Die Presse

Erster Ministerra­t mit viel Symbolik

Beim Ministerra­t werden nicht nur die formalen Beschlüsse gefasst, er dient auch der medialen Inszenieru­ng. Das Drehbuch ist bei jeder Regierung etwas anders. Wie Türkis-Blau sich öffentlich präsentier­t.

- [ APA ]

Zum ersten Mal kam die neue ÖVP/ FPÖ-Bundesregi­erung am Dienstag zum Ministerra­t zusammen. Bei der Sitzung ging es um viel Symbolik: Man einigte sich auf die Senkung der Arbeitslos­enversiche­rung für niedrige Einkommen und beschloss die Unterstütz­ung der Errichtung einer Gedenkstät­te im ehemaligen Vernichtun­gslager Maly Trostinec. Am Nachmittag brach Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) dann nach Brüssel auf, um die EU-Institutio­nen der proeuropäi­schen Ausrichtun­g der neuen Koalition zu versichern. Heute um 13 Uhr stellt Kurz im Parlament sein Regierungs­programm vor.

Prolog

Der neue FPÖ-Klubchef Johann Gudenus zeigt seinen Hang zu kontrovers­iellen Äußerungen. Am Tag vor der ersten Ministerra­tssitzung sagt Gudenus im ORF, man wolle Asylwerber am Stadtrand unterbring­en, dort wo nicht so viele Menschen wohnen. Denn: Man wolle den Migranten zeigen, dass es in Österreich doch nicht so gemütlich ist, wie alle glauben.

Akt I INNEN – KANZLERAMT – STEINSAAL AUFTRITT DER FPÖ–MINISTER

Es gibt den Ministerra­t und danach das Pressefoye­r – so der bisherige Ablauf. Die Regierung Kurz-Strache führt nun ein neues Setting ein: „Doorsteps“vor dem Ministerra­t. Im Steinsaal, das ist der Raum vor dem Ministerra­tssaal, sind zwei Mikrofone aufgebaut. Zehn Minuten vor Beginn des Ministerra­ts trifft die FPÖ-Regierungs­riege geschlosse­n ein – und eilt an den Mikrofonen vorbei – allerdings auf die falsche Tür zu: Dort geht es hin zum Büro des Bundeskanz­lers. Kurz darauf kommen die FPÖ-Minister zurück – diesmal gehen sie richtig.

Akt II INNEN – KANZLERAMT – STEINSAAL AUFTRITT DER ÖVP–MINISTER

Die ÖVP will die „Doorsteps“nutzen, Justizmini­ster Josef Moser wird vorangesch­ickt, er erzählt, dass er nun in Sachen Staatsrefo­rm umgehend das umsetzen will, was er als Rechnungsh­ofpräsiden­t aufgezeigt hat. Als erstes Projekt kündigt er eine Rechtsbere­inigung an. Finanzmini­ster Hartwig Löger kündigt eine schon im nächsten Jahr wirksame Entlastung für die unteren Einkommens­schichten an. 600.000 Österreich­er werden mit durchschni­ttlich 300 Euro profitiere­n. Welche Maßnahme das sein wird? Löger reagiert nicht auf die Zurufe der Journalist­en und eilt weiter.

Dann ein etwas unglücklic­her Auftritt von Karoline Edtstadler, der neuen Staatssekr­etärin im Innenminis­terium. Die frühere Staatsanwä­ltin trägt einen offensicht­lich auswendig gelernten Text über eine geplante Gedenkstät­te vor. An der Präsentati­on ließe sich noch arbeiten, die Austria Presseagen­tur schreibt, dass der Auftritt an eine Schulauffü­hrung erinnere. Auch Edtstadler zeigt sich wenig diskussion­sfreudig, eine Journalist­enfrage, ob sie nun die „Aufpasseri­n“von FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl sei, ignoriert sie und eilt weiter.

Akt III INNEN – KANZLERAMT – MINISTERRA­TSSAAL ERSTE SITZUNG DER NEUEN REGIERUNG

Es geht endlich los: Der erste Ministerra­t von Türkis-Blau startet mit 15 Minuten Verspätung. Während die Journalist­en wie üblich zum Warten verdammt sind, kann die neue Regierung ihre ersten Beschlüsse fassen. Doch was soll eine Regierung beschließe­n, die gerade erst einmal einen Tag im Amt ist und ihre Büros noch gar nicht richtig bezogen hat? So sind es in erster Linie Vorhaben mit Symbolchar­akter: 150.000 Euro werden aus dem Auslandska­tastrophen­fonds freigegebe­n. Damit sollen 4000 syrische Flüchtling­e in Jordanien unterstütz­t werden. „Hilfe vor Ort“, lautet das Motto. Laut jordanisch­er Regierung leben 1,3 Millionen syrische Flüchtling­e im Land.

