noch ein Gericht, und ich, als sein Anwalt, auch nicht“, sagt sein Anwalt Veysel Ok zur „Presse“. Der „Welt“-Korrespondent wurde von türkischen regierungsnahen Medien und von Politikern, von Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ abwärts, als „Spion“, „Agent“und „Terrorist“vorverurteilt. „Er wird ohne Urteil bestraft“, erklärt Ok. Und: „Wir wollen endlich vor Gericht.“Wenn die Beweislage gegen ihn so drückend sei, wie Vertreter der Regierung oder Justiz behaupten, „warum ist dann die Anklage nicht bereit?“
Der Fall Yücel ist auch deswegen bemerkenswert, weil die regierungsnahe Publizistik sein Interview mit dem PKK-Führer Cemil Bayık als Beispiel dafür bringt, dass er sich der Terrorpropaganda schuldig gemacht habe. Nur haben ebendiese Medien während des Friedensprozesses den Kurden Bayık und andere Kurdenführer ebenfalls getroffen. „Das zeigt“, sagt Ok, „dass der Staat und die Justiz willkürlich handeln. Der Staat hat diese Personen auch getroffen, warum soll jetzt ein Journalist nicht mit ihnen reden?“
Texte und Artikel als Beweise
Ok erkennt sowohl bei Yücel als auch bei vielen anderen Fällen eine gewisse Systematik in der Türkei: Zuerst die Vorverurteilung durch die Medien, dann durch Politiker, dann ermittle die Staatsanwaltschaft, dann folge die Verhaftung. Der offiziellen Lesart Ankaras zufolge befindet sich kein Journalist aufgrund seiner Arbeit im Gefängnis. Ok hingegen sagt, dass die bisherigen Anschuldigungen gegen seinen Mandanten ausschließlich auf dessen Artikeln und Texten basierten. Diese Argumentation hat er auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR) vorgebracht, der den Fall Yücel nun behandelt. „Das war ein Erfolg“, sagt Ok. Normalerweise muss der nationale Rechtsweg ausgeschöpft werden, ehe man sich an Straßburg wenden kann. Ankara musste eine Stellungnahme vorbringen, die nach mehreren Fristverlängerungen kürzlich eingereicht wurde; so wollte der EGMR wissen, ob die Verhaftung Yücels politisch motiviert gewesen sei. Inhaltlich weise die Darlegung Ankaras nichts Neues auf, sagt Ok. Er und Yücel bereiten derzeit ihre Erklärung dazu vor, die Hoffnungen ruhen auf Straßburg.
Die meiste Zeit hinter Gittern hat Yücel in Isolationshaft verbracht, er durfte lediglich seinen Anwalt und einmal die Woche seine Familie sehen. Die Bedingungen wurden erst vor wenigen Tagen erleichtert, er teilt den Hof tagsüber mit einem anderen Inhaftierten, ist in seiner Zelle jedoch allein. Dort sei er meistens mit Schreiben beschäftigt, sagt sein Anwalt, etwa an Texten und an einem Buch. Briefe erreichen ihn, allerdings selektiv. „Deniz hat einen starken Willen, aber das heißt nicht, dass die Isolationshaft keine langfristigen Auswirkungen haben wird.“
Journalistin Me¸sale Tolu frei?
Unterstützung erhalte Yücel von vielen Seiten. Ob die Bundesregierung seine Freilassung nicht mehr forcieren könne? Ok könne das nicht beurteilen. Zwischendurch sickerten Berichte durch, wonach Ankara Deutschland einen „Gefangenenaustausch“mit Yücel angeboten hätte. „Ob das tatsächlich passiert ist, weiß ich nicht“, sagt Ok.
Der Anwalt ist nach Wien gekommen, um am heutigen Dienstag für Yücel den Dr.Karl-Renner-Solidaritätspreis des Österreichischen Journalistenclubs entgegenzunehmen. Auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale¸ Tolu erhält diesen Preis. Seit April befindet sie sich in türkischer Haft, zeitweise mit ihrem kleinen Sohn. Auch ihr wirft die Justiz Terrorpropaganda vor. Am Montag wurde Tolu unter Auflagen eigentlich aus der Haft entlassen, befand sich aber bis zum Abend offenbar noch im Gefängnis.