Von zeitloser Schönheit
Pop. Mit bisher unveröffentlichten Materialien leuchtet „Trouble No More“Dylans umstrittene Jesus-Phase zwischen 1979 und 1981 aus. Diese Musik, auf acht CDs plus einer DVD dokumentiert, ist von zeitloser Schönheit.
Der ungeheuerliche Gospelsänger: Mit bisher unveröffentlichten Materialien leuchtet „Trouble No More“, eine CDBox plus DVD, Bob Dylans umstrittene Jesus-Phase zwischen 1979 und 1981 aus.
He’s not the Bob we used to love“, sagte eine Besucherin im Warfield Theatre in San Francisco bei Dylans am 1. November 1979 startender Konzertreihe. Ungeheuerliches war geschehen. Der Messias der Gegenkultur der Sechzigerjahre war über Nacht zum Christen konvertiert. Sein Repertoire bestand ausschließlich aus selbst komponierten Liedern christlichen Inhalts, die er mit einem fünfköpfigen Gospelchor darbot. Wenige Monate zuvor hatte Dylan bei der Einspielung des Albums „Slow Train Coming“sogar versucht, Jerry Wexler, den versierten R&B-Produzenten, zum rechten Glauben zu überreden. Der entgegnete einfach „Bob, you’re dealing with a 62-year-old confirmed Jewish atheist. Let’ s just make an album.“Das Thema wurde fallen gelassen.
Seine Fans dispensierte Dylan nicht so rasch. Zwischen neuen Liedern trug er Sermone vor. Die Orgel war von alttestamentarischer Wucht, die Gospeldamen waren so betörend, dass sie eine ganz eigene Gefährlichkeit ausstrahlten. Und Dylan sang kraftvoll wie nie zuvor, er schrieb zudem einige der attraktivsten Melodien seiner Karriere. Für Atheisten war es zum Haareraufen. Dass sich dieser Star des Erratischen plötzlich zum Glauben des Establishments bekannte, war für viele eine große Enttäuschung.
Kühner Schritt: „Slow Train Coming“
Mit Argumenten aus der Bibel wurden junge Leute damals von der US-Regierung in den Vietnam-Krieg geschickt. Ein Grund mehr für diese Generation, Transzendenz in fernöstlichen Religionen zu suchen. In der Popmusik gab es reichlich Widerhall von Buddhismus, Hinduismus, Sufismus und manch vager Esoterik. Abgesehen von kleinen Gruppierungen wie den „Jews for Jesus“und versprengten kalifornischen Hippies, war das Rockpublikum lange Zeit den Lehren des Christentums gegenüber immun. Anders war die Situation in der afroamerikanischen Soulmusik, die durchaus Traditionen von Gospel und Spiritual aufnahm und für die Moderne aufbereitete. „Slow Train Coming“, das 19. Dylan-Album, das im August 1979 veröffentlicht wurde, war ein kühner Schritt Richtung afroamerikanischer Musik.
Dylans Musik wurde früh von namhaften Soulsängern interpretiert. Die 2010 auf dem Label Ace erschienene Kompilation „How Many Roads – Black Americans Sing Bob Dy- lan“veranschaulicht dieses Naheverhältnis. Soullegende O. V. Wright sang „Blowin’ In The Wind“, Solomon Burke bereits 1965 „Maggie’s Farm“, die Staple Singers brillierten mit einer bewegenden Gospelversion von „Masters Of War“. Jetzt war für Dylan die Zeit gekommen, tief ins afroamerikanische Idiom einzutauchen. Hilfreich waren intime Beziehungen zu einigen seiner schwarzen Sängerinnen. Mit Helen Springs unterhielt er eine On-Off-Beziehung, mit Carolyn Dennis, mit der er seine Tochter Desiree hat, war er sogar einige Jahre verheiratet. Manche spekulier- ten, dass Dylans Bekehrung einer allgemeinen Erschöpfung geschuldet war. Er widerspricht dem. Ungeachtet des Protests langdienender Fans wurde „Slow Train Coming“, anders als der superbe Vorgänger „Street Legal“, auch in den USA zu einem kommerziellen Erfolg. Eingespielt mit großartigen Musikern wie Orgler Barry Beckett und dem Kopf der Dire-Straits, Mark Knopfler, wurde der Titelsong sogar zum Single-Hit.
„Trouble No More“, der nun erschienene 13. Teil von Dylans Archiv-Reihe „The Bootleg Series“ermöglicht einen neuen Blick auf diese umstrittene Epoche zu werfen. Allerdings muss man sich hierfür schon mehr als die 2-CD-Volksausgabe leisten wollen. Raritäten wie eine bläserumflorte Aufnahme von „Slow Train Coming“oder die allererste, bei einem Soundcheck solo zum Klavier aufgenommene Version von „Every Grain Of Sand“sind nur mit der De-luxeVersion, einer 8-CD-Box mit DVD und Buch bekommen. Das Opus besteht aus 15 bislang unveröffentlichten Liedern, vor allem aber aus überzeugenden Live-Aufnahmen von 102 Songs aus 25 verschiedenen Konzerten, darunter eine flamboyante Solointerpretation von „When He Returns“.
„Jesus loves your old songs“
Die Tourband jener Jahre bestand aus Granden wie dem Little-Feat-Gitarristen Fred Tackett, dem Orgler Spooner Oldham, dem auch bei James Brown dienenden, weißen Bassisten Tim Trummond und dem Schlagzeuger Jim Keltner. Wie man hier nachhören kann, war es zweifellos eine der besten Bands die Dylan je hatte. Jene, die damals verzweifelt ihre „Jesus loves your old songs“Banner bei Konzerten in die Höhe hielten, hatten einfach nicht zugehört. Die Sinnlichkeit mit der Dylan hier singt, hat er später nie in dieser Intensität entwickeln können.
Die Phase ausschließlich christlicher Lieder endete nach eineinhalb Jahren. Dann mischte er wieder neu arrangierte Versionen von Klassikern wie „Like A Rolling Stone“und „Girl From The North Country“in sein Repertoire. Besonders gut glückte die dramatische Neuerfindung von „Ballad Of A Thin Man“. Dylans religiöse Besessenheit wusch sich mit der Zeit aus. So umstritten Dylans religiöses Engagement in diesen Jahren war, eine Gruppe hatte ihre helle Freude daran: die „Jews For Jesus“. Kritik von anderer Seite kam viel später, als Dylan 1997 in Anwesenheit von Papst Johannes Paul II. vier Lieder, darunter „Knockin’ On Heaven’s Door“bei einem Open-Air des Eucharistischen Kongresses in Bologna spielte. Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hatte massive Bedenken, weil er ein Lied wie „Blowin’ In The Wind“für nihilistisch hielt. Dylan trat dennoch auf. Und Papst Johannes Paul II. beantwortete Dylans berühmte Frage „How many roads must a man walk down before you call him a man?“in seinem Sinn. „There is only one road for a man and it is Christ, who said: ,I am the way. He is the road of truth, the way of life.‘“