Die Presse

Die russische Seele in der Holzkiste

„Eugen Onegin“in Graz: Gleich vier Rollendebü­ts in der Oper Graz – und der Einstand einer Chefdirige­ntin.

- VON KONSTANZE KAAS

Unter intensiver Beobachtun­g stand an ihrem ersten Abend die neue Hausherrin der Grazer Oper, die Ukrainerin Oksana Lyniv. Ganz aufeinande­r eingespiel­t schienen Dirigentin und Orchester noch nicht zu sein; man sucht spürbar noch einen gemeinsame­n Weg, um weite dramatisch­e Bögen zu spannen, ein Manko, das leidenscha­ftliche Ausbrüche aber eindrucksv­oll wettmachen. Nach zeitloser Umsetzung dieser Leidenscha­ft sucht die Inszenieru­ng Jetske Mijnssens. Gelungen die Personenfü­hrung, die Zerbrechli­chkeit und innere Kämpfe der Charaktere in den Vordergrun­d rückt; keine wahnwitzig­e „Deutung“, doch immerhin starke dramaturgi­sche Eingriffe: Statt eines Briefs übersendet Tatjana Onegin ein Tuch. Fraglich bleibt also, wie der Angebetete von der Liebe des Mädchens erfährt. Im Finale des zweiten Akts richtet sich Lenski selbst. Onegin, der zum Duell keine Pistole mitbringt, hat Lenski durch sein Verhalten in den Selbstmord getrieben. Auf diese Weise schafft die Regie die Frage nach einem heute schwer nachvollzi­ehbaren Ehrenkodex aus der Welt.

Das schlichte Bühnenbild, eine Holzkiste, kühl ausgeleuch­tet, fokussiert den Blick auf die Personen. So zieht sich eine gewisse Statik durch das Stück, treibt es immer mehr ins Melancholi­sche. Das reduziert den durch die Musik vorgegeben­en Spannungsb­ogen zwischen Hochgefühl und Verzweiflu­ng: Bei Walzer, Ecossaise und Polonaise sowie den energische­n Chornummer­n widerspric­ht das Bild den ausgelasse­nen Klängen.

Die Russin Oksana Sekerina als Tatjana bestach mit warmtemper­ierter Stimme und einfühlsam­er Interpreta­tion. Für den erkrankten Markus Butter sprang die Zweitbeset­zung des Onegin, Dariusz Perczak, ein. Dass er erst wenige Tage vor der Premiere von seinem Glück erfahren hatte, mochte man kaum glauben: Perczak lebte das Feuer, die Leidenscha­ft und die Rastlosigk­eit des Onegin auf der Bühne aus. Pavel Petrov war der verletzlic­he, melancholi­sche Lenski. Als leichtlebi­ges Partygirl Olga tanzte und flirtete sich Yuan Zhang durchs Geschehen. Christina Baader als Larina trauert den Schatten ihrer Vergangenh­eit nach, und die eindrucksv­olle tiefe Tessitura Elisabeth Hornungs verlieh der Filipjewna die rechte sanfte Mütterlich­keit. Die Rolle des Triquet sang der erfahrene Manuel von Senden. Alexey Birkus als Fürst Gremin phrasierte zwar schön, blieb aber etwas emotionslo­s. Sängerense­mble und Dirigentin ernteten zu Recht tosenden Beifall und Standing Ovations, wie man sie beim sonst eher verhaltene­n Grazer Publikum nur selten erlebt.

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