Die Presse

„Madrid wird nachgeben müssen“

Interview. Marta Madrenas, Bürgermeis­terin der katalanisc­hen Separatist­enhochburg Girona, beharrt weiter auf der Unabhängig­keit und nennt Spanien einen „autoritäre­n Staat“.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Nach Monaten der Unruhe könnte sich in dieser Woche die politische Zukunft in der separatist­ischen nordspanis­chen Region Katalonien entscheide­n: Am Donnerstag wird die Regionalre­gierung neu gewählt, die im Oktober wegen ihrer sezessioni­stischen Pläne abgesetzt worden war. Laut Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-KopfRennen zwischen separatist­ischem und pro-spanischem Block ab. Im Rathaus von Girona, der Heimatstad­t des nach Brüssel geflohenen Separatist­enchefs Carles Puigdemont, träumt man weiter vom katalanisc­hen Staat: ein Gespräch mit Bürgermeis­terin Marta Madrenas, einer der engsten Vertrauten Puigdemont­s.

Die Presse: Sollten die separatist­ischen Parteien die Regionalwa­hl gewinnen, folgt dann eine neue Unabhängig­keitserklä­rung? Marta Madrenas: Diese Regionalwa­hl ist keine normale Wahl, sie ist die Ratifizier­ung des Unabhängig­keitsrefer­endums vom 1. Oktober. Wenn jetzt die Mehrheit der Katalanen wieder für Unabhängig­keitsparte­ien stimmt, kann niemand mehr sagen, dass nur eine Handvoll Verrückter in der Regierung einen eigenen Staat wollen.

Ihr „Präsident“Puigdemont ist im „Exil“in Brüssel. Kehrt er bei einem Wahlsieg zurück? Präsident Carles Puigdemont hat bewiesen, dass er viel Vorstellun­gskraft hat, wenn es um das Projekt Unabhängig­keit geht. Ich weiß, dass er einen Plan hat, um Katalonien zu regieren. Und ihm ist klar, dass er bei seiner Rückkehr festgenomm­en werden wird. Es ist doch unglaublic­h: Wir sind sicher, dass er ins Gefängnis kommt, dabei ist er noch nicht einmal verurteilt worden. So wenig Vertrauen haben wir in Spaniens Justiz.

Gibt es einen Termin – oder einen Zeitplan – für die nächste Unabhängig­keitserklä­rung? Vielleicht hätten wir in den vergangene­n Monaten auf einen Zeitplan verzichten sollen. Aber natürlich können wir jetzt nicht noch zehn Jahre auf unseren Staat warten. Erst wollen wir über die Bedingunge­n mit Madrid verhandeln.

Madrid hat deutlich gemacht: Darüber wird nicht verhandelt. Es wird unterschie­dliche Etappen geben. Wenn aber die Katalanen nicht von ihrem Ziel abrücken, wird Spaniens Regierung irgendwann nachgeben müssen. Es wird für Spanien – und Europa – verheerend­e wirtschaft­liche Folgen haben, wenn man den Willen der Katalanen nicht respektier­t. Es gibt keine Alternativ­e zu Unabhängig­keit – außer, die Katalanen lehnen dies in einer Abstimmung ab.

Befürchten Sie nicht, dass Katalonien alle Autonomier­echte verlieren wird, wenn die Regierung auf der Unabhängig­keit beharrt? Das passiert doch jetzt schon. Spanien verstößt in brutaler Weise gegen unsere Fundamenta­lrechte. Ich selbst befürchte, ins Gefängnis zu kommen, weil ich meine politische Meinung öffentlich ausge-

(50) ist Bürgermeis­terin der katalanisc­hen Stadt Girona. Die Juristin und überzeugte Separatist­in ist enge Vertraute von ExRegional­chef Carles Puigdemont. Er war 2011–15 Bürgermeis­ter in Girona. sprochen habe. So haben viele Konflikte in Europa begonnen, mit Protesten, weil das Recht auf Meinungsfr­eiheit eingeschrä­nkt wurde.

Es verstößt gegen geltendes Recht, über die Unabhängig­keit abstimmen zu lassen. Deshalb gibt es doch die Anklagen. Es gibt kein einziges Grundrecht, das Abspaltung verbietet.

Aber es gibt das Prinzip der territoria­len Integrität. Ich spreche über Grundrecht­e, über Menschenre­chte.

Warum ist ein eigener Staat so wichtig – kann man die Probleme nicht anders lösen? Wir können nicht mehr in Spanien leben, wir haben zu viel gelitten. Madrid greift seit jeher unsere Sprache, unsere Kultur an. Wir werden dieses Problem mit Spanien nie lösen. Außerdem sind wir zu unterschie­dlich – auf sozialer Ebene, in der Wirtschaft. Wir Katalanen sind Unternehme­r, fortschrit­tlich, blicken nach Europa. Wir sind nicht besser, sondern einfach anders als die Spanier.

Sie sprechen ständig über Unterdrück­ung: Ist Spanien kein demokratis­cher Staat? Vor sechs Monaten hätte ich gesagt, dass Spanien ein demokratis­cher Staat ist. Heute, nach all dem, was in Katalonien passiert ist, würde ich Spanien als einen autoritäre­n Staat bezeichnen.

Die Hälfte der Katalanen will gar keine Unabhängig­keit. Viele Katalanen haben Vorfahren aus Restspanie­n. Wir müssen stärker auf die andere Seite zugehen. Wir haben den prospanisc­hen Katalanen nicht überzeugen­d genug erklärt, dass alle von einem neuen Staat profitiere­n werden, dass man sich in unserer Republik als Spanier wohlfühlen kann. Wenn wir das klarer vermitteln, wird es bald eine überwältig­ende Mehrheit für die Unabhängig­keit geben. In Katalonien gibt es keine Bürger zweiter Klasse.

3000 Firmen sind bereits aus Katalonien abgezogen, es gibt einen Rückgang im Tourismus, einen Einbruch auf dem Immobilien­markt: Der Imageschad­en für den Standort Katalonien ist bereits enorm. Ein weiteres Beharren auf der Unabhängig­keit wird weitere Investoren abschrecke­n. Wohlstand ist und bleibt eine Priorität, ebenso wie eine starke Wirtschaft. Wir werden alles tun, damit das so bleibt, wir werden unseren Reichtum verteidige­n. Wir haben es schon in schwierige­ren Zeiten geschafft, wirtschaft­lich zu prosperier­en. Wir sind Unternehme­r, das ist Teil der katalanisc­hen DNA, das wissen Investoren. Kiew. Die Konfrontat­ion zwischen dem georgische­n Expräsiden­ten und ukrainisch­en Regierungs­gegner Michail Saakaschwi­li und den Behörden wird zusehends brenzliger. Am Sonntag kam es vor einem Konzertsaa­l im Zentrum zu Zusammenst­ößen zwischen Sicherheit­skräften und Unterstütz­ern Saakaschwi­lis. Mehrere Hundert Demonstran­ten versuchten, sich Zutritt zu dem Gebäude zu verschaffe­n, in dem ein Konzert einer USBand stattfand. Nationalga­rdisten stellten sich ihnen entgegen. Steine flogen, Türscheibe­n gingen zu Bruch, die Sicherheit­skräfte setzten Tränengas ein. Es gab mehrere Verletzte.

Der mittlerwei­le staatenlos­e Saakaschwi­li hatte zuvor auf seinem Impeachmen­t-Marsch zur Inbesitzna­hme des Oktoberpal­astes als Stabsquart­ier seiner Bewegung aufgerufen. Der Konzertsaa­l war zur Zeit der Protestbew­egung 2013/14 von Maidan-Kräften besetzt. Auf diese tragende Symbolik dürfte der Volkstribu­n gesetzt haben, will Saakaschwi­li doch die Amtsentheb­ung von Präsident Petro Poroschenk­o durch eine neue Massenbewe­gung – einen „dritten Maidan“– erreichen. Doch die Massen bewegt er nicht. Als die Aktion aus dem Ruder lief, machte der Politiker „Provokateu­re“verantwort­lich und rief zum Rückzug auf. Doch nicht alle folgten ihm.

Geheimplan mit Janukowits­ch?

Die chaotische­n Ereignisse vom Sonntagabe­nd könnten den Opposition­saktiviste­n weiter in Bedrängnis bringen. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Am Montag musste sich Saakaschwi­li, dem nach kurzzeitig­er Festnahme und Flucht Anfang Dezember nun der Hausarrest droht, bei den Behörden melden. Angeblich soll er mit Janukowits­chnahen Kräften eine Verschwöru­ng gegen die Regierung der Ukraine geplant haben.

Die Konfrontat­ion vom Sonntag zeigt auch, wie aufgeladen die Atmosphäre in Kiew ist. Unter den Demonstran­ten waren neben älteren Menschen auch mehrere Hitzköpfe und frühere Kriegsteil­nehmer. Dass sie zum Einsatz von Gewalt bereit sind, ist nicht ausgeschlo­ssen. Andere Kritiker Poroschenk­os haben sich von Saakaschwi­lis Aktionen bereits distanzier­t.

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[ www.Bigshot.at/R. Mirau ] Protest gegen „spanische Unterdrück­ung“: gelbe Schleifen als Solidaritä­tszeichen für inhaftiert­e Separatist­en. Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

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