Die russische Seele in der Holzkiste
„Eugen Onegin“in Graz: Gleich vier Rollendebüts in der Oper Graz – und der Einstand einer Chefdirigentin.
Unter intensiver Beobachtung stand an ihrem ersten Abend die neue Hausherrin der Grazer Oper, die Ukrainerin Oksana Lyniv. Ganz aufeinander eingespielt schienen Dirigentin und Orchester noch nicht zu sein; man sucht spürbar noch einen gemeinsamen Weg, um weite dramatische Bögen zu spannen, ein Manko, das leidenschaftliche Ausbrüche aber eindrucksvoll wettmachen. Nach zeitloser Umsetzung dieser Leidenschaft sucht die Inszenierung Jetske Mijnssens. Gelungen die Personenführung, die Zerbrechlichkeit und innere Kämpfe der Charaktere in den Vordergrund rückt; keine wahnwitzige „Deutung“, doch immerhin starke dramaturgische Eingriffe: Statt eines Briefs übersendet Tatjana Onegin ein Tuch. Fraglich bleibt also, wie der Angebetete von der Liebe des Mädchens erfährt. Im Finale des zweiten Akts richtet sich Lenski selbst. Onegin, der zum Duell keine Pistole mitbringt, hat Lenski durch sein Verhalten in den Selbstmord getrieben. Auf diese Weise schafft die Regie die Frage nach einem heute schwer nachvollziehbaren Ehrenkodex aus der Welt.
Das schlichte Bühnenbild, eine Holzkiste, kühl ausgeleuchtet, fokussiert den Blick auf die Personen. So zieht sich eine gewisse Statik durch das Stück, treibt es immer mehr ins Melancholische. Das reduziert den durch die Musik vorgegebenen Spannungsbogen zwischen Hochgefühl und Verzweiflung: Bei Walzer, Ecossaise und Polonaise sowie den energischen Chornummern widerspricht das Bild den ausgelassenen Klängen.
Die Russin Oksana Sekerina als Tatjana bestach mit warmtemperierter Stimme und einfühlsamer Interpretation. Für den erkrankten Markus Butter sprang die Zweitbesetzung des Onegin, Dariusz Perczak, ein. Dass er erst wenige Tage vor der Premiere von seinem Glück erfahren hatte, mochte man kaum glauben: Perczak lebte das Feuer, die Leidenschaft und die Rastlosigkeit des Onegin auf der Bühne aus. Pavel Petrov war der verletzliche, melancholische Lenski. Als leichtlebiges Partygirl Olga tanzte und flirtete sich Yuan Zhang durchs Geschehen. Christina Baader als Larina trauert den Schatten ihrer Vergangenheit nach, und die eindrucksvolle tiefe Tessitura Elisabeth Hornungs verlieh der Filipjewna die rechte sanfte Mütterlichkeit. Die Rolle des Triquet sang der erfahrene Manuel von Senden. Alexey Birkus als Fürst Gremin phrasierte zwar schön, blieb aber etwas emotionslos. Sängerensemble und Dirigentin ernteten zu Recht tosenden Beifall und Standing Ovations, wie man sie beim sonst eher verhaltenen Grazer Publikum nur selten erlebt.