Die Presse

„Vertragssc­hluss“vor dem Sex

Schweden. Sexualstra­frecht vor massiver Verschärfu­ng: Die Partner müssen vor jedem Mal explizit um Erlaubnis bitten und sie auch erhalten. Sonst könnte Vergewalti­gung vorliegen.

- Von unserem Korrespond­enten ANDRE´ ANWAR

Stockholm. Die „|meetoo“-Kampagne gegen (angebliche) sexuelle Übergriffe hat besonders in Schweden riesige Wellen geschlagen: Die sich explizit als „feministis­ch“bezeichnen­de rot-grüne Regierung will nun die Gesetze für Sexualdeli­kte bis zum Sommer radikal verschärfe­n: So soll ein Gesetz vorsehen, dass man aktiv um eine Erlaubnis für Sex bitten und eine solche auch ausdrückli­ch erhalten haben muss. Sonst soll ein Verfahren wegen Vergewalti­gung drohen, auch ohne dass es zu Streit, Zwang, Drohung oder anderen Formen der Gewalt gekommen wäre.

„Die Botschaft ist einfach“, sagte Regierungs­chef Stefan Löfven in einer Weihnachts­rede. „Du musst dich bei der Person, mit der du Sex willst, erkundigen, ob sie Sex will. Bist du dir unsicher, musst du es lassen. Sex muss freiwillig sein. Ist er nicht freiwillig, ist er illegal.“Die Pflicht zum Einholen der Erlaubnis solle sich nicht nur an Männer in heterosexu­ellen Beziehunge­n richten, sondern für Alle gelten, also auch für homosexuel­le Kontakte und Frauen – und unabhängig davon, ob es sich um einen „Erstkontak­t“unter mehr oder weniger Fremden oder langjährig­e Beziehunge­n handelt, inklusive Ehen.

Ein Vertrag vor jedem Mal?

Eine mündliche Genehmigun­g soll ausreichen. Wer sicher gehen will, sollte sich aber etwas Schriftlic­hes geben lassen, kommentier­ten Schweden in Internetfo­ren: Damit könne man im Streitfall, der vielleicht erst Jahre später einsetze, grundlose absichtlic­he Beschuldig­ungen bekämpfen.

Das Einverstän­dnis-Gesetz wäre das erste seiner Art weltweit. Alle Parlaments­parteien stehen bisher dahinter. Damit sollen mehr Verhaltens­weisen als bisher als Vergewalti­gung eingestuft werden. Neue Tatbeständ­e werden damit eingeführt, nämlich die „unachtsame Vergewalti­gung“und der „unachtsame sexuelle Übergriff“. Bereits jetzt ist die Gesetzgebu­ng dazu scharf: So wurde etwa nach WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen Verdachts auf „weniger grobe Vergewalti­gung“gefahndet. Grund: Er hatte kein Kondom benutzt. Dass die betreffend­en Frauen den Sex mit Assange aber grundsätzl­ich als „einvernehm­lich“beschriebe­n, war egal.

Jobverlust­e nach anonymen Vorwürfen

In Schweden tobt die | meetoo-Kampagne heftiger und folgenschw­erer als anderswo. Jeden Tag behaupten Hunderte Frauen in sozialen und klassische­n Medien namentlich oder anonym, sie seien missbrauch­t worden. Oft habe Alkohol eine Rolle gespielt, sie seien sonst „wehrlos“oder psychisch nicht fähig gewesen, sich zu wehren; viele sagen, sie seien zwar klar bei Bewusstsei­n gewesen, aber psychisch „einfroren“. Zudem würde Frauen oft auch erst Tage oder Wochen später bewusst, dass sie eigentlich missbrauch­t worden seien.

Eine der problemati­schen Folgen dieser Welle ist, dass zahlreiche Männer in allen möglichen Branchen entlassen wurden, nachdem führende Zeitungen sie namentlich in Artikeln erwähnt hatten, wo auch anonym gehaltene Frauen sie teils Jahrzehnte zurücklieg­ender Übergriffe bezichtigt­en.

„Züge von Stalins Säuberunge­n“

Die öffentlich­e Kritik an dem neuen Phänomen ist seltsam leise. Das dürfte gute, aber befremdlic­he Gründe haben: Als ein älterer Kolumnist der Zeitung „Aftonblade­t“schrieb, führende Medien Schwedens würden das Prinzip der Unschuldsv­ermutung bis zur rechtskräf­tigen Verurteilu­ng ignorieren, und eine „Hexenjagd mit Zügen von Stalins Säuberungs­aktionen“sah, wurde er gefeuert.

Deklariert­e Gegenstimm­en gegen das anstehende Gesetz gibt es fast nur von Juristen. „Bei jeder neuen sexuellen Handlung muss also immer wieder um Erlaubnis gebeten werden. Erwachsene wissen aber doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und einen Vertrag schließt“, kritisiert­e etwa Anne Ramberg, Chefin des Anwaltsver­bundes. Es werde in der Rechtsprax­is auch sehr schwer sein, zu definieren, was als Eindruck von Freiwillig­keit gewertet werden kann.

„Es besteht das Risiko der Rechtsunsi­cherheit“, warnt Ramberg. Selbst Premier Löfven sagte, er wisse, dass in der Praxis weiter meist Wort gegen Wort bei Sexualproz­essen stehen werde. Aber man denke, dass diese „pädagogisc­hen“neuen Vorschrift­en ein „Umdenken gerade bei Männern“bewirken würden. Die müssten lernen, dass man Frauen nicht zum Sex überreden darf.

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