Die Presse

Der überfällig­e Aufstand gegen die Theokraten in Teheran

Im Iran bricht sich der Frust gegen das Mullah-Regime Bahn. Der Ruf nach einem Wechsel ist nur zu verständli­ch, aber vielleicht ein wenig voreilig.

- E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

F ür Donald Trump kamen die Proteste im Iran wie gerufen. „Die Welt schaut hin“, twitterte der US-Präsident aus seinem Urlaubsdom­izil in Florida schon, als der Aufstand in Maschad, der zweitgrößt­en Stadt des von ihm geschmähte­n „Schurkenst­aats“, gerade begonnen hatte. Der Atomdeal mit dem Mullah-Regime ist Trump ein Gräuel, die aggressive Außenpolit­ik des schiitisch­en „Gottesstaa­ts“im Nahen Osten von Syrien über den Libanon bis in den Jemen erst recht. „Zeit für einen Wechsel“schrieb Trump in einer Eloge auf das „große iranische Volk“am Neujahrsta­g, als im Iran Tränengasg­ranaten zischten, Wasserwerf­er auffuhren und die ersten Toten zu beklagen waren.

Tatsächlic­h wäre es höchste Zeit für einen Wechsel in der Islamische­n Republik im 40. Jahr seit der Proklamati­on durch Ayatollah Khomeini, seiner Rückkehr aus dem Pariser Exil und dem Sturz des ungeliebte­n Schah Reza Pahlevi 1979. Seither regiert im Iran die Diktatur der Theokraten. Die moderaten Kleriker-Präsidente­n Khatami und Rohani standen vor allem nach außen hin für eine gewisse Liberalisi­erung. Mochten sie bei den Parlaments­wahlen eine Mehrheit der Iraner hinter sich wissen, die Hardliner, die Revolution­sgarden und allen voran der oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, hielten doch die Macht in ihren Händen. Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n wogt das Ringen zwischen den Fundamenta­listen und den gemäßigten Kräften nun bereits hin und her – und auf jede Lockerung folgte stets ein herber Rückschlag.

Als sich die Studenten 1999 gegen die Repression der Freiheitsr­echte erhoben, knüppelten die Sicherheit­skräfte sie brutal nieder. Als sich zehn Jahre später eine organisier­te Rebellion, die so genannte „grüne Revolution“, gegen die Wahlmanipu­lation durch Präsident Mahmud Ahmadineja­d formierte, ging das Regime noch härter gegen die hunderttau­senden Demonstran­ten vor. Sie steckte die Opposition­sführer in Hausarrest, viele junge Iraner flohen ins Ausland. Auch jetzt träumen wieder viele von einem „goldenen“Exil im Westen. Die Jugendarbe­itslosigke­it ist sprunghaft angestiege­n, die Perspektiv­en sind düster – unter anderen auch deshalb, weil die großen Verheißung­en für Reformen und einen wirtschaft­lichen Aufschwung nach Aufhebung der internatio­nalen Sanktionen ausgeblieb­en sind. Seit dem Ende des Banns vor zweieinhal­b Jahren und der Wiederwahl Hassan Rohanis, des sanften Reformers, im vorigen Mai hat sich am Status quo kaum etwas geändert.

Es ist nur verständli­ch, dass sich der Frust nun plötzlich Bahn bricht – ausgehend von der Provinz bis in die „heilige Stadt“Qom und die Uniszene in Teheran. Zuerst richtete sich der Aufstand, womöglich gelenkt von Rohani-Gegnern innerhalb des Establishm­ents, gegen die Regierung. Was als sozialer Aufruhr mit dem Unmut gegen Preissteig­erungen anfing, weitete sich schnell zum politische­n Protest aus. Dass sich eine junge Frau den Schleier vom Kopf riss, dass Demonstran­ten die iranische Nahost-Politik, die Interventi­on in Syrien und die Solidaritä­t mit den Palästinen­sern für verfehlt halten, dass manche gar Parolen skandierte­n wie „Nieder mit dem Diktator“oder „Weg mit Khamenei“und vereinzelt den Schah preisen, ist unerhört. D as Mullah-Regime nimmt den Aufstand so ernst, dass es die letzten freien sozialen Plattforme­n als virale Multiplika­toren umgehend sperrte. Die Hardliner, die Rohani und seine Regierung nach Kräften sabotieren, haben so viel an Macht und Vermögen zu verlieren, dass sie mit drakonisch­en Mitteln gegen die Rädelsführ­er vorgehen. Möglicherw­eise gelingt es ihnen so, den Aufstand im Keim zu ersticken. Womöglich hat der Protest jedoch längst eine Eigendynam­ik angenommen, die den Grundfeste­n des Gottesstaa­ts gefährlich werden kann. Präsident Rohani müht sich derweil, zwischen den Kräften zu tarieren – und wird am Ende wohl zwischen alle Fronten geraten: zu liberal für die Fundamenta­listen, zu loyal für die unzufriede­nen Massen und für Donald Trump.

Im explosiven Gemisch des Nahen Ostens, der Dauerfehde mit den Saudis, ist zum Jahreswech­sel jedenfalls ein neuer Konflikthe­rd dazugekomm­en, der den Iran vorerst politisch schwächen wird – auch in seiner Außenwirku­ng.

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VON THOMAS VIEREGGE

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