„Madrid wird nachgeben müssen“
Interview. Marta Madrenas, Bürgermeisterin der katalanischen Separatistenhochburg Girona, beharrt weiter auf der Unabhängigkeit und nennt Spanien einen „autoritären Staat“.
Nach Monaten der Unruhe könnte sich in dieser Woche die politische Zukunft in der separatistischen nordspanischen Region Katalonien entscheiden: Am Donnerstag wird die Regionalregierung neu gewählt, die im Oktober wegen ihrer sezessionistischen Pläne abgesetzt worden war. Laut Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-KopfRennen zwischen separatistischem und pro-spanischem Block ab. Im Rathaus von Girona, der Heimatstadt des nach Brüssel geflohenen Separatistenchefs Carles Puigdemont, träumt man weiter vom katalanischen Staat: ein Gespräch mit Bürgermeisterin Marta Madrenas, einer der engsten Vertrauten Puigdemonts.
Die Presse: Sollten die separatistischen Parteien die Regionalwahl gewinnen, folgt dann eine neue Unabhängigkeitserklärung? Marta Madrenas: Diese Regionalwahl ist keine normale Wahl, sie ist die Ratifizierung des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober. Wenn jetzt die Mehrheit der Katalanen wieder für Unabhängigkeitsparteien stimmt, kann niemand mehr sagen, dass nur eine Handvoll Verrückter in der Regierung einen eigenen Staat wollen.
Ihr „Präsident“Puigdemont ist im „Exil“in Brüssel. Kehrt er bei einem Wahlsieg zurück? Präsident Carles Puigdemont hat bewiesen, dass er viel Vorstellungskraft hat, wenn es um das Projekt Unabhängigkeit geht. Ich weiß, dass er einen Plan hat, um Katalonien zu regieren. Und ihm ist klar, dass er bei seiner Rückkehr festgenommen werden wird. Es ist doch unglaublich: Wir sind sicher, dass er ins Gefängnis kommt, dabei ist er noch nicht einmal verurteilt worden. So wenig Vertrauen haben wir in Spaniens Justiz.
Gibt es einen Termin – oder einen Zeitplan – für die nächste Unabhängigkeitserklärung? Vielleicht hätten wir in den vergangenen Monaten auf einen Zeitplan verzichten sollen. Aber natürlich können wir jetzt nicht noch zehn Jahre auf unseren Staat warten. Erst wollen wir über die Bedingungen mit Madrid verhandeln.
Madrid hat deutlich gemacht: Darüber wird nicht verhandelt. Es wird unterschiedliche Etappen geben. Wenn aber die Katalanen nicht von ihrem Ziel abrücken, wird Spaniens Regierung irgendwann nachgeben müssen. Es wird für Spanien – und Europa – verheerende wirtschaftliche Folgen haben, wenn man den Willen der Katalanen nicht respektiert. Es gibt keine Alternative zu Unabhängigkeit – außer, die Katalanen lehnen dies in einer Abstimmung ab.
Befürchten Sie nicht, dass Katalonien alle Autonomierechte verlieren wird, wenn die Regierung auf der Unabhängigkeit beharrt? Das passiert doch jetzt schon. Spanien verstößt in brutaler Weise gegen unsere Fundamentalrechte. Ich selbst befürchte, ins Gefängnis zu kommen, weil ich meine politische Meinung öffentlich ausge-
(50) ist Bürgermeisterin der katalanischen Stadt Girona. Die Juristin und überzeugte Separatistin ist enge Vertraute von ExRegionalchef Carles Puigdemont. Er war 2011–15 Bürgermeister in Girona. sprochen habe. So haben viele Konflikte in Europa begonnen, mit Protesten, weil das Recht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde.
Es verstößt gegen geltendes Recht, über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Deshalb gibt es doch die Anklagen. Es gibt kein einziges Grundrecht, das Abspaltung verbietet.
Aber es gibt das Prinzip der territorialen Integrität. Ich spreche über Grundrechte, über Menschenrechte.
