Wissen, wo der Bartgeier fliegt
Alpen. Die Zeiten ändern sich auch im Nationalpark Hohe Tauern. Die Besucher werden selbstständiger, haben andere Interessen, und das hat weitreichende Folgen für das Angebot.
Lea ist gerade einmal zwei Jahre alt und schon ein Medienstar. Bei der Feier zum 25-Jahr-Jubiläum des Nationalparks Hohe Tauern Tirol heuer in Kals stand der junge Bartgeier im Mittelpunkt. 2015 wurde Lea, der trotz des weiblichen Namens männlich ist, schon einmal freigelassen, dann vergangenen Winter im italienischen Sondrio verletzt aufgefunden. Nach einem mehrmonatigen Kuraufenthalt in der Eulen-und-Greifvogel-Station Haringsee schwang sich der Bartgeier bei der Feier in Kals wieder in die Lüfte, begeisterte das Publikum mit eleganten Flugbewegungen.
Die Bartgeier sind neben den Steinadlern die Stars unter den tierischen Bewohnern des Nationalparks Hohe Tauern. Allein der Anblick der mächtigen Greifvögel mit bis zu drei Metern Spannweite begeistert die Nationalparkbesucher. Bergregionen oberhalb der Baumgrenze sind das bevorzugte Revier der Bartgeier, die sich überwiegend von Aas und hier vor allem von den Knochen ernähren. Boanbrüchl nennen ihn deshalb die Tiroler. Seit 1986 werden im Nationalpark Hohe Tauern Bartgeier freigesetzt, werden jedes Jahr weitere Tiere freigelassen. Die Präsenz der Bartgeier sorgt immer für großes Interesse. Manchmal hat es auch größere Auswirkungen.
„Im Krumltal in Rauris war einmal ein Bartgeier zu sehen“, erzählt Wolfgang Urban, Direktor des Nationalparks Hohe Tauern Salzburg, „während ein Ranger dort mit 15 Besuchern eine geführte Tour unternahm. Und im gleichen Zeitraum kamen gut 300 Leute zu einem Praktikanten, der in der Nähe war, und ließen sich von ihm über den Bartgeier informieren.“Für die Verantwortlichen im Nationalpark ein Hinweis, das etablierte System der geführten Touren mit Rangern doch zu überdenken. „Von den insgesamt gut drei Millionen Besuchern im Nationalpark 2016 waren zwei Millionen in den Tälern unterwegs, aber nur 12.000 Leute nahmen an geführten Touren teil“, bilanziert Urban. Keine wirklich zufriedenstellende Zahl, weshalb man im Salzburger Teil des Nationalparks 2017 erstmals auf die geführten Touren verzichtete.
Individuelles Verhalten
Die Besucher verhalten sich heute anders als in den frühen Jahren des Nationalparks, zeigt sich Salzburg-Nationalpark-Direktor Urban
ist das größte Schutzgebiet Mitteleuropas und verteilt sich auf Kärnten, Osttirol und Salzburg. Naturschutz ist hier im Einklang mit legitimen Bedürfnissen von Bewohnern und Besuchern. In der Außenzone gilt es, das almwirtschaftliche Landschaftsbild zu erhalten. Dreiviertel der Fläche (Kernzone) sind allerdings von jeglicher wirtschaftlicher Nutzung ausgeschlossen. überzeugt. Sie sind selbstständiger geworden, sie wollen sich individuell und flexibel auf dem Terrain bewegen und nicht an starre Termine und Programmabläufe gebunden sein. Früher war es Standard, dass die Gäste sich im Gebirge den Berg- und Wanderführern anvertrauten, weil sie selbst nur wenige Informationen hatten. Heute hat jeder Zugriff auf viele Informationsquellen von digitalen Guides über Onlineplattformen bis zu den verschiedensten Apps. Die Konsequenz daraus war, dass die Salzburger ihr Angebot komplett umstellten.
Spontaner Kontakt
Jetzt sind in allen 13 Tälern des Salzburger Nationalparks am Eingang Infostationen aufgestellt. Dort werden sie entweder vom Ranger empfangen, der ihnen Tipps gibt, wo es an diesem Tag etwas Besonderes zu sehen gibt, oder sie finden Hinweise, wo der Ranger unterwegs ist und wo man auf ihn treffen kann. „Das kann zum Beispiel sein, dass an diesem Tag ein Bartgeier im Tal ist und die Besucher Tipps bekommen, wo sie den Ranger treffen und dem Geier begegnen können“, erklärt Werner Schuh, Nationalpark-Ranger und Bergführer, der im Obersulzbachtal bei Neukirchen am Großvenediger stationiert ist.
Die Bilanz der Salzburger ist jedenfalls eine Bestätigung. „2017 haben wir im Vergleich zum Vorjahr in nur neun Wochen das Zehnfache an Personen erreicht“, freut sich Nationalpark-Direktor Urban. Ranger wie Werner Schuh sind nunmehr im ganzen Tal unterwegs, suchen besonders attraktive Aussichtspunkte, geben den Wanderern Tipps zu reizvollen Wegen und Informationen zu Tieren und Pflanzen im Nationalpark. Anstelle von starren Programmen vermittelt man durch individuelle Dialoge mit den Besuchern und aktuelle, tagesbezogene Tipps. Im Salzburger Teil des Nationalparks ist man überzeugt von dem neuen Konzept. Bei den Kollegen in Tirol und Kärnten gibt es ebenfalls Überlegungen, das Salzburger Modell zu übernehmen.
Neue Chancen
Der Zugang der Besucher zum Nationalpark Hohe Tauern hat sich seit den Achtzigerjahren, seit dessen Gründung, deutlich verändert. Anfangs gab es vor allem bei Einheimischen noch viele Ressentiments wegen potenzieller Beeinträchtigungen der touristischen Entwicklung, sagt Wolfgang Urban. Mittlerweile aber haben sich die Wahrnehmung und Wertschätzung der Naturlandschaft in der Öffentlichkeit deutlich geändert. Auch sehen immer mehr Menschen die Einschränkungen beim Ausbau von Skigebieten positiver als früher. Für Urban ist dies ein Generationenthema: „Die Menschen, die mit dem Nationalpark aufgewachsen sind, sehen mehr die Chancen, die damit verbunden sind.“Dafür pflegen die Nationalparkverwaltungen auch Kooperationen mit