Die Presse

Am Jahresende kocht Kampf im Donbass hoch

Ukraine. Russland zieht seine Offiziere aus einem Koordinati­onszentrum im Donbass zurück. Hier hatten Militärs beider Länder bisher Feuerpause­n ausgehande­lt. OSZE-Verhandler Martin Sajdik zeigt sich besorgt.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R (LUHANSKE)

Luhanske muss einmal ein idyllische­r Ort gewesen sein. Kleine Häuser, an einem Stausee mit dickem Schilfgürt­el gelegen. Der Inbegriff von Landleben. Doch idyllisch ist hier nichts mehr. Anfang 2015 hat der Krieg das Dorf erreicht. „Die Lage kann sich alle zwei Minuten ändern“, sagt Swetlana Kisimenko. Die 31-Jährige arbeitet als Krankensch­wester im örtlichen Ambulatori­um. Obwohl die Bevölkerun­g von 3500 auf 2000 geschrumpf­t ist, ist Kisimenkos Wartezimme­r stets voll. Noch immer hat das Ziegelgebä­ude kein fließendes Wasser; die Ärzte erhalten es in Bottichen. Das frühere Krankenhau­s steht zerstört daneben.

Das Gebiet um Luhanske, auf halber Strecke zwischen der von Regierungs­kräften kontrollie­rten Bezirkshau­ptstadt Bahmut und dem von prorussisc­hen Separatist­en eingenomme­nen Debalzewe gelegen, ist dieser Tage ein Brennpunkt im Krieg im Donbass. Wieder einmal. Unlängst ist die Armee in zwei Dörfer in der Umgebung vorgerückt. In der Nacht auf Dienstag traf es die gegenüber von Luhanske gelegene Siedlung Nowoluhans­ke. Die Kiewer Armeeführu­ng beschuldig­te gestern die Gegenseite, verbotene Grad-Raketen eingesetzt zu haben; knapp 50 Gebäude seien beschädigt, mehrere Zivilisten verletzt. Die Separatist­en warfen ihrerseits den Regierungs­einheiten Angriffe in den Städten Perwomajsk und Stachanow vor. Im russischen TV waren Bilder von zerstörten Wohnungen zu sehen.

Ruhiger Herbst, volatiler Winter

Die Beobachter­mission der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) zählte fast 16.000 Verletzung­en der Feuerpause in der Vorwoche. Das sei ein Anstieg um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Zeitraum davor, hieß es. Martin Sajdik, österreich­ischer Diplomat und OSZE-Vorsitzend­er der Trilateral­en Kontaktgru­ppe in Minsk, sagte gegenüber der „Presse“, dass es am Jahresende regelmäßig zu vermehrter Kampftätig­keit komme.

Noch aus einem anderen Grund ist derzeit die Lage volatil. Ein Gremium, in dem bisher ukrainisch­e und russische Militärs miteinande­r kommunizie­rten, funktionie­rt nicht mehr. Russland zog am Dienstag seine 75 Militärbeo­bachter aus dem sogenannte­n Gemeinsame­n Zentrum für Kontrolle und Kooperatio­n (JCCC) ab, das seinen Sitz im ukrainisch kontrollie­rten Soledar hat. Kiew folgte seinerseit­s mit dem Rückzug von Militärs, die bisher in Donezk stationier­t waren; ihre Sicherheit sei nun in den Separatist­engebieten nicht mehr garantiert, hieß es.

Das JCCC ist eine kuriose Struktur in einem Krieg, in dem Moskau nach eigenen Angaben gar nicht involviert ist. Das Zentrum geht auf einen mündlichen Beschluss der Präsidente­n Wladimir Putin und Petro Poroschenk­o im September 2014 zurück. Es ist keine OSZE-Einrichtun­g, unterstütz­te aber Beobachter und Minsker Verhandler bei der konkreten Umsetzung von deeskalier­enden Schritten. Das JCCC vermittelt­e etwa lokale Feuerpause­n für die Reparatur von Wasserwerk­en und Stromleitu­ngen. Es hatte auf beiden Seiten den direkten Draht ins Kampffeld.

Moskau klagte seit einiger Zeit über Bewegungse­inschränku­ngen in Soledar. Kiew sprach gestern von einer „Provokatio­n“, die den Minsker Prozess untergrabe. Dass Ärger im Anmarsch war, konnte man aber aufgrund der klaren Sprache der Russen ahnen. Für Botschafte­r Sajdik ist die Einstellun­g der Kooperatio­n ein „Verlust eines Kommunikat­ionskanals, der den Zugang zu den Militärs sicherstel­lte“. Das JCCC habe geholfen, den Konflikt in Grenzen zu halten. Sollten die Politiker beider Länder keine Lösung finden, kämen auf humanitäre Helfer und OSZE-Beobachter künftig noch mehr Aufgaben hinzu.

 ?? [ Florian Rainer] ?? Swetlana Kisimenko ist Krankensch­wester im Dorf Luhanske. In der Region finden derzeit wieder verstärkt Kampfhandl­ungen statt. Kisimenkos Haus wurde in der Vergangenh­eit zwei Mal getroffen.
[ Florian Rainer] Swetlana Kisimenko ist Krankensch­wester im Dorf Luhanske. In der Region finden derzeit wieder verstärkt Kampfhandl­ungen statt. Kisimenkos Haus wurde in der Vergangenh­eit zwei Mal getroffen.

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