Warum ist ein eigener Staat so wichtig – kann man die Probleme nicht anders lösen? Wir können nicht mehr in Spanien leben, wir haben zu viel gelitten. Madrid greift seit jeher unsere Sprache, unsere Kultur an. Wir werden dieses Problem mit Spanien nie lösen. Außerdem sind wir zu unterschiedlich – auf sozialer Ebene, in der Wirtschaft. Wir Katalanen sind Unternehmer, fortschrittlich, blicken nach Europa. Wir sind nicht besser, sondern einfach anders als die Spanier.
Sie sprechen ständig über Unterdrückung: Ist Spanien kein demokratischer Staat? Vor sechs Monaten hätte ich gesagt, dass Spanien ein demokratischer Staat ist. Heute, nach all dem, was in Katalonien passiert ist, würde ich Spanien als einen autoritären Staat bezeichnen.
Die Hälfte der Katalanen will gar keine Unabhängigkeit. Viele Katalanen haben Vorfahren aus Restspanien. Wir müssen stärker auf die andere Seite zugehen. Wir haben den prospanischen Katalanen nicht überzeugend genug erklärt, dass alle von einem neuen Staat profitieren werden, dass man sich in unserer Republik als Spanier wohlfühlen kann. Wenn wir das klarer vermitteln, wird es bald eine überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit geben. In Katalonien gibt es keine Bürger zweiter Klasse.
3000 Firmen sind bereits aus Katalonien abgezogen, es gibt einen Rückgang im Tourismus, einen Einbruch auf dem Immobilienmarkt: Der Imageschaden für den Standort Katalonien ist bereits enorm. Ein weiteres Beharren auf der Unabhängigkeit wird weitere Investoren abschrecken. Wohlstand ist und bleibt eine Priorität, ebenso wie eine starke Wirtschaft. Wir werden alles tun, damit das so bleibt, wir werden unseren Reichtum verteidigen. Wir haben es schon in schwierigeren Zeiten geschafft, wirtschaftlich zu prosperieren. Wir sind Unternehmer, das ist Teil der katalanischen DNA, das wissen Investoren. Kiew. Die Konfrontation zwischen dem georgischen Expräsidenten und ukrainischen Regierungsgegner Michail Saakaschwili und den Behörden wird zusehends brenzliger. Am Sonntag kam es vor einem Konzertsaal im Zentrum zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Unterstützern Saakaschwilis. Mehrere Hundert Demonstranten versuchten, sich Zutritt zu dem Gebäude zu verschaffen, in dem ein Konzert einer USBand stattfand. Nationalgardisten stellten sich ihnen entgegen. Steine flogen, Türscheiben gingen zu Bruch, die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Es gab mehrere Verletzte.
Der mittlerweile staatenlose Saakaschwili hatte zuvor auf seinem Impeachment-Marsch zur Inbesitznahme des Oktoberpalastes als Stabsquartier seiner Bewegung aufgerufen. Der Konzertsaal war zur Zeit der Protestbewegung 2013/14 von Maidan-Kräften besetzt. Auf diese tragende Symbolik dürfte der Volkstribun gesetzt haben, will Saakaschwili doch die Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko durch eine neue Massenbewegung – einen „dritten Maidan“– erreichen. Doch die Massen bewegt er nicht. Als die Aktion aus dem Ruder lief, machte der Politiker „Provokateure“verantwortlich und rief zum Rückzug auf. Doch nicht alle folgten ihm.
Geheimplan mit Janukowitsch?
Die chaotischen Ereignisse vom Sonntagabend könnten den Oppositionsaktivisten weiter in Bedrängnis bringen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Am Montag musste sich Saakaschwili, dem nach kurzzeitiger Festnahme und Flucht Anfang Dezember nun der Hausarrest droht, bei den Behörden melden. Angeblich soll er mit Janukowitschnahen Kräften eine Verschwörung gegen die Regierung der Ukraine geplant haben.
Die Konfrontation vom Sonntag zeigt auch, wie aufgeladen die Atmosphäre in Kiew ist. Unter den Demonstranten waren neben älteren Menschen auch mehrere Hitzköpfe und frühere Kriegsteilnehmer. Dass sie zum Einsatz von Gewalt bereit sind, ist nicht ausgeschlossen. Andere Kritiker Poroschenkos haben sich von Saakaschwilis Aktionen bereits distanziert.