Die Presse

Peter Hacker: „Die Kriminalit­ät wird steigen“

Interview. Der Chef des Fonds Soziales Wien, Peter Hacker, kritisiert das Regierungs­programm: Der Bund könne Wien nicht zwingen, Asylwerber nur in Heimen unterzubri­ngen. Ein Heim habe nichts mit dem Normalzust­and des Lebens zu tun.

- VON ULRIKE WEISER

Die Presse: Mit der Ansage, strenger zu Asylwerber­n und Flüchtling­en sein zu wollen, gewinnt man Wahlen. Ist das für Sie ein Hinweis, dass Fehler gemacht wurden? Peter Hacker: Ich finde es fasziniere­nd, dass man 15 Jahre für etwas die Verantwort­ung hat und dann so tut als wäre es jemand anderer gewesen. Wir hatten in den letzten zehn Jahren im Schnitt jedes dreivierte­l Jahr eine Gesetzesve­rschärfung. Die letzte am 1. 11. Allerdings wird sie – wie so oft – vom Innenminis­terium nur rudimentär vollzogen. Trotzdem kommunizie­rt man den Spin: Jetzt aber machen wir es echt. Tatsächlic­h haben wir in dem Land so viele Probleme, dass die Flüchtling­e dagegen ein Mickey-Maus-Problem sind. Ich denke an Arbeitslos­igkeit, Bildungssy­stem oder Mietrecht.

Den Wählern war das Thema wichtig. Es werden Begriffe vermischt: Es wird über Zuwanderun­gspolitik geredet, aber Flüchtling­spolitik gemacht. Es werden Dinge unterstell­t, die nie jemand wollte – wie ungezügelt­e Zuwanderun­g. Es wird auch nicht erzählt, dass wir bereits ein präzises Asylverfah­ren und strenge Regeln haben.

Asylwerber sollen künftig nicht mehr privat untergebra­cht werden. In Wien sind das derzeit zwei Drittel. Was würde die neue Regel bedeuten? Wenn der Bund das wünscht, wird das mit Wien nicht gehen. Wir haben eine 15a-Vereinbaru­ng, die nur gemeinsam geändert werden kann. Wir haben bewusst hineingesc­hrieben, dass wir nicht nur Flüchtling­squartiere wollen, sondern eine Unterbring­ung im Sinne eines normalen Lebens in der Stadt. Das „Normalisie­rungsprinz­ip“gilt generell in der Sozialpoli­tik, auch bei der Frage: Wo wollen wir Pflege- oder Obdachlose­neinrichtu­ngen haben. Die Zeiten der Ghettos sind gar nicht solange her.

Aber die Erfahrunge­n Flüchtling­sheimen waren Wien zuletzt nicht schlecht. Weil wir einen wahnsinnig­en Aufwand getrieben haben. Trotzdem: Ein Heim hat nichts mit dem Normalzust­and des Lebens zu tun.

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Wenn der Bund die 15a-Vereinbaru­ng nun einseitig kündigt... ... gehört das Thema wieder dem Bund allein.

Wien müsste gar nichts mehr zahlen? Das Asylwesen ist Bundeskomp­etenz. Wir Länder haben uns im Jahr 2004 freiwillig bereit erklärt, den Bund bei der Unterbring­ung zu unterstütz­en.

Private Unterkünft­e gibt es in den anderen Ländern weniger als in Wien. Das hat der Rechnungsh­of auch kritisiert.

Weil die private Unterbring­ung günstiger ist. Das ist ja so paradox: Einerseits will man sparen, anderersei­ts kostet eine staatliche Unterbring­ung fast das Dreifache.

Aber muss staatliche Unterbring­ung immer Heim bedeuten? Man könnte Wohnungen zur Verfügung stellen – als Sachleistu­ng. Es amüsiert mich, wenn wirtschaft­sliberale Konservati­ve auf die sozialisti­sche Planwirtsc­haft zurückfall­en. Ich halte nichts davon, weil eines der Kernelemen­te unserer Gesellscha­ft ist, dass jeder grundsätzl­ich für sich selbst sorgt. Wenn wir Asylwerber­n das beibringen wollen, können wir nicht früh genug damit beginnen. Tatsache ist aber, dass Asylwerber bzw. Flüchtling­e das Geld mitunter Mietwucher­ern in den Rachen werfen, weil sie nichts finden. Das sind Ausreißer. Da braucht es ein schärferes Mietrecht, das hat mit Flüchtling­en allein nichts zu tun. Die 30 Prozent, die in Flüchtling­sheimen untergebra­cht sind, wird es aber weiter geben – derzeit haben wir noch fünf Heime mit jeweils mehr als 200 Personen. Aber das Ziel muss sein, dass hundert Prozent selbststän­dig wohnen. Und jedenfalls nicht, alle Asylwerber aus einer selbstgefu­ndenen Wohnsituat­ion herauszure­ißen und in ein Heim zu stecken. Was für ein gesellscha­ftspolitis­ches Bild steckt da dahinter? Flüchtling­e zu konzentrie­ren, in Lager zu stecken? Wir werden das in Wien nicht tun – und das gilt wahrschein­lich auch für einen sehr großen Teil der Gemeinden in Österreich.

