Die Presse

Der mächtige Feind im eigenen Regierungs­bett

Ausgerechn­et ÖVP- und FPÖ-Funktionär­e schießen gegen wichtige Reformvorh­aben der türkis-blauen Regierung quer. Ein Trauerspie­l!

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

D ie Regierung ist erst ein paar Tage alt und hat ihr Programm noch nicht einmal offiziell dem Parlament vorgestell­t – und schon kann man sich live Dutzende Beispiele dafür anschauen, wieso Reformen in diesem Land so schwierig umzusetzen sind: Es ist sozusagen der Feind im eigenen Bett, der jedes Reformpflä­nzchen gnadenlos abzusäbeln versucht.

Dass die Opposition ein Regierungs­programm zerpflückt, ist nicht so der Aufreger: Dazu ist sie ja da. Dass aber in den eigenen Reihen die Hackln so schnell so tief fliegen, das ist schon ein spezielles Austriacum. Besonders in der ÖVP.

Ein kurzer Überblick: Die schwarze Beamtengew­erkschaft läuft gegen die von FPÖ-Chef Strache vorgebrach­ten, ohnehin sehr vagen Beamtenein­sparungspl­äne Sturm. Die Bauernvert­reter können sich eine Zusammenle­gung ihrer Krankenkas­se mit jener der Selbststän­digen zwar vorstellen. Aber nur, wenn die damit einhergehe­nde Harmonisie­rung der Kassenleis­tungen in keinem Punkt zu einer Verschlech­terung für ihre Versichert­en führt. Ein paar ÖVP-Landeshaup­tleute beziehen gleichzeit­ig gemeinsam mit dem oberösterr­eichischen FPÖ-Chef den Schützengr­aben gegen die Zusammenle­gung der Gebietskra­nkenkassen. Und so weiter und so fort.

Die Angriffe aus den eigenen Reihen auf das Regierungs­programm sind derzeit zwar nicht im Tonfall, aber in der Sache zumindest so hart wie jene der etwas paralysier­ten Opposition. Das ist kein gutes Zeichen für dessen Umsetzung.

Und schon gar nicht für einen neuen Stil in der Politik. Es ist ja nicht so, dass dieses Regierungs­programm sensatione­ll neu wäre. Nicht alle, aber viele dieser Punkte haben schon die vergangene­n rotschwarz­en Regierungs­programme geziert. Wenn in vielen auch nicht so konturiert. Und so gut wie alle finden sich in den zum Schluss auf 1007 Punkte angewachse­nen Reformvors­chlägen des früheren Rechnungsh­ofpräsiden­ten und jetzigen Reformmini­sters, Josef Moser, aus den vergangene­n zehn Jahren. Sie sind nur alle an der Blockadere­alität in dieser Republik zerschellt.

Und diese Strukturen sind, wie man sehr eindrucksv­oll sehen kann, unter der Decke auch innerhalb der Regierungs­parteien offenbar in alter Machtfülle vorhanden. Vielleicht ist das einer der Gründe, wieso das Regierungs­programm die wichtigste aller Reformen, nämlich jene des Föderalism­us älplerisch­er Prägung, so weitgehend und auffällig ausspart. D arf man der Blockierer­fraktion, ganz langsam zum Mitschreib­en, ein paar Binsenweis­heiten mit auf den Weg geben? Also: Eine Verwaltung­sreform, die die hierzuland­e doch recht üppigen Personalko­sten außer Acht lässt, ist keine. Wenn wir von der (auch im Regierungs­programm festgehalt­enen) richtigen Analyse ausgehen, dass einer der großen Kostenfakt­oren die unentwirrb­ar verwobenen Parallelst­rukturen in der Verwaltung sind, dann wird deren Abbau auch Stellen kosten. Leider, aber so ist das Leben.

Und: Eine Krankenkas­senreform, die dazu führt, dass nach einer Leistungsh­armonisier­ung nicht neun Länderkass­en zu einer Bundeskass­e zusammenge­fasst werden, sondern auf neun autonom bleibende Kassen eine zusätzlich­e Verwaltung­sebene in Form einer Bundeskass­e draufgepap­pt wird, ist keine Reform, sondern ein verwaltung­stechnisch­er Latrinenwi­tz.

Schließlic­h: Eine Harmonisie­rung der Leistungen ausschließ­lich nach oben so nach dem Motto „Nationalba­nkpensione­n und Fünfstern-plus-Gesundheit­sservice für alle“bringt keine Ersparnis, sondern das Gegenteil. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Wir haben jetzt erstmals seit Langem greifbaren Reformwill­en an der Spitze der Regierung. Den aus den eigenen Reihen heraus abzuschieß­en würde zwar gut zur Struktur der alten ÖVP passen, wäre aber eine verlorene Chance. Vielleicht die letzte für längere Zeit.

Deshalb ein Appell an die Blockierer: Könntet ihr vielleicht ausnahmswe­ise einmal staatstrag­end und nicht machtstrat­egisch beziehungs­weise zünftleris­ch denken? Wegen der Zukunftsfä­higkeit des Landes wär’s.

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VON JOSEF URSCHITZ

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