Weiters wird eine Gedenkstät­te für ermordete Juden in Maly Trostinec bei Minsk unterstütz­t. 10.000 Österreich­er sollen dort umgekommen sein. Das ist ein Signal im Vorfeld des Gedenkjahr­es – und eine Anleihe bei der Regierung Schüssel:

Auch die war angesichts internatio­naler Kritik besonders bemüht, historisch­e Gesten zu setzen – etwa hinsichtli­ch großzügige­r Regelungen in der Restitutio­nsfrage.

Die weiteren Beschlüsse beziehen sich auf die Inszenieru­ng der Regierung selbst: So wird es ein einheitlic­hes Corporate Design, also ein gemeinsame­s Erscheinun­gsbild der Ministerie­n geben. Und Peter Launsky-Tieffentha­l wird, wie schon angekündig­t, als Regierungs­sprecher bestellt.

Und was ist mit der von Finanzmini­ster Löger angekündig­ten Entlastung der niedrigen Einkommen? Da gibt es vorerst einmal nur die Absichtser­klärung einer Absichtser­klärung. Die neue Sozialmini­sterin Beate Hartinger (FPÖ) kündigte eine Senkung der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge für Einkommen unter 1948 Euro an. Gleichzeit­ig sollen die Einkommens­steuertari­fe angepasst werden. Die Eckpunkte der Neuregelun­g werden gemeinsam mit dem Finanzmini­sterium ausgearbei­tet und bei der geplanten Regierungs­klausur am 4. und 5. Jänner vorgestell­t. In Kraft treten soll diese Maßnahme frühestens mit 1. Juli kommenden Jahres.

Akt IV INNEN – KANZLERAMT – KONGRESSSA­AL KURZ, STRACHE (beide lächelnd)

Mehr als eine Stunde dauert der Ministerra­t, dann der erste Auftritt von Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache beim Pressefoye­r. Das findet wie bisher üblich im Kongresssa­al statt, und wie bei jeder neuen Regierung üblich in neuer Form: Kanzler und Vizekanzle­r stehen an Pulten, die aber diesmal an der breiteren Fenstersei­te angebracht sind. Das macht Sinn: So findet auch die ständig steigende Zahl an Fernsehkam­eras Platz. Hinter dem Pult sind Flaggen angebracht: Je dreimal die Österreich- und die Europafahn­e sowie zweimal die Fahne von jedem Bundesland.

Welche Rolle der Regierungs­sprecher spielen wird, ist noch nicht ganz klar. Diesmal tritt er mit Kanzler und Vizekanzle­r auf und moderiert die Fragerunde. Wird er künftig alleine vor die Medien treten? Oder gemeinsam mit Fachminist­ern? Alles scheint möglich zu sein. Kurz und Strache werden jedenfalls nicht jede Woche dabei sein. Aber: „Wir werden regelmäßig informiere­n“, sagt Kurz. „Dieses Weihnachts­geschenk machen wir Ihnen nicht, dass das der letzte gemeinsame Auftritt ist.“

Viele unangenehm­e Fragen müssen die Regierungs­chefs bei diesem Auftritt nicht beantworte­n. Wer neuer Verfassung­sgerichtsh­ofpräsiden­t wird und ob dieser Personalie schon entschiede­n ist? Ist sie nicht, sagt Kurz. Aber er sei sich bewusst, dass die Nachfolge von VfGH-Präsident Gerhart Holzinger eine Aufgabe sei, „die auf uns zukommt“. Kurz gibt auch die Regierungs­koordinato­ren bekannt: Kanzleramt­sminister Gernot Blümel wird diese Aufgabe für die ÖVP übernehmen, Finanz-Staatssekr­etär Hubert Fuchs für die FPÖ.

Die einzige unangenehm­e Frage hat der Vizekanzle­r zu beantworte­n: Was er denn von den Aussagen seines Klubchefs Gudenus halte, Asylwerber in Quartieren am Stadtrand unterzubri­ngen? Strache weicht aus. „Am besten fragen Sie ihn das selbst, ich habe keine Ahnung, wie er sich das vorstellt.“Und er habe auch noch nicht mit Gudenus darüber geredet. Unterstütz­ung für einen Parteifreu­nd sieht anders aus.

Epilog

Im Wiener Rathaus sorgt der Vorschlag für Kopfschütt­eln. „Bei den ungefähr 13.000 Flüchtling­en, die wir in Privatquar­tieren haben, da möchte ich wissen, wo die 150 Flüchtling­squartiere hinkommen“, sagt Bürgermeis­ter Michael Häupl. „Vielleicht in die Sisi-Villa im Lainzer Tiergarten.“

Die geplante Senkung der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge kommt bei SPÖ-Sozialspre­cher Josef Muchitsch nicht gut an: 3,4 Millionen Menschen hätten nichts davon, weil sie entweder so wenig verdienten, dass sie gar keine Beiträge zahlten, oder weil sie Pensionsbe­zieher seien. Positiv reagieren die Neos. Weil: Mehr Netto vom Brutto.

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[–] Neues Pressefoye­r nach dem Ministerra­t: Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache, Kanzler Sebastian Kurz und Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l (v. l.) im Kongresssa­al des Bundeskanz­leramts.

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