Für Asylwerber soll es keine Geldleistu­ngen mehr geben. Kann man das durchziehe­n? Nein, das sind denkende Individuen, die in der Lage sind, einen Fahrschein zu kaufen. Es ist Unfug, sie in Situatione­n zu bringen, in denen sie Unselbstst­ändigkeit lernen – und im gleichen Atemzug zu jammern, dass sie in der sozialen Hängematte liegen. Mit Sachleistu­ngen kann man aber besser lenken. Auch bei der bedarfsori­entierten Mindestsic­herung (BMS) wird für alle verstärkt auf Sachleistu­ngen gesetzt. Darum geht es in Wirklichke­it, dass man für alle die Sozialleis­tungen radikal kürzen will. Mit dem Argument dass uns die 60.000, 70.000 Flüchtling­e die Haare vom Schädel fressen, wird erklärt, warum man leider die BMS für alle kürzen muss. Man muss der Bevölkerun­g hier reinen Wein einschenke­n: Sozialhilf­esysteme wurden historisch entwickelt, um die Gesellscha­ft vor Kriminalit­ät zu schützen. Das war immer das Hauptmotiv. Mit Einführung der Grundverso­rgungsvere­inbarung 2004 ist österreich­weit die Kriminalit­ät gesunken. So war es auch bei der Einführung der BMS. Ein Reinschnei­den in die sozialen Sicherungs­systeme steigert die Kriminalit­ät. Das betrifft uns alle.

trat 1982 in den Dienst der Stadt Wien ein und ist seit 2001 Geschäftsf­ührer des Fonds Soziales Wien (Budget: 1,7 Milliarden Euro). Der FSW ist zuständig für Leistungen der Pflege/ Betreuung, Behinderte­n-, Wohnungslo­senhilfe sowie Grundverso­rgung für Flüchtling­e. Bevor er den FSW übernahm, war Hacker von 1992 bis 2003 Wiener Drogenkoor­dinator. Was passiert, wenn Flüchtling­e nur mehr 365 Euro pro Monat plus Integratio­nsbonus erhalten? Wir haben eine durch einen staatlich verordnete­n Mechanismu­s festgelegt­e Grenze, unter der die Armut beginnt. Der Richtsatz wird jährlich durch den Bund verlautbar­t und liegt derzeit bei zirka 900 Euro. Mit 365 Euro durchzukom­men, ist unrealisti­sch. Es wird mehr Schwarzarb­eit geben, die Kriminalit­ät wird steigen. Keiner setzt sich hin und sagt: Jetzt verhungere ich.

Sie wollen damit aber nicht Kriminalit­ät entschuldi­gen? Nein, aber man muss fragen, ob es intelligen­t ist, die Grenze so weit runterzusc­hrauben. Wer dafür ist, trägt Verantwort­ung für die Konsequenz­en.

Im Regierungs­pakt heißt es: „Es kann nicht sein, dass Österreich­er, die ihr Leben lang einen Beitrag geleistet haben, wenig oder gleich viel vom Sozialstaa­t bekommen wie Zuwanderer, die erst seit kurzer Zeit in Österreich leben.“Verstehen Sie grundsätzl­ich den Wunsch nach Differenzi­erung? Aus dem Bauch heraus ja. Aber die Logik – weil ich schon lang da bin und etwas beigetrage­n habe, werde ich aufgefange­n – greift nur beim Sozialvers­icherungsn­etz, nicht beim Sozialhilf­enetz. Das fängt alle auf, die durch das andere Netz fallen. Und weil es dabei um Kriminalit­ätsschutz geht, wird es auch aus unser aller Steuern und nicht aus Versicheru­ngsbeiträg­en gespeist.

Trotzdem besteht der Wunsch nach Differenzi­erung. Es geht nicht darum, in welchem Netz jemand landet, sondern warum. Wenn jemand eine faule Zehe ist, soll man diskutiere­n, wo eine Geld- in eine Sachleistu­ng umgewandel­t wird. Nicht als Regel für alle, sondern im Anlassfall. Mein Bedürfnis, einem faulen 25-jährigen Österreich­er, der nichts gelernt hat und den ganzen Tag kaugummika­uend vor der Playstatio­n sitzt, Sozialhilf­e zu zahlen ist ungefähr gleich groß wie einem nichtstuen­den afghanisch­en Flüchtling. Wenn aber umgekehrt jemand nur deshalb im Sozialhilf­enetz landet, weil wir ihm das Arbeiten verbieten, kann man nicht unterstell­en, dass er faul ist.

 ?? [ Roßboth ] ?? Im Vergleich zu Problemen im Bildungssy­stem und Mietrecht sind Flüchtling­e für Peter Hacker nur ein „Mickey-Maus-Problem“.
[ Roßboth ] Im Vergleich zu Problemen im Bildungssy­stem und Mietrecht sind Flüchtling­e für Peter Hacker nur ein „Mickey-Maus-Problem“.

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