Die Presse

Gehaltsche­ck im Gemeindeba­u

Miete. ÖVP und FPÖ haben sich geeinigt, dass Besserverd­iener im kommunalen Wohnbau höhere Mieten zahlen sollen. Damit wäre ein regelmäßig­er Gehaltsche­ck für die Bewohner im Gemeindeba­u verbunden.

- VON CHRISTIAN HÖLLER Die Stadt Wien als Bollwerk gegen die neue Bundesregi­erung:

Wien. „Mehr Gerechtigk­eit im sozialen Wohnbau.“Unter diesem Motto stehen einige brisante Vorhaben der neuen Regierung, die vor allem in Wien für Aufregung sorgen. Geht es nach ÖVP und FPÖ, soll es künftig zu „regelmäßig­en Mietzinsan­passungen für Besserverd­iener im kommunalen und sozialen Wohnbau“kommen. Mit anderen Worten: Besserverd­iener im Gemeindeba­u und in Genossensc­haftswohnu­ngen sollen höhere Mieten zahlen.

Die Details müssen allerdings noch ausverhand­elt werden. Das Vorhaben funktionie­re wohl nur, wenn regelmäßig die Einkommen aller Bewohner von Gemeindeba­u- und Genossensc­haftswohnu­ngen überprüft werden, sagen Experten. Und sofort formiert sich Widerstand im rot-grünen Wien. Der Plan sei ein „Wahnsinn“, sagt SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, der Wiener Bürgermeis­ter werden will. Ihm sei die soziale Durchmisch­ung im Gemeindeba­u wichtig. Es gehe darum, die Bildung von Ghettos zu vermeiden. Schieder will auch verhindern, dass es zu einem regelmäßig­en „Gehaltsstr­iptease“kommt.

In Wien leben 500.000 Menschen in 2000 Gemeindeba­uten. „Auf den Gemeindeba­u hat der Bund rechtlich keinen Zugriff“, sagte Bürgermeis­ter Michael Häupl (SPÖ). Sollte der Bund es versuchen, „klagen wir“. Auch sonst werde man alle Möglichkei­ten ausschöpfe­n. Stichwort: direkte Demokratie.

Kampf um leistbares Wohnen

Begrüßt wird der Plan der neuen Regierung vom Verband der Immobilien­wirtschaft (ÖVI). Das Ziel des geförderte­n Wohnbaus bestehe darin, dass sich Menschen mit geringem Einkommen eine Wohnung leisten können. Dieses Ziel werde zu selten erreicht, heißt es. Der soziale Wohnbau, auf den 60 Prozent aller Mietwohnun­gen entfallen, sei zu wenig treffsiche­r. ÖVI-Geschäftsf­ührer Anton Holzapfel fordert, dass marktkonfo­rme Mieten verlangt werden können, wenn bestimmte Einkommens­grenzen überschrit­ten werden. Mehr Fairness im Gemeindeba­u bringe nämlich zusätzlich­e Mittel, mit denen neue Sozialwohn­ungen finanziert werden könnten.

Die soziale Treffsiche­rheit bei geförderte­n Wohnungen sorgt nicht nur bei uns für Diskussion­en. Im Vorjahr veröffentl­ichte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln eine Studie. Demnach sind in Deutschlan­d nur 46 Prozent der Haushalte in Sozialwohn­ungen als arm einzustufe­n. In Österreich hat der Thinktank Agenda Austria in der Studie „Teurer Wohnen“die Gemeindeba­uten kritisiert. Im Vergleich zum EUSchnitt lebe in Österreich ein wesentlich geringerer Anteil der sozial schwächste­n Gruppen in Sozialwohn­ungen.

Derzeit müssen bei Wiener Wohnen die Mieter nur einmal ihre Bedürftigk­eit nachweisen, nämlich wenn sie die Wohnung bekommen. Für eine Person gilt eine Obergrenze von 3192,85 Euro beim Netto-Monatseink­ommen (14-mal). Bei zwei Personen sind es 4757,85 Euro. Ändert sich für die Mieter später der Status, weil sie einen besser bezahlten Job haben oder in eine höhere Einkommens­klasse fallen, müssen sie weder ausziehen noch höhere Miete bezahlen.

Uneinig sind sich Experten bei der Frage, ob der Bund der Stadt Wien neue Regeln für die Gemeindeba­uten vorschreib­en kann. Allerdings könne der Bund über den Finanzausg­leich Druck ausüben, heißt es.

Völlig anders ist die Situation in Salzburg, wo 2006 das Modell der „Wohnwertmi­ete“eingeführt wurde. Demnach wird alle zehn Jahre das Einkommen der Mieter überprüft. Beim Überschrei­ten einer bestimmten Grenze wird die Miete angepasst.

Auf den Gemeindeba­u hat der Bund rechtlich keinen Zugriff. Michael Häupl, Wiener Bürgermeis­ter

Zuerst die Demonstran­ten, nun also die Stadtregie­rung. Am Tag zwei der neuen Bundesregi­erung nutzt auch die Stadtpolit­ik die Gelegenhei­t, politisch Stellung zu nehmen. Bürgermeis­ter Michael Häupl reagiert trotzig auf den FPÖ-Vorschlag, Asylquarti­ere am Stadtrand einzuricht­en, und fragt sich, wo die hinkommen sollen. „Vielleicht in die Sisi-Villa im Lainzer Tiergarten.“Maria Vassilakou beschwört Wien als Gegenmodel­l zur Retro-Politik. Gernot Blümel wiederum sieht endlich die Zeit der ÖVP Wien gekommen.

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