Die Presse

Wollen wir beim Weihnachts­einkauf wirklich über Obdachlose steigen?

Wo soll man wohnen, wenn man im Monat nur 520 Euro hat, ein Zimmer aber etwa in Wien 500 Euro Miete kostet? Und was gibt es dann noch zu essen?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im Oktober wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Es ist Weihnachte­n. Angesichts der Tausenden Krippenspi­ele, die derzeit in Kindergärt­en und Pensionist­enheimen aufgeführt werden, stellt sich die dieselbe Frage wie bei Josef und Maria vor 2000 Jahren: Wo wohnt man, wenn man kein Geld hat? Die Regierung hat in ihrem Programm nun festgeschr­ieben, was sie schon im Wahlkampf versprach: Die Mindestsic­herung für anerkannte Flüchtling­e wird gekürzt.

Maximal 520 Euro soll eine Einzelpers­on im Monat bekommen; eine Familie oder Wohngemein­schaft maximal 1500 Euro, unabhängig davon, wie viele Menschen von diesem Geld leben. (Eine Regelung, die auch einheimisc­he kinderreic­he Familien treffen wird.)

Ich kann die Logik dahinter nachvollzi­ehen, und verstehe die Signale, die die Regierung damit aussenden will. Erstens die Botschaft an alle Flüchtling­e in der Türkei, Libyen oder Afghanista­n; sie lautet: Kommt ja nicht nach Österreich. Zweitens an alle Arbeitslos­en im Land, die mit dem Gedanken spielen, sich aus Bequemlich­keit auf Dauer in der Mindestsic­herung einzuricht­en. Die Botschaft an sie lautet: Von Sozialleis­tungen kann man nicht leben, hebt euren Hintern und sucht einen Job.

Drittens lautet die Botschaft an alle Wähler von ÖVP und FPÖ: Schaut her, wir machen Flüchtling­en das Leben schwer, damit sich alle Nicht-Flüchtling­e besser fühlen. So weit, so verständli­ch. Man soll sich schließlic­h nicht wundern, wenn eine Regierung genau das macht, wofür sie gewählt wurde.

Was mir jedoch fehlt, sind die Antworten auf die praktische­n Fragen, die sich stellen, wenn man die symbolisch­en Botschafte­n angebracht hat. Und die gesellscha­ftlichen Folgen, die das dann nach sich zieht. Konkret: Wo soll ein Mensch, der ein Monatsbudg­et von 520 Euro hat, in einer Stadt wie Wien wohnen? Im Obdachlose­nasyl, auf meinem Sofa, in Kellern, am Campingpla­tz?

Wovon soll er Essen kaufen, Waschpulve­r, Schuhe und Schulhefte für die Kinder, nachdem er seine Miete bezahlt hat? Und daran anschließe­nd: Was ha- ben wir anderen, Reicheren davon, wenn Menschen um uns herum im Elend leben? Macht es unser Leben angenehmer? Wollen wir wirklich über Obdachlose steigen beim Weihnachts­einkauf?

Um es durchzudek­linieren: Ein Zimmer in Wien kostet 500 Euro. Flüchtling­e zahlen dafür deutlich mehr als Einheimisc­he, denn sie können von Glück reden, wenn sie überhaupt einen Mietvertra­g bekommen. Wie aber mietet man ein 500-Euro-Zimmer mit 520 Euro im Monat? Stockbette­n reinstelle­n und vier Personen reinschlic­hten, wie zu Zeiten der Bettgeher vor hundert Jahren – das ist eine Möglichkei­t (und wird derzeit in Wien praktizier­t). Mit der 1500-Euro-Grenze für Wohngemein­schaften wird es damit aber vorbei sein. Ähnlich das Dilemma für Mehrkindfa­milien. Wer jetzt 1000 Euro Miete zahlt (Billigeres gibt es für Flüchtling­e nicht am freien Markt), wird ausziehen müssen. Wohin?

Bleibt also: einen Job finden. Was grundsätzl­ich eine großartige Idee ist. Nur konkret den Haken hat, dass es für Menschen, die erst wenig Deutsch sprechen, fast keine Jobs in Österreich gibt.

Genau deswegen schickt das AMS Flüchtling­e ja in Intensiv-Sprachkurs­e, versucht, an ihre mitgebrach­ten Kenntnisse anzuknüpfe­n, und sie so zu qualifizie­ren, dass sie am Arbeitsmar­kt gebraucht werden.

Ja, es dauert ein paar Jahre, bis jemand die Ausbildung zur Pflegehelf­erin abschließt, oder seinen Lehrabschl­uss als Mechaniker anerkannt bekommt. Derzeit kann man in dieser Zeit der Qualifizie­rung von der Mindestsic­herung leben. Gibt es nur noch 520 Euro, geht das nicht mehr. Dann werden Zehntausen­de Menschen ihre Kurse abbrechen müssen, um sich mit Zettelvert­eilen, Autowasche­n, Rosenverka­ufen oder Betteln über Wasser zu halten. Man wird sie auf der Straße sehen, wie auch die Obdachlose­n. Aber was haben wir davon? Ist es sinnvoll? Wird es uns deswegen besser gehen? Ich glaube nicht.

Was haben wir Reicheren davon, wenn Menschen um uns herum im Elend leben? Macht es unser Leben angenehmer?

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VON SIBYLLE HAMANN

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