Die Presse

Die Briten rücken vom Brexit ab

Großbritan­nien. Premiermin­isterin May verspricht: „Ich lasse mich nicht von meinem Kurs abbringen.“Aber die Stimmung im Land kippt, eine knappe Mehrheit ist für den EU-Verbleib.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Während die britische Premiermin­isterin, Theresa May, gestern, Montag, ihr Kabinett zu Beratungen über die künftige BrexitStra­tegie zusammentr­ommelte, bekommen die Briten erste Zweifel am EU-Austritt. Nach einer Umfrage für die Tageszeitu­ng „Independen­t on Sunday“sprechen sich aktuell 51 Prozent für den Verbleib in der Union aus (41 Prozent für Austritt, Rest unentschlo­ssen). Studienlei­ter Michael Turner vom Meinungsfo­rschungsin­stitut BMG Research: „Wir sehen eine graduelle Verschiebu­ng der Mehrheit in Richtung EU-Verbleib.“

Diese Umkehrung ist vor allem den bisher Unentschlo­ssenen geschuldet: „Jene Wähler, die 2016 nicht an der Volksabsti­mmung teilnahmen, sind heute in überwältig­ender Mehrheit für den Verbleib“, meinte Turner. In der Volksabsti­mmung im Juni 2016 hatten 51,8 Prozent für den EUAustritt gestimmt.

Gewandelt hat sich auch die Meinung über eine zweite Volksabsti­mmung: Vor einem Jahr hatten die Gegner eines neuen Referendum­s 19 Prozentpun­kte Vorsprung. Heute liegen die Befürworte­r mit 16 Punkten voran. Der ehemalige konservati­ve Staatssekr­etär David Willetts zur „Presse“: „Ein zweites Referendum ist unwahrsche­inlich, aber nicht länger ausgeschlo­ssen.“

In der öffentlich­en Debatte bedeutet der Meinungsum­schwung einen gravierend­en Einschnitt, denn bisher konnten die Brexit-Anhänger unwiderspr­ochen für sich in Anspruch nehmen, den „Willen des Volkes“umzusetzen. Diesen Kurs will auch Premiermin­isterin Theresa May fortsetzen: „Ich lasse mich nicht von meinem Kurs abbringen. Es ist meine Pflicht, die demokratis­che Entscheidu­ng des Volkes umzusetzen“, betonte sie vor den zweitägige­n Regierungs­beratungen. Der Abschluss der ersten Phase der Brexit-Verhandlun­gen eröffne die Chance, nun eine „neue, tiefe und besondere Partnersch­aft mit der EU“zu errichten. May: „Unser Ehrgeiz und Einfallsre­ichtum kennen keine Grenzen.“

Querschüss­e von Johnson

Der Aufruf der Premiermin­isterin richtete sich ebenso an das Volk wie an ihre tief gespaltene Partei. Außenminis­ter Boris Johnson schien zuletzt von der mit Brüssel vereinbart­en „regulatori­schen Anpassung“schon wieder abzurücken, indem er erklärte: „Wenn wir nicht unsere eigenen Gesetze machen können, werden wir vom Mitgliedst­aat zum Vasallenst­aat.“Zugleich versprach hingegen Schatzkanz­ler Philip Hammond der Wirt- schaft: „Was wir am Ende wollen, ist eine Kopie des Status quo.“

May versuchte gestern vor dem Unterhaus einmal mehr, es allen Seiten recht zu machen: „Wir wollen den gegenseiti­gen Marktzugan­g wie bisher fortsetzen“. Dies soll vorerst für eine Übergangsp­eriode von zwei Jahren gelten. In dieser Zeit sollen Verhandlun­gen über neue bilaterale Handelsabk­ommen geführt werden. EU-Chefverhan­dler Michel Barnier erteilte britischen Hoffnungen allerdings eine Abfuhr: „Die Briten werden verstehen müssen, dass es kein Rosinenkla­uben geben wird“, sagte er dem Magazin „Prospect“. Die EU werde keine Sonderrege­lungen dulden, vielmehr gelte: „Die Briten werden mit den Konsequenz­en ihrer Entscheidu­ng leben müssen.“

Die Spaltung in der Regierung zieht sich auch durch die konserva- tive Parlaments­fraktion. Nach der Abstimmung­sniederlag­e in der Vorwoche droht May schon morgen, Mittwoch, eine neue Schlappe beim Votum über eine Vorlage, die den 29. März 2019 per Gesetz zum EU-Austrittst­ag erklären soll.

Die Fraktionsf­ührung reagiert auf Widerspruc­h zunehmend allergisch. Konservati­ve, die in der Vorwoche gegen die Regierung gestimmt hatten, wurden nicht nur von den Anti-EU-Medien öffentlich gebrandmar­kt. Sie wurden auch zum Parteiaust­ritt aufgeforde­rt und eingeschüc­htert. Charles Powell, einst außenpolit­ischer Berater von Premiermin­isterin Margaret Thatcher und heute Baron im Oberhaus, meint: „Der Zwiespalt über Europa in der Partei ist so tief, dass die Spaltung der Konservati­ven praktisch unausweich­lich sein wird.“

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[ AFP ] Theresa May brachte der erste Durchbruch bei den Brexit-Verhandlun­gen daheim neue Kontrovers­en.

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