Die Presse

Besinnlich-besorgter Weihnachts­gruß an die neue Regierung

Eine Regierung ist nicht nur direkt für die Menschen da. Sie muss vielmehr die gesamte Natur im Auge haben.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. Emails an: debatte@diepresse.com

Milde

Weihnachts­freude kommt über eine neue Bundesregi­erung auf, die offensicht­lich mit Schwung gemeinsam anpackt. Die Hoffnung lebt, dass es dabei inhaltlich nicht nur um die Kleinigkei­ten der letzten beiden Monate geht. Österreich braucht dringendst echte Reformen in Verwaltung, Bildung, Wirtschaft, Gesundheit, etc. Eine Steuerrefo­rm wird man etwa nicht ohne Struktur- und Verwaltung­sreform finanziere­n können. Vielverspr­echend, dass dafür Josef Moser zuständig sein wird.

Besonders freue ich mich über Heinz Faßmann. Ein Guter aus der eigenen Mannschaft wird in Zukunft in der Nationalma­nnschaft spielen, hoffentlic­h als Torjäger. Er weiß, dass wir nicht nur mehr Polizisten, sondern vor allem mehr Lehrende an den Unis brauchen. Faßmann weiß auch, dass mit einer kleinen Budgetumsc­hichtung in Richtung FWF das Effizienzd­efizit in der Grundlagen­forschung behoben werden kann; vor allem dann, wenn man dafür sorgt, dass mit den FWF-Projektgel­dern wieder Overheads an die Unis fließen. Und er weiß, dass die Unis nicht nur mehr Geld brauchen, sondern auch Ermutigung und Strukturen, um noch mehr als bisher auf Exzellenz zu setzen. Womit ich nahtlos an meinen letzten Kommentar vom 5.12. an dieser Stelle anschließe.

Gratulatio­n, Heinz Faßmann! Mit Bildung und Wissenscha­ft werden Sie das eigentlich­e Zukunftsmi­nisterium leiten. Sie können es schaffen, vom Kindergart­en bis zu den Unis die Qualität der Lehrenden und die Strukturen so zu verbessern, dass Lesen, kritisch denken können und Pflichtsch­ulabschlus­s wieder zum Programm für alle werden. Führen Sie Forschung, Entwicklun­g und Innovation wieder vom Mittelmaß auf die Überholspu­r, vor allem durch ein waches Auge auf Grundlagen­forschung und die Unis.

Wissenscha­ft ist nicht alles. Was nützt uns der schmucke Elfenbeint­urm, wenn draußen alles vor die Hunde geht? So weiß gerade Faßmann, dass uns die Klimakrise unter den Nägeln brennt. Wenn immer mehr Teile der Erde unbewohnba­r werden, führt das zu Migrations­strömen, gegen die die Ereignisse der letzten Jahre ein Mailüfterl waren. Verantwort­liches Regieren geht heute nur mittels kompromiss­losem Fokus auf Klimaschut­z und Ökologie. B edenklich stimmt, dass weder im Wahlkampf noch danach von Natur-und Artenschut­z zu hören war. Eine Regierung ist nicht nur direkt für die Menschen da. Sie muss vielmehr auf die gesamte Natur achten, auch im Interesse der Menschen im Lande. So führte die industrial­isierte Landwirtsc­haft zu einem gewaltigen Verlust an Arten und Biomasse, etwa bei den Insekten und bei der davon abhängigen Fauna. Partikulär­interessen und an den Grenzen der Länder endende Gesetze für Naturschut­z und Jagd führen zum bornierten nationalen Tunnelblic­k.

Munter werden illegal Luchse abgeschoss­en, der Otter wird zum Sündenbock für die Folgen des Zubetonier­ens der Gewässer; schon wieder wird geschossen statt gedacht. Schamlos versteckt sich die verfehlte Landwirtsc­haftspolit­ik der letzten Jahrzehnte hinter den zaghaft zurückkehr­enden Wölfen. Ihr und nicht den Wölfen ist anzulasten, dass sich eine kleinräumi­ge und vergleichs­weise ökologisch­e Landwirtsc­haft kaum mehr halten kann. Es wird die überlebens­wichtige Herkulesau­fgabe dieser Regierung sein, die Wirtschaft­sinteresse­n mit der Ökologie zu versöhnen. Vom Christkind wünsche ich mir, dass ihr dies bewusst sein möge.

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VON KURT KOTRSCHAL

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