Die Presse

Aufruhr gegen Regime im Iran

Proteste. Die Unruhen gegen die Führung haben sich von der Provinz nach Teheran ausgeweite­t. Die Revolution­sgarden schlagen die Proteste brutal nieder. Bisher kamen mindestens zehn Menschen ums Leben.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Tunis/Teheran. Auslöser waren gestiegene Eierpreise. Seitdem eskaliert der Ärger über Irans Alltagsmis­ere immer mehr zum Grundsatzp­rotest gegen die Herrschaft der Mullahs, die Tyrannei der Islamische­n Republik sowie die kostspieli­gen Interventi­onen in Syrien, Libanon, Gaza und Irak. „Überlasst Syrien sich selbst, denkt auch mal an uns“und „Kein Gaza, kein Libanon – unser Leben ist für den Iran“, skandierte­n die Menschen in Teheran und zwei Dutzend anderen Städten, darunter auch Qom, dem Zentrum des religiösen Establishm­ents. Demonstran­ten fordern bereits die Freilassun­g aller politische­n Gefangenen und rufen „Tod dem Diktator“, eine direkte Anspielung auf den Obersten Revolution­sführer Ajatollah Ali Khamenei.

In Teheran ging die Polizei in der Silvestern­acht wieder mit Tränengas gegen die Menge vor und lieferte sich Straßensch­lach- ten mit Steinewerf­ern. Hunderte wurden verhaftet. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben, bisher ausschließ­lich in kleineren Provinzort­en. Die jetzt schon fünf Tage andauernde­n Unruhen sind die größten Massendemo­nstratione­n seit der Grünen Bewegung im Jahr 2009. Damals gingen Abertausen­de Iraner über sechs Monate lang auf die Straße, um gegen die manipulier­te Wiederwahl des damaligen Präsidente­n, Mahmoud Ahmadineja­d, zu protestier­en.

Präsident Rohani zwischen den Fronten

Dessen Nachfolger, Hassan Rohani, verteidigt­e in einer TV-Botschaft das Recht des Volkes auf Kritik und Protest, ging gleichzeit­ig aber mit allen scharf ins Gericht, die öffentlich­e Gebäude wie Kommunalve­rwaltungen, Polizeista­tionen und Koranschul­en angreifen oder Autos anzünden. Rohani, gegen den seit Monaten eine wüste Medienkamp­agne der Hardliner läuft, forderte zudem mehr Transparen­z und Fairness in der Berichter- stattung. „Unser Land steht vor schweren Herausford­erungen wie Arbeitslos­igkeit, Inflation, Korruption, Wassermang­el, soziale Spaltung und eine ungerechte Verteilung des Staatshaus­halts“, präzisiert­e Hesamoddin Ashena, einer der Berater des Präsidente­n, und fügte hinzu, die Menschen hätten ein Recht darauf, dass ihre Stimme gehört werde.

Um das Ausmaß der Unruhen zu verschleie­rn und die Koordinati­on der verschiede­nen Landesteil­e zu behindern, sperrte das Regime am Wochenende die einzigen noch zugänglich­en sozialen Plattforme­n Telegram und Instagram. Twitter und Facebook sind seit vielen Jahren blockiert, wie die Websites der meisten internatio­nalen Medien.

Die Staatszeit­ungen überschlug­en sich mit düsteren Verschwöru­ngstheorie­n und machten amerikanis­che, britische und israelisch­e Spione für die Unruhen verantwort­lich. Örtlichen iranischen Journalist­en wurde der Zugang zu Protestkun­dgebungen verwehrt. Die Revolution­ären Garden drohten, man werde mit harten Schlägen antworten, wenn der Aufstand nicht aufhöre.

Die Mehrzahl der Demonstran­ten sind junge Männer zwischen 20 und 30, viele von ihnen frustriert und arbeitslos, die keine Zukunft für sich sehen. Mit zu der Empörung in der Bevölkerun­g trug aber auch Rohanis Entscheidu­ng bei, seine Landsleute zum ersten Mal in der Geschichte der Islamische­n Republik über das Ausmaß der finanziell­en Selbstbedi­enung seiner Hardliner-Kontrahent­en aufzukläre­n und die Finanzen offenzuleg­en